"Tagebuch eines Verschollenen"/Herzog Blaubarts Burg"

Kein banaler Opernabend! Im Allgemeinen spielt man Bártoks "Blaubart" (1911) mit Schönbergs "Erwartung" - was natürlich keine Vorschrift ist. Hier wurde wenigstens als Zweit-Oper nicht ein Puccini-Einakter gewählt, wie man es in Wien für "Osud" tat. Die Idee das "Tagebuch eines Verschollenen" des alternden Janácek, sozusagen als Vorspiel der einzigen Oper des zwanzigjährigen Bártok zu bringen, ist nicht a priori von der Hand zu weisen. In beiden Werken steht der seelische und physische Untergang eines Menschen im Zentrum, der des jungen Bauers Jánik bei Janácek und der Judiths bei Bártok. Die beiden fast gleichzeitig geschriebenen Werke werden von Psychoanalyse und Symbolismus des beginnenden 20. Jahrhunderts durchzogen. Doch damit endet die Verwandtschaft.

Janácek hat seinen Liederzyklus kammermusikalisch ausgelegt, mit einer besonders durchsichtigen Klavierbegleitung; Bártok hat ein spätromantisch-hochdramatisches, orchestral sehr ausgreifendes Werk geschrieben. In den fünfziger Jahren hatte der kürzlich verstorbene Schweizer Tenor Ernst Haefliger den wenig bekannten Liederzyklus Janáceks zu Ehren gebracht. Janácek hatte sich mit der Musik der tschechischen Sprache auseinander gesetzt, während Bártok eine große Freske geschrieben hatte. Deshalb hat Dirigent Gustav KUHN den Liederzyklus bewußt nicht in Janáceks Stil orchestriert, sondern mit "den Möglichkeiten des großen Orchesters Bártoks". Darüber kann man allerdings sehr geteilter Meinung sein. Denn die glasklare, fast zerbrechliche Klavierbegleitung Janáceks geht in dem großen, bisweilen breiigen, Orchesterschwall völlig unter. Große Blech-Choräle - Tuben und Posaunen und nicht die Trompeten der "Sinfonietta" - und Streichertutti sind nicht das Ideale für diese intime Beschreibung der Verführung des Bauernburschen Jánik durch die Zigeunerin Zefka.

Der Abend war dem Team LA FURA DELS BAUS anvertraut. Mit beiden Werken wußten die Katalanen allerdings nicht viel anzufangen. In Janáceks "Tagebuch" zeigte Jaume PLENSA auf pechschwarzer Bühne nur ein von zwei Scheinwerferkegeln beleuchtetes Kanalloch, aus dem der "Mann" hinein und heraus kroch, wenn er nicht drin steckte. Das erinnerte sehr an Becketts "Oh les beau jours". Die "Frau" war vielleicht eine Zigeunerin, sah aber eher wie eine Nutte aus, in sehr kurzem Mini-Höschen, feuerroter Bluse, mit silbernem Gürtel und ebensolchem Täschchen. Beim 11. Lied nahm sie den Kopf des armen Jánik mit ihren langen Beinen in die Klemme. Nackte TänzerInnen krochen aus nicht klaren Gründen bisweilen auch über die Bühne.

In diesem wenig anschaulichen Rahmen führten Alex OLLÉ und Carlos PADRISSA für die beiden Sänger Regie. Mit nacktem Oberkörper sang Michael KÖNIG, oft bis zum Nacken im Kanalloch, die sehr hoch exponierte Partie, in der er mit Inbrunst seine Liebe zu der feschen Zigeunerin Zefka und mit Verzweiflung sein hoffnungsloses Exil bedauerte. Die sehr attraktive Hannah Esther zeigte die nötige Verführungskraft der Zigeunerin. Die drei "Choristinnen" (Hye-Youn LEE, Letitia SINGLETON, Cornelia ONCIOIU) sangen in der linken Proszeniumsloge.

Für Bártoks "Blaubarts Burg" hatte La Fura dels Baus ein anderes Konzept erdacht. Die Bühne ist auch hier meist nachtschwarz, aber einzelne punktförmige Scheinwerfer mit einigen Kilowatt werden bisweilen direkt ins Publikum gestrahlt (so daß die Zuschauer geblendet werden), um dann von Video-Projektionen abgelöst zu werden. So steigen zu Beginn Judith und Blaubart im Video die große Treppe der Opéra Garnier hoch. Zum großen C-Dur Choral bei der Öffnung der 5. Türe, sieht man zuerst das große Spiegelfoyer der Oper im Video und dann beide Sänger wieder auf der Stiege, die dann auf dem Dach des Hauses erscheinen, gefolgt von einem Panorama-Blick über Paris, Blaubarts Reich!. Wieder auf der Bühne werden auch schwarze Stiegen bestiegen - wieder punktförmig beleuchtet, ein großes Doppelbett erscheint bei Öffnung der 6. Tür, die Zweisamkeit wird aber von drei der verflossenen Gattinnen Blaubarts gestört. An manchen Stellen ist den Katalanen aber wirklich nichts eingefallen, und da wurde einfach ein riesiger Regenvorhang gezeigt oder schlicht und einfach gar nichts. In beiden Werken sorgte Guido LEVI für die präzise Beleuchtung, die meist etwas spärlich war.

Mit ihrem dunklen Timbre und ausgeprägten Bühnentemperament sang die rassige Béatrice URIA-MONZON die Judith sehr überzeugend und voll stimmlicher Kraft. Willard WHITE, mit seinem prachtvollen runden Bass war hinreißend in der zwiespältigen Rolle des Blaubart, zwischen Macht und Resignation schwankend.

Gustav Kuhn waltete mit sicht- und hörbarer Liebe am Pult und ließ sowohl subtile Details als auch große Orchesterwogen erklingen. Wie gesagt, ein einigermaßen ungewöhnlicher Opernabend. wig.