"IDOMENEO" - 11. Dezember 2006

Als letzte Produktion im Mozart-Jahr hat man sich entschlossen, eine neue Inszenierung zu machen, obwohl dies nun bereits dritte des "Idomeneo" in fünfzehn Jahren ist und bei weitem die beste. "Idomeneo" ist eine schwierige Oper. Mozart schrieb diese opera seria 1781 für München nach seiner großen Reise nach Mannheim und Paris und begann damit seine eigentliche Opernkarriere. Hier tritt bereits der aufgeklärte Monarch auf, der dann in Selim Bassa, Sarastro und Tito weiter entwickelt werden sollte. Diese Aufklärungsoper ist schwer zu besetzen. Alle Rollen sind stimmlich ziemlich mörderisch und psychologisch anspruchsvoll. Dies gilt besonders für die fast hochdramatische Elettra.

Luc BONDY hat ein wohl durchdachtes Konzept mit Schwerpunkt Sturm auf die Bühne gebracht, umgeben von seinem Team. Erich WONDER beschränkte sein halbdunkles Bühnenbild auf einen Strand mit einem turmartigen Bau rechts vorne und ließ von Dominique BRUGIÈRE auf den Hintergrund sehr passende Meeresansichten im Stile Turners projizieren, sowie die Andeutung eines Seeungeheuers, das Idamante dann schlägt. Der Zivilisations-Müll, der im 3. Akt nach dem großen Sturm mit den Leichen am Strand liegt, war entbehrlich. Die Kostüme von Rudy SABOUNGHI waren weniger interessant: alle in schwarzer Kleidung (eine neue Manie!) von ca. 1830, die Herren in Gehrock und Stiefeln - mit Ausnahme Ilias, diese ganz in weiß. Die Choreographie von Arco RENZ ist nicht sonderlich aufgefallen. Diese Atmosphäre erlaubte Bondy eine sehr geschickte und durchdachte Personenführung, inklusive des Chors. Sehr anschaulich war der Sklavenstand Ilias angedeutet, die am Anfang am rechten Fuß mit einer langen Leine an einen Felsbrocken gefesselt ist.

Musikalisch war die Aufführung erstklassig. Thomas HENGELBROCK feierte seinen Einstand mit dem PARISER OPERNORCHESTER. Obwohl es in der Ouvertüre noch einigermaßen chaotisch zuging, vor allem bei den Streichern und Holzbläsern, bekam er das Orchester bald in Griff und brachte eine sehr spannende Interpretation. Der von Peter BURIAN ausgezeichnet einstudierte CHOR steuerte das Seinige zum Erfolg des Abends bei.

Durchwegs ausgezeichnet waren die Sänger. Ramon VARGAS war ein stimmkräftiger König von Kreta, der die Koloraturen brillant und ausdrucksvoll meisterte. Obwohl er der Kleinste der Besetzung war - dafür kann er ja nichts - gab er der Titelrolle die passende königliche Präsenz.

Ganz ausgezeichnet war Joyce Di DONATO als Idamante. Sie setzt ihre warme und ungemein flexible Mezzo-Stimme sehr vorteilhaft ein und spielt mit Intelligenz und liebevoller Hingabe an die Erwählte, die trojanische Prinzessin Ilia, der Camilla TILLING einmal Profil gab. Denn meistens wird die Rolle an "weiße" Soprane vergeben und entsprechend inszeniert, was die sehr ausdrucksvolle Partie in Langeweile abgleiten läßt. Die schwedische Sopranistin hat jedoch eine sehr charaktervolle, ausdrucksreiche Stimme, mit dramatischen Akzenten, die die Rolle viel besser zur Geltung brachte. In der prachtvollen Arie ("Zeffiretti lusinghieri") zu Beginn des 3. Akts kam keine Langeweile auf!

Arbace war eine Luxusbesetzung: Thomas MOSER. Der große amerikanische Tenor hat in weiser Vorsicht nicht die Titelrolle gewählt - in der er vor fünfzehn Jahren in der Bastille Triumphe feierte - sondern die des secondo uomo. Seine große Arie im 3. Akt mit dem Arioso "Sventurata Sidon!", nach der sich Arbace hier die Adern öffnet, war großartig gesungen und erschütternd dargestellt. Als Gran Sacerdote war der baumlange junge Xavier MAS zu hören, der die kleine Rolle profiliert darstellte. Ebenso waren die beiden Kretarinnen ausgezeichnet mit zwei jungen Koreanerinnen des Pariser Opernstudios besetzt, Yun-Jung CHOI und Hye-Youn LEE. Jason BRIDGES und Bartolomiej MISIUDA vervollständigten die gute Besetzung.

Bleibt die Problem-Rolle Elettra. Ähnlich wie Vitellia (in Clemeza di Tito) ist Elettra eine perfekte Egoistin, die über Leichen geht. Aber im Gegensatz zu Vitellia zeigt sie keine - eher opportunistische - Reue. Elettra ist ein Monster. Und Mireille DELUNSCH ist kein Monster. Wieso wirkt diese bildschöne Sängerin mit einer prachtvollen Stimme so völlig unglaubhaft? Mireille DELUNSCH ist ein "Fall". Die Elsässerin singt seit Jahren fast alle Rollen, die für Sopran geschrieben wurden. Ihr Repertoire der letzten Jahre reicht von Barock (Poppea und La Folie, in Rameaus "Platée") über Donna Anna, Violetta, Melisande bis zu allen vier Frauenrollen in "Hoffmanns Erzählungen", sowie Arabella und demnächst Elsa, Louise und "La Voix humaine" von Poulenc. Frau Delunsch singt quer durch das gesamte Sopran-Repertoire. Ist das nicht zu viel, zu zersplittert? Ihre wunderbare Stimme hat an Ausdruckskraft und Charakter verloren. Zu allem Überfluß trug sie ein sehr elegantes, schwarzes Abendkleid mit großem Dekolleté und eine schneeweiße kurze Perücke. Es fehlte Delunsch der Haß und die absolute Schlechtigkeit, die diese Rolle verlangt.

Wegen der späten Stunde war der Beifall kurz, aber enthusiastisch. wig.