"FAUSTUS, THE LAST NIGHT" - 18. November 2006

Dieses gemeinsame Auftragswerk der Berliner Staatsoper Unter den Linden und der Oper in Lyon, hat bereits zwei Uraufführungen erlebt: am 21. Januar 2006 in Berlin und am 9. März 2006 in Lyon. Dies war die Pariser Erstaufführung.

Pascal Dusapin, geboren 1955 war Schüler von Yannis Xenakis und spricht mehrere Sprachen. Deshalb war seine vorletzte Oper "Perelà, l'uomo di fumo" vor drei Jahren in der Bastille, nach einem Text des florentinischen Futuristen Palazzeschi, in italienischer Sprache. Diesmal hat er den englischen Text von Christopher Marlowe von 1588 adaptiert und nicht den Goethe'schen "Faust". Zahlreiche andere literarische Anspielungen werden auch noch verwendet. "Perelà" hatte mich sehr beeindruckt, sowohl musikalisch, als auch dramatisch (ich sah die Vorstellung zwei Mal). Dafür bin ich von "Faustus" weniger begeistert.

In "Perelà" hatte Dusapin eine Rückkehr zu einer singbareren, melodischeren Form der Oper angebahnt, wie es sich auch in anderen Uraufführungen anderer Komponisten der letzten Jahre zeigte. Diesmal garniert der Komponist schwerwiegende philosophische Diskurse mit Klangballungen, großen Orchester-Clusters, sehr viel deklamatorischer Sprechgesang und kehrt zur Neutönerei der siebziger Jahre zurück. Selbst die Koloraturrolle des Engels ist fast unsingbar. Da die Handlung sehr statisch ist und praktisch nichts passiert, tritt bald eine gewisse Leere, sprich Langeweile ein. Einige Aufschreie und Rufe geben Anstoß für "Aktion", die sich in einer Nacht abspielen soll. Die Wiederholungen dieser Rufe, Schreie und Alliterationen sind auch nicht angetan, eine wirkliche Handlung aufkommen zu lassen. Eine Aufführung als Oratorium wäre vermutlich vernünftiger gewesen. Metaphysik ist kaum für Opern-Dramatik geeignet. Boito hat Goethes "Faust" I & II als "Mefistofele" auf die Bühne gebracht, und es ist sicher keine ewiges Meisterwerk. Nächstes Mal wird es wohl Platons "Symposion" auf altgriechisch sein?

Die Inszenierung von Peter MUSSBACH spielt meist auf den Zeigern einer riesigen (ca. zehn Meter Durchmesser) schrägen Uhr mit einem modernen Ziffernblatt (Dekor: Michael ELMGREEN und Ingar DRAGSET, Beleuchtung: Sven HOGREFE). Faustus (Georg NIGL) und Mephistopheles (Urban MALMBERG) setzen sich abwechselnd auf den Stunden- oder Minutenzeiger und diskutieren über den Sinn des Lebens, den Anfang der Welt und viele andere hoch philosophische Dinge, oder sie montieren die Ziffernblöcke ab und werfen sie hinaus. Die schwarzen Kostüme des Mephistopheles und Fausts von Andrea SCHMIDT-FUTTERER sind nicht angetan, den Zuschauer zu stimulieren. Die vorgegebene Titelangabe "The last night" ist auch nicht befolgt, denn bisweilen drehen sich die Zeiger rasch, meistens überhaupt nicht, und mehrmals geht die Uhr - weshalb? - zurück!

Unklar ist, weshalb Mephistopheles und Togod (Jaco HUIJPEN) plötzlich als weiße Hasen verkleidet erscheinen. Ebenso unverständlich ist auch weshalb Sly (Robert WÖRLE) im Camouflage battledress auftritt. Auch nicht deutlich ist, warum der Engel (Caroline STEIN) ständig auf dem schrägen Ziffernblatt herum rutscht. Alle Sänger bemühten sich mit Hingabe, ja Aufopferung, das Werk über die Bühne zu bringen, nicht immer mit Erfolg.

Jonathan STOCKHAMMER dirigierte das ORCHESTRE DE L'OPÉRA NATIONAL DE LYON mit großsem Einsatz. Die angekündigte "Live electronics" von Thierry CODUYS (La kitchen) ist nicht aufgefallen, muß ich verschlafen haben.

Das Publikum war großteils befremdet, nur einige Fans klatschten frenetisch. wig.