"LA PIETRA DEL PARAGONE" - 22. Januar 2007

Es ist unwahrscheinlich, daß Sie Rossinis 7. Oper je gehört haben, die den Zwanzigjährigen nach großem Erfolg an der Scala 1812 über Nacht berühmt machte. Fünf Jahre später wurde "La Pietra del Paragone" in München gespielt und 1821 in absurder Form auch drei Mal in Paris (mit der Ouvertüre von "Italiana in Algeri", 2/3 der Musik gestrichen und einer anderen Intrige!). Deshalb ist diese hier die französische Erstaufführung.

Stendahl bezeichnete diese als seine beste komische Oper, und der kannte seinen Rossini! Eine Produktion in Pesaro und folgende Wiederaufnahmen haben in den letzten Jahren die Oper wieder aus der Versenkung geholt (wie "Ermione" und viele andere vergessene Rossinis). Dabei ist der ganze Rossini der Reife schon in diesem Werk des Zwanzigjährigen, die brillanten Arien und Ensembles, die typischen Accellerandi, die Jagdszene des 2. Akts ist eine Tempesta, und vor allem die solistische Verwendung der Bläser - eine Szene mit Piccolo-Solo gibt es sogar. In anderen Worten: bester Buffo-Rossini. Und da es nur einen Tenor gibt und nicht gleich drei oder vier, ist die Oper durchaus aufführbar, ohne die Kassa zu ruinieren. Die Intrige ist nicht klüger oder dümmer als die anderer komischen Opern der Zeit. Jedenfalls sehr amüsant.

Diese aus dem Teatro Regio di Parma importierte Produktion hat noch dazu den Vorteil ein richtiger Beispiel der Inszenierung zu sein, denn es ist das erste Mal, daß die Verwendung der Videotechnik wirklich erfolgreich angewendet wurde. Regisseur Giorgio Barberio CORSETTI und Videokünstler Pierreck SORIN sagten sich, daß diese völlig irreale Komödie eines völlig irrealen Rahmens bedürfe. Die Idee wurde genial durchgeführt Die Handlung spielt in der Villa des Conte Asdrubale, hier vor einer völlig leeren, blauen Bühne. Die Modelle der Bühnenbilder der verschiedenen Szenen sind auf kleinen Karren montiert, ca. 2 bis 3 m lang und 50 cm hoch und tief, und werden nach Bedarf herein geschoben: große fahrbare Ausschneidebögen. Auf jedem Karren sind drei oder sechs kleine Videokamera befestigt. Weiters sind drei kleine Videokameras in der Mitte der Bühnenrampe in ca. 1,5 m Höhe aufgestellt. Drei bzw. sechs riesige Video-Bildschirme (je ca. 12 qm) werden vom Schnürboden hinten herunter gelassen. Die Szenerie der Karren wird direkt auf die Videoschirme projiziert.

Der große Gag ist, daß auch die Sänger und der Chor - ganz normal in neuzeitlicher Kleidung - während sie vor den drei Kameras auf der Bühne spielen nun auch gleichzeitig in die Szenerie "inkrustriert" werden. Die Beleuchtungstechnik, die dahinter steckt, filtert selektiv das Blau. Dadurch können die Sänger oder verschiedene Dinge auf blauen Untersätzen, Sitzen oder Materialien stehen und agieren und in den Dekor eingesetzt werden. Auch zusätzliche Szenen daneben können "gemischt" werden. So ißt der Journalist Macrobio links vorne seine Pasta asciutta, während eine Tänzerin, die in Wirklichkeit 8 m rechts hinten ist, in seinem Spaghetti-Teller tanzt. Alles ist ausgefeilt, und die Technik muß natürlich genau auf den Millimeter folgen. Die Personenführung ist klarerweise sehr wichtig, und die Sänger müssen nicht nur ausgezeichnet singen, sondern auch ihre Mimik genau kontrollieren und sehr gut aussehen, denn man sieht jede Falte oder Grimasse in Großformat.

