"ARIANE ET BARBE-BLEUE" - 28. September 2007

Von Paul Dukas (1865-1935) kennt man nur ein Werk, seinen "Zauberlehrling". Zu allem Überfluß, hat er nur sehr wenig komponiert (ganze zwölf Werke, ein Ballett "La Péri", Lieder, je eine Paris-Symphonie und -Sonate). Seine einzige Oper "Ariane et Barbe-Bleue oder Die unnötige Befreiung" wird nur sehr selten gespielt, selbst in Frankreich. Der belgische Dichter Maurice Maeterlinck (1862-1949) gehört zu den in Belgien, sowohl in Literatur als in der bildenden Kunst, weit verbreiteten Symbolisten des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Maeterlinck war u.a. der Librettist von Debussys "Pelléas et Mélisande". Er war ein eigentümlicher Kauz, ziemlich eingebildet und stolz. Obwohl völlig unmusikalisch setzte er sich in den Kopf, Opernlibrettos zu schreiben ("Er behauptet, daß er von Musik nichts verstehe und geht zu einer Beethoven-Symphonie wie ein Blinder ins Museum", sagte Debussy, als er ihn kennenlernte). Jahrelang lebte er mit der Schauspielerin und Sängerin Georgette Leblanc zusammen und wollte seiner Mätresse unbedingt eine Rolle schreiben.

Als Mélisande war Georgette Leblanc von der Direktion der Opéra comique abgelehnt worden, was Maeterlinck dem Direktor nie verzieh. Er schrieb darauf ein Libretto auf den Blaubart-Stoff. Das Textbuch, von Maeterlinck selbst als "pueril und steril" und "von absurder Trockenheit" bezeichnet, verwendet diese alte Legende in einer symbolistischen Verpackung. Er erwartete, daß ein Komponist diesen Text beleben würde, der ein neues Sprungbrett für Georgettes eher wackelige Karriere werden sollte! Das Libretto wurde fünf (!) Komponisten (Edward Grieg, Gabriel Fabre, Gabriel Fauré, Déodat de Séverac, Ernest Chausson) vorgelegt. Alle lehnten ab, bevor es bei Dukas landete. Keiner der sechs Komponisten hatte sich vorher mit Oper befaßt, was nur Maeterlincks Unkenntnis und Unmusikalität bekräftigt.

Auch Dukas hat aus diesem Text keine dramatisch packende Oper machen können. Zwischen der französischen Musik des ausgehenden Jahrhunderts, den Einflüssen Wagners (Dukas war 1888 nach Bayreuth gepilgert, und der Besuch hat ihn sehr beeindruckt) und Debussys stehend, war er wohl der Anforderung nicht wirklich gewachsen. In erster Linie Symphoniker, ist das große Orchester durchaus gut, bisweilen großartig verwendet und erinnert in der schillernden Orchestrierung oft an Richard Strauss. Bisweilen bombastisch, teilweise sehr lyrisch, wie das "Orlamonde"-Lied der fünf gefangenen Frauen, sind vor allem die gut gesetzten Chöre der bäuerlichen Revolte - die hinter des Szene gesungen werden und eher an Bruckner erinnern - dramatisch wirksam. Die Stimmen sind entschieden deklamatorisch verwendet, oft sehr ausdrucksvoll, auch bereits an Strauss erinnernd.

Doch der Oper fehlt musikalische Kohärenz. Das wackelige Libretto hilft da wirklich nicht. So wird die Öffnung der sieben Türen in zehn Minuten abgewickelt. Die restlichen zwei Stunden werden auf die Behandlung der psychologische Schwäche der Frauen angewendet. Die Oper hat zwar bisweilen musikalische Dichte, doch es fehlt der dramatische Aufbau, Steigerung und Dramatik. Der Schluß, in dem die fünf gefangenen Frauen im Schloß verbleiben, ist das eindrucksvollste Stück. Die Trauer und Resignation Arianes vor der Unentschlossenheit der fünf gefangenen Frauen ist hier am besten erfaßt.

Die Oper steht und fällt mit der Sängerin der mörderischen Titelrolle, für Georgette Leblanc geschrieben, u.a. ein halbstündiger Monolog im 2. Akt. Neben Ariane hat nur ihre Amme eine wirkliche Rolle. Alle anderen Sänger sind Nebenrollen. Georgette Leblanc bekam zwar ihre Rolle, doch eine lebensfähige Oper ist es nicht geworden.

