"ARIODANTE" - 20. März 2007

Während der Komposition seiner 29. italienischen Oper im Sommer 1734 brach eine besonders akute Krise aus, eine mehr in der von Krisen reichen Karriere Händels: das King's Theatre am Haymarket - seine langjährige Wirkungsstätte - war vom Prince of Wales gekauft worden, mit der ganzen Sänger Truppe (einschließlich Haus-Kastrat "Il Senesino"), die sich nun "Opera of the Nobility" nannte - mit Nicola Porpora als Hauskomponisten. Glücklicherweise hatte der Impresario John Rich die zwei Jahre vorher gebaute Covent Garden Opera gepachtet und machte Händel den Vorschlag, hier zu arbeiten. So wurde "Ariodante" am 8. Jänner 1735 als dritte Premiere der 1. Saison in Covent Garden uraufgeführt, wie seine nächsten fünf Opern. Der Kastrat Giovanni Carestini (genannt Cusanino) sang die Titelrolle, der einer der berühmtesten Vertreter dieser Sparte werden sollte.

"Ariodante" wurde 1985 hier unter der Leitung von Jean-Claude Magloire in einer sehr schönen, klassischen Inszenierung von Pier Luigi Pizzi gespielt. Damit begann der Händel-Zyklus des Théâtre des Champs Elysées, der sich in den letzten Jahren erheblich erweitert hat. Die neue Produktion war in den Händen von Christophe ROUSSET. Der Musikologe und Cembalist ist in den letzten Jahren dank verschiedener Ausgrabungen mit seinem Barockorchester LES TALENS LYRIQUES bekannt geworden. Die Präzision der einigermaßen komplexen Partitur ist Rousset bestens gelungen, vor allem die ausgezeichnete Gegenüberstellung zwischen elegischen Arien mit Streichern und Theorbe und großen Prunkszenen mit Holz- und Blechbläsern. Selbst die Naturhörner klangen ausgezeichnet!

Das Libretto von Antonio Salvi - einer von Händels Haus-Librettisten - beruht auf einigermaßen bizarren Vorkommnissen: Ginevra, eine schottische (!) Königstochter, wird einerseits von Ariodante geliebt, aber auch vom bösen Polinesso, seines Zeichens Herzog von Albanien (!). Diesen aber hat sich Dalinda, Ginevras Vertraute, ausgesucht, der aber Lurcanio, Ariodantes Bruder, nachstellt. Der Schotten-König, der Ariodante zu seinem Nachfolger machen will, ist sehr in der Zwickmühle, weil Polinesso eine Intrige startet, welche Ginevras Ehre in Frage stellt, wozu er Dalinda einspannt; worauf Ginevra zum Tod verurteilt wird. Ariodante stürzt sich verzweifelt ins Meer, erscheint jedoch, um mit den bösen Albaner im Gottesgericht zu kämpfen. Doch Lurcanio ist dem bereits zuvor gekommen und hat aufgeräumt, indem er Polinesso erstochen hat. Dem Happy End steht nichts mehr im Wege und die beiden Paare können sich vereinen. Das Libretto von "La Forza del destino" ist dagegen kristallklar! Händel hat dieses haarsträubende Libretto mit einer unglaublichen Zahl von atemberaubenden Arien und einigen wenigen Duetten und Ensembles versehen, die alle mit Koloraturen, Läufen und Kadenzen brillieren.

Lukas HAMLEB zeichnete für die Inszenierung und Bühnenbilder. Alles ist zeitlos und phantastisch und spielt irgendwo. Daß die geographische Lage neutral ist, ist bei diesem Libretto eine gute Lösung. Vor weißen Wänden, die im Bedarfsfall weggeklappt werden, spielt sich die Handlung ab. Ein kleines Lego-Schloß steht in der Mitte im Hintergrund, und die Ästhetik ist distanziert. In diesem Sinne sind auch die kuriosen Kostüme von Marc AUDIBERT gedacht, wo alle große weiße Gaze-Tuniken über ihren Kostümen tragen, nur der König hat einen großen Knoten in der Gaze-Schleppe. Da Händel auch kleine Ballett-Einlagen komponiert hatte, waren acht Tänzer in blauen T-Shirts beschäftigt, um ebenso ästhetisch zu tanzen (Chroreographie Andrew GEORGE). Die Beleuchtung von Dominique BRUGIÈRE war meistens sehr hell.

Dieses Feuerwerk der Stimmen ist heute wieder aufführbar, da ein ganzer Schwarm junger Sänger sich mit dieser barocken Gesangskunst vertraut gemacht hat. Angelika KIRCHSCHLAGER in der Titelrolle zeigt, daß sie diese Kunst ebenso beherrscht, wie die Lieder der deutschen Romantik oder Cherubino und Octavian. Absolut fabelhaft, wie sie ihre warme, ausgeglichene Stimme für diese fulminante Barockmusik einsetzt. Die junge Amerikanerin Danielle DE NIESE war eine ebenbürtige Partnerin in der nicht weniger brillanten Rolle der Prinzessin Ginevra. Ihren sehr ausdrucksvollen Sopran verbindet sie mit Leidenschaft und gutem Spiel.

Den Bösewicht Polinesso charakterisierte Vivica GENAUX bestens. Die Durchschlagskraft der Stimme und intensive Darstellung der zarten Sängerin aus Alaska für die weniger umfangreichen Rolle war sehr eindrucksvoll. Was nicht bedeutet, daß die Arien weniger anspruchsvoll sind, im Gegenteil. Die Vertraute Dalinda sang Jaël AZZARETTI blendend und spielte das von Polinesso ausgebeutete Opfer sehr ergreifend.

Topi LEHTIPU war als Lurcanio sehr gut, ein kämpfender Liebhaber, der seinen Bruder rächt. Ausnahmsweise war er nicht in eine besonders hohe Partie gequetscht und konnte so die Wärme seines angenehmen, ausgezeichnet geführten Tenors zeigen. Der von den Ereignissen überforderte König war Olivier LALLOUETTE, der mit warmem Baß die Rolle passend meisterte. In der kleinen Rolle des Odoardo war Nicolas MAIRE rollendeckend. - Tobender Applaus für das gesamte Ensemble. wig.