Einer der großen Vorteile ist der sehr flüssige Ablauf der Handlung, denn die Szenen gehen in einander über. Das gibt der ganzen Vorstellung ein ungewöhnliches Tempo - bei Rossinis rasanter Musik ein großer Plus-Punkt. Weiters ergeben sich Möglichkeiten, die mit gewöhnlichen Mitteln völlig ausgeschlossen wären. Sechs junge Damen in hautengen blauen Trikots vollführen alle möglichen Dinge, die aber auf den Videoschirmen unsichtbar sind; z. B. spielt der Tenor Giocondo mit der Marchesina Clarice Tennis. Die Tennisbälle werden von einem "blauen Geist" von einem Tennisschläger zum anderen geführt, oder die Marquesina kommt als ihr Bruder verkleidet auf einem Pappe-Jeep, in den sie "inkrustiert" wird; die in die Luft geworfenen Pfannkuchen landen zurück in der Pfanne oder in den Tellern der Gäste und noch viele andere Gags. Ein zusätzlicher Vorteil ist, daß der szenische Aufwand auf ca. ein Dutzend dieser Modelle beschränkt ist, die natürlich viel einfacher zu transportieren sind, als wenn diese zwanzigmal so groß wären - für eine Reise-Inszenierung natürlich ein Vorteil. Cristian TARABORRELLI fabrizierte die hübschen Kostüme (natürlich ohne blau und hellgrün), und Gianluca CAPPELLETTI sorgte für die Beleuchtung dieser Produktion, die trotz ihrer Verrücktheit von Giorgio Barberio Corsetti dezent und ohne Übertreibung inszeniert wurde.

Musikalisch war die Aufführung ein ganz großer Genuß. Jean-Christophe SPINOSI und sein ENSEMBLE MATHEUS spielten auf zeitgenössischen Instrumenten absolut hinreißend. Der CHOR DES TEATRO REGIO DI PARMA sang und spielte mit sichtlicher Begeisterung unter der Leitung von Martino FAGGIANI.

Spinosi hatte eine internationale Truppe junger Sänger allerbesten Niveaus zusammen gestellt - teilweise anders als einen Monat vorher in Parma. Als Marchesina Clarice war Sonia PRIMA eine große Überraschung. Ihr wunderbar geführter Mezzosopran kommt mit den fulminanten Koloraturen der Rolle spielend zurecht. Mit ihrem mitreißenden Schwung zeigte sie auch, daß sie eine ungewöhnliches Bühnentalent besitzt. Umwerfend! Francois LIS besitzt einen schönen warmen Kavalierbariton und war perfekt am Platze als Conte Asdrubale, der die "Pietra del Paragone", die Liebesprobe, ausheckt, um unter den drei konkurrierenden Frauen zu wählen.

Die beiden geldsüchtigen jungen Witwen Baronessa Aspasia waren die große blonde Jennifer HOLLOWAY in fuchsiarotem Kleid und Donna Fulvia, die dunkle kleine Laura GIORDANO im knallgelben Kleid. Sie waren nicht nur sehr hübsch anzuschauen, sondern sangen auch ausgezeichnet und spielten blendend die mannstollen Biester. Cavaliere Giocondo, der Anbeter der Marchesina, aber auch Freund des Conte, war José Manuel ZAPATA. Seinen sehr flexiblen Tenor setzte er für die Rossinischen Feuerwerks-Arien sehr erfolgreich ein.

Joan MARTÍN-ROYO, sang mit schönem Bariton den käuflichen Journalisten Macrobio und spielte die hinreißende Bestechungsszene mit Geschmack ohne Blödelei, wo die Banknoten-Pakete von den "blauen Geistern" beigesteuert werden. Dem lästigen Poeten Pacuvio, der Fulvia mit seinen Reimen verfolgt (die "Mississippi-pi-pi"-Arie ist zum Schreien!), gab Christian SENN das richtige Profil, ohne ins Outrieren auszuarten. Fabrizio, der Diener des Conte wurde von Filippo POLINELLI bestens dargestellt. Nicht zu vergessen der ausgezeichnete Julien LAMBERT, der alle möglichen Rollen, Butler, Koch, Gärtner usw. mimt und herum kriecht, um dann irgendwo auf den Bildschirmen zu erscheinen.

Das Publikum lachte aus vollem Hals und bescherte allen Künstlern einen Triumph, wie selten erlebt. wig.