Daß die Wahl auf Anna VIEBROCK als Verantwortliche für Inszenierung, Bühnenbilder und Kostüme fiel, kann man nur als Katastrophe bezeichnen. Christoph Marthalers Muse und Ausstatterin hat von der - hier so ungemein wichtigen - Atmosphäre des Symbolismus der Jahrhundertwende (der ja essentiell aus Atmosphäre besteht) absolut keinen blassen Dunst, aber das interessiert sie auch gar nicht. Obwohl die Idee aus Blaubarts Schloß ein Labyrinth zu machen nicht schlecht ist, erscheint die Durchführung von stümperhafter Banalität. Denn dieser Labyrinth besteht aus einer Anreihung von drei mal zwei Kubikeln - Zimmer oder Läden - was an eine Veranda oder Nähstube vor 200 Jahren denken läßt. Bei der "unnötigen Befreiung", in der Ariane die Riegel und Balken des unterirdischen Verlieses öffnen und hoch heben soll, klettert die Sängerin auf ein Mäuerlein, das vorne die ganze Bühne abschließt, wobei ihr die Amme mit einer großen Stabtaschenlampe leuchtet. Maeterlinck hat das alles vielleicht symbolisch gemeint, aber hier ist es einfach läppisch!

Die Edelsteine, Smaragde, Rubine, Perlen, etc., die bei jeder Öffnung der Türen herunter rieseln sollen, sind nicht einmal angedeutet. Einzig die Diamanten sind als Halsbänder and Schmuck in eine Kassette gesteckt. Alle Sänger sind in völlig banale Kostüme gekleidet, Ariane (mit Fotoapparat) und ihre Amme in braune Regenmäntel. Im 3. Akt steht Ariane im rechten vorderen Zimmer mit einem Schreibblock in der Hand und kommandiert die fünf Frauen herum wie eine Lehrerin eine Klasse unfolgsamer Kinder. David FINN knipste das Licht an und ab, denn die Beleuchtung beschränkte sich darauf. Überflüssigerweise gab es noch ein schwarz-weißes Video (Till EXIT), das rechts vorne auf einen Pfeiler projiziert wurde. Anscheinend wurde das Video mit einer kleinen Kamera am Schnürboden aufgenommen, vermutlich als das "wachende Auge" Blaubarts gedacht, war aber meistens nicht scharf und klar genug, um irgend welche Details zu sehen. Null!

Dafür war die musikalische Seite der Aufführung sehr gut. Sylvain CAMBRELING hat zu der französische Musik der Jahrhundertwende eine sehr gute Beziehung und weiß dies dem ORCHESTRE DE L'OPÉRA NATIONAL DE PARIS zu übermitteln. Die oft schwelgerische Musik kommt hier bestens zum Ausdruck. Peter BURIAN leitete mir gewohnter Perfektion den CHOEUR DE L'OPÉRA NATIONAL DE PARIS.

In der unglaublich anstrengenden Titelrolle war Deborah POLASKI stimmlich überragend, mit prächtigen Höhen und subtilen piani, besonders wenn sie die fünf Frauen tröstet. Man hatte allerdings das Gefühl, daß ihr die Regie nicht viel sagte und sie wenig Beziehung zu der Rolle hatte, vor allem wenn sie die Frauen herumkommandiert. Als Amme war Julia JUON noch am meisten in der Rolle eingebunden. Obwohl diese Rolle ein Alt sein soll, hat die Sängerin die sehr exponierten Höhen vollständig gemeistert.

Als Blaubart war Willard WHITE eine Überbesetzung, denn er hat so gut wie nichts zu singen (im 1. Akt) und liegt am Ende nur gefesselt rechts auf der Vorderbühne. Die drei Bauern, die ihn hereinstoßen, wurden von Christian TRÉGUIER, Gzregorz STASKIEWICZ und Yuri KISSIN gut charakterisiert, denn sie sangen die wilden Burschen bestens. Als die fünf gefangenen Frauen waren Diana AXENTIL, Iwona SOBOTKA, Hélène GUILLEMETTE, Joël AZZARETTI und Geneviève MOTARD mit frischen Stimmen sehr passend und dem Geschehen noch am nächsten.

Viel Applaus für Polaski und Cambreling. Schade, daß diese verdienstvolle Wiederbelebung so sehr ins Auge gegangen ist! wig.