"LA JUIVE" - 28. Februar & 18. März 2007

Die lange erwartete Wiederaufnahme von Halévys "La Juive" war natürlich der Höhepunkt und die Sensation dieser Saison an der Pariser Oper. Zwar stand in der Hauszeitung der Pariser Oper "Ligne 8" (die beiden Opernhäuser liegen an der Linie 8 der Pariser Metro), daß "La Juive" wegen "des aufkommenden Faschismus 1934 vom Spielplan der Opéra verschwand" und seither nicht mehr gegeben wurde. Man scheint allerdings eine spezielle Geschichtsauffaussung zu haben: denn ab 1936 regierte in Frankreich der linke "Front populaire" unter Léon Blum. Der Faschismus wurde vor über sechzig Jahren begraben. Trotzdem wurde Halévys Meisterwerk auch in der Nachkriegszeit in Paris nicht gespielt - aber in Deutschland und Österreich. Eines der wichtigsten Werke der französischen Opernliteratur seit siebzig Jahren deswegen nicht gespielt zu haben, ist eine faule Ausrede. Es gibt wohl einen ganz anderen Grund: "La Juive" ist nicht "politically correct". Was unterschwellig in "Ligne 8" in einem guten Artikel "Shylocks Kinder" angedeutet wurde.

Die Entstehung der Oper ist nicht erfaßbar, ohne die damalige politische Situation Frankreichs zu verstehen. Nach Napoleons Exil wurde Frankreich in den folgenden dreißig Jahre von Louis XVIII., Charles X. und Louis Philippe, drei schwachen, ziemlich unfähigen Königen, regiert (die sog. Restauration). Die Konfrontation zwischen Royalisten und Republikanern verschärfte sich während dieser Periode. Die Kirche, das Symbol der Repression, stand auf der royalistischen Seite. Die von der Revolution gleichgestellten Juden standen natürlich auf der Seite der Republikaner, ebenso aber auch viele Freigeister, Künstler und Schriftsteller, so Eugène Scribe, der Autor des Librettos. Neben vielen komischen Opern, hatte Scribe mehrere höchst polemische, pseudo-historische Libretti verfaßt, wie die der Opern von Meyerbeer, die ebenso nur sehr wenig in Frankreich gespielt werden. Mit den historischen Tatsachen nahm Scribe es zwar nicht sehr genau und seine Libretti sind bisweilen haarsträubender Humbug, aber vor allem nicht "politically correct".

Eine gewisse Ähnlichkeit mit "Il Trovatore" drängt sich auf. In beiden Werken glauben die Titelhelden, ihre Eltern zu kennen. Beide sterben den Feuertod in Anwesenheit des Vaters bzw. Bruders, ohne von den Manipulatoren der Handlung von ihrer wirklichen Herkunft zu wissen. Denn die Drahtzieher der beiden Opern sind Eléazar, bzw. Azucena. Beide agieren aus blindem Haß und Rache, überlegt oder im Affekt, sicher die beiden unsympathischsten Figuren der Opernliteratur (gefolgt von Lady Macbeth, Scarpia und Varianten). Beide sind Ausgestoßene, Vertreter einer von der damaligen Gesellschaft verachteten und unterdrückten Minderheit, ein Jude bzw. eine Zigeunerin. Daß "La Juive" noch eine zusätzliche Dreieckssituation enthält und politisch-konfessionelle Fragen eingeflochten werden, ändert nichts an der Problematik des Werks.

"La Juive" und "Il Trovatore" sind brutale Darstellungen, wohin Ausgrenzung, Intoleranz und Fanatismus führen können. In unserer Zeit der Justizierung von Kultur und Presse, wo ständig selbst ernannte Richter einen "noblen Grund" verteidigen, würden vermutlich "La Juive" und "Il Trovatore" kaum ihre Uraufführung erleben - man denke an den lächerlichen "Idomeneo"-Skandal in Berlin. Vielleicht war die Zeit der französischen Restauration oder des metternich'schen Biedermeiers großzügiger und verständnisvoller als unsere...

Musikalisch ist Halévys Oper nicht nur künstlerisch sehr anspruchsvoll, sondern musikalisch höchst interessant. Richard Wagner schätzte "La Juive" sehr. Meisterhaft orchestriert, hat Halévy eine besonderes Talent für sehr effektvolle Ensembles. Beim Liebesduett des 2. Akts kann man nicht umhin, an das in "Tristan und Isolde" zu denken. An mehreren Stellen wirkt die etwas großzügige Begleitung der Harfe eher ermüdend, doch das ist eine Mode der Zeit (man denke an "Lucia di Lammermoor"!).

Für diese sehr löbliche - und überreife - Wiederaufnahme eines der wichtigsten Werke der "Grand Opéra" war die Pariser Operndirektion nicht pingelich. Man hat die wohl weltbeste Besetzung auf die Bühne gestellt. Daniel OREN hat perfekt den musikalischen und dramatischen Geist des Werkes erfaßt und das Gleichgewicht zwischen bombastischen Einzügen und ergreifenden, lyrischen Szenen blendend ausgearbeitet. Hörbar war die intensive Probenarbeit für dieses unbekannte, lange Werk (fast vier Stunden Musik, bei gestrichenem Ballett!). Die Präzision aller Pulte des ORCHESTRE DE L'OPÉRA NATIONAL DE PARIS war ein Genuß. Peter BURIAN und Alessandro DI STEFANO hatten den sehr viel eingreifenden CHOR hervorragend einstudiert.

Daß Neil SHICOFF heute der unbestrittene Interpret des Eléazars ist, ist eine Tatsache. Wenngleich sein Stimme eine gewisse Trockenheit zeigt, ist er der schwierigen Zwischenfach-Rolle völlig gewachsen. Das a capella Gebet im 2. Akt "Dieu de nos pères" und natürlich seine große Zauder-Arie ("Rachel, quand du Seigneur") im 4. Akt, waren erschütternd (die Einleitung mit zwei Oboen. ist ein Meisterwerk). Shicoff lebt diese Rolle, und das Publikum erlebt sie mit ihm mit.

Die beiden weiblichen Rollen kann man nicht besser besetzen. Anna Caterina ANTONACCI ist Rachel, die vermeintliche Jüdin, die bis zum Schluß zwischen ihrem Glauben und der Liebe zu Léopold schwankt. Eine ganz große Tragödin! Annick MASSIS als Prinzessin Eudoxia singt nicht nur prächtig, sondern besticht durch ihre ungewöhnliche Bühnenpräsenz. Stimmlich überragend, sind die beiden Frauen ein Erlebnis, wie man es nur ganz selten erlebt (besonders das Duett im 4. Akt mit den hüpfenden Thema). Fabelhaft! Ich habe so etwas nur einmal, vor genau fünfzig Jahren an der Scala in "Anna Bolena" zwischen Callas und Simionato erlebt!

Als Kardinal Brogni war Robert LLOYD nicht ganz befriedigend. Trotz seines eindrucksvollen Auftretens, fehlt seinem Baß die profunde Tiefe. Am 18. 3. war dafür Ferruccio FURLANETTO völlig überzeugend in der Rolle des vom Schicksal geprüften Kardinals. Er besitzt vor allem den "basso profondo", den diese Rolle bedarf. Er zeigte dies überaus eindrucksvoll in seiner großen Arie "Si la rigueur" zu Beginn der Oper.

Der wenig charaktervolle kaiserliche Feldherr Léopold ist eine stimmlich sehr anspruchsvolle, aber dramatisch undankbare Rolle. Immerhin schleicht er sich als Samuel in das Haus Eléazars ein, um Rachel, die vermeintliche Jüdin, zu verführen, zeigt aber keine Skrupeln, sich von ihr freisprechen zu lassen und sie zu opfern, um Eudoxia zu heiraten. John OSBORN spielte diese dubiose Figur sehr gut und sang seine Liebesduette ausgezeichnet. Am 18. 3. war Collin LEE zu hören, der ebenfalls vorzüglich sang und spielte. Beide besitzen sehr helle Stimmen, eher in der Kategorie "tenore di grazia", Typ Tonio, Fenton oder Nemorino. In den kleineren Rollen der Zeloten Ruggiero und Albert waren André HEYBOER und Vincent PAVESI passend fanatisch.

Die Inszenierung stammte von Pierre AUDI, Operndirektor in Amsterdam, der diese auch in seinem Haus zeigen wird. George TSYPIN hatte ein kathedralenförmiges Gerüst aus Stahlträgern gebaut, das bedarfsweise hin und her geschoben, bisweilen auch hoch gezogen wurde. Die Kathedrale verschwand am Schluß und wurde durch einen eigentümlichen Wabenboden ersetzt, bestückt mit großen glänzenden Pyrit-Kristallen, von unten rot beleuchtet - der Scheiterhaufen (Licht: Jean KALMAN). Die Kostüme von Dagmar NIEFIND erinnerten an 1920. Besonders die kaiserliche Garde schien in graue, statt braune Paradeuniformen der SA gekleidet zu sein. Einzig Eudoxia trug ein elegantes Lamé-Abendkleid, der Rest war zwischen alltäglich und banal. Die Personenführung Audis beschränkte sich aufs Wesentlichste, bei diesen Vollblut-Schauspieler-Sängern allerdings nicht überraschend. Der Chor war meistens statisch, obwohl er sehr viel auf der Bühne ist und in die Handlung eingreift.

Trotz kleiner Beschränkungen, ein prachtvoller Abend, der entsprechend gefeiert wurde. Ein Ruhmesblatt für die Pariser Oper, die sich so für ihre Vernachlässigungen entschuldigen konnte. Wenn "La Juive" wieder aufgenommen wird, unbedingt nach Paris fahren! Ist die Reise wert! wig.