"ZAMPA" - 17. März 2008

Die Pariser Oper hatte in der vergangenen Saison eine sensationelle "La Juive" von Halévy nach siebzig Jahren wieder aufgeführt, gefolgt von "Louise" von Charpentier. Im Herbst wurde die Saison mit Dukas' "Ariane et Barbe-Bleu" eröffnet. Die "Ausgrabungen" vergessener französischer Opern gehen aber hurtig weiter. Die neue Direktion der Opéra comique hat diese Politik auf ihr Panier geschrieben und bereits Chabriers "L'Etoile" und Lullys "Cadmus et Hermione" gebracht und spielt nun nach 95 (!) Jahren erstmalig wieder Hérolds "Zampa" - mit ganz großem Erfolg. Man kann nur hoffen, daß auch Opern von Meyerbeer, Adam und Auber wieder einmal gezeigt werden. Bei solchen Grabungen stößt man oft auf Goldkörner und bisweilen ganze Gold-Adern.

Ferdinand Hérold (1791-1833) wurde von seinem elsässischen Vater Louis Hérold, einem Schüler von Carl Philipp Emanuel Bach, in die Musik eingeführt. Mit 15 Jahren wurde er am Pariser Conservatoire Schüler des berühmten Geigers Kreutzer und lernte Komposition bei Méhul. Er war sehr befreundet mit Boieldieu und Adam, mit denen er mehrere gemeinsame Produktionen, wie es damals üblich war, komponiert hatte. Mit 21 Jahren erhielt er den "Prix de Rome", zog aber wegen seiner schlechten Gesundheit nach kurzem Rom-Aufenthalt nach Neapel, wo seine erste Oper "La Gioventù d'Enrico Quinto" mit dem berühmten Manuel Garcia (Vater von Maria Malibran und Pauline Viardot) in der Titelrolle uraufgeführt wurde.

Nach einem Umweg über Wien, wo ihn Salieri empfing (aber nicht der kranke Beethoven), kehrte er nach Paris zurück. Wie üblich gab es wieder einmal Probleme in der Direktion der Opéra (also nicht neu!). Er schrieb aber "Zampa" für die Opéra comique (wo Meyerbeer gerade "Robert le Diable" zurück genommen hatte), die 1831 ein Triumph wurde. Nur mit einer zweiten Oper war er noch wirklich erfolgreich: "Le Pré aux Clercs". Er schreib auch Ballette, von denen nur "La Fille mal gardée" auch heute noch gespielt wird. Hérold war vor allem als Korrepetitor und Chordirigent tätig, sowohl im Théâtre Italien und an der Opéra, die damals in der Salle Peletier spielte. Er starb wie sein Vater mit nur 42 Jahren an Tuberkulose. "Zampa" war ein Welterfolg und erreichte in Paris 750 und in ganz Frankreich mehrere tausend Aufführungen. "Zampa" wurde in Wien bereits ein Jahr nach der Uraufführung und im 19. Jahrhundert viel in deutschen Landen gespielt. Die letzte französische Aufführung fand 1913 statt. Heute ist kaum mehr als die sehr kecke Ouvertüre bekannt, die wie Berlioz' "Carneval Romain" oder "Le Corsaire", Glinkas "Ruslan und Ludmilla" oder Rezniceks "Donna Diana" bisweilen als füllende Einleitungen in zu kurzen Konzerten auf dem Programm stehen.

Der als Kritiker gefürchtete Hector Berlioz fand an "Zampa" viel auszusetzen. "Der Stil hat nicht den Ernst eines Méhul, ist nicht überschwenglich wie Rossini, mitreißend und träumerisch wie Weber, [..] von allem ein wenig etwas. Seine Musik ähnelt sehr den anderswo erfundenen und leicht veränderten in Paris fabrizierten industriellen Produkten, c'est de la musique parisienne", schrieb Berlioz bösartig. Hérold hat sicher bei den genannten Komponisten "eingekauft", zeigte aber für seine Zeit erhebliche Kühnheit in den Formen, der Modulation und der Verwendung verschiedener Tonarten. Die Musik hat Schmiß, phänomenale Arien und sehr schöne Ensembles. So die brillante Arie Camilles gleich zu Beginn "Ah ce bonheur suprème" mit einer fulminanten Schlußkadenz. Im 2. Akt singt Alfonse eine sehr schöne zweiteilige Cavatine ("Pourquoi vous troubler?", mit hohem "Des"!!), gefolgt von einem herrlichen Duett mit Camille und einer Stretta zwischen den beiden. Zampa singt mehrere sehr brillante (auch mit hohen "Cis") oder auch sehr elegisch-lyrische Arien. Für die Sänger eine ausgesprochen "dankbare" Oper, nicht besser oder schlechter als mancher Donizetti oder Rossini.

Das Libretto ist zwar vom "Don Juan" von Molière inspiriert, ist aber kein dramatisches Meisterwerk (man weiß am Schluß nicht, ob der Held Alfonse seine Camille kriegt), hat die damalige Begeisterung für phantastische Stoffe und Geschichten (siehe "Freischütz") hier einen Niederschlag gefunden. Die Oper hat eine weitere Schwäche: man braucht nicht weniger als vier (!) Tenöre (selbst Rossini brachte es in "Ermione" und "Otello" nur auf drei), zwei tenore di grazia (beide haben mehrere Male hohe Cis oder Des zu singen) und zwei Spiel-Tenöre. Dafür gibt es keinen Bariton und keinen Baß. Die beiden weiblichen Rollen sind auch sehr hoch geschrieben.

Das in Frankreich berühmte Künstler-Ehepaar Jérôme DECHAMPS/Masha MAKAIEFF hat sich vor Jahren kennen gelernt, als beide Assistenten des großen Regisseurs Antoine Vitez waren. Mit zahlreichen Aufführungen in Theater und Fernsehen haben sie sich einen Namen gemacht, vor allem mit einer sehr populären Serie von kurzen Fernseh-Szenen "Les Deschiens", eine köstliche Verunglimpfung der Schwächen der Franzosen mit einem Minimum an Aufwand. Vor 15 Jahren hatten sie sich an die Operette gemacht und eine hinreißende Produktion von Offenbachs "Les Brigands" in der Opéra Bastille inszeniert. Ihr direkter, trockener Humor erinnert an den englischer Komiker und die Ausfeilung der Texte haben die beiden zur Vollkommenheit gebracht.

Die Ernennung von Jérôme Dechamps zum Direktor der Opéra comique hat unter Opernfreunden allgemeinen Beifall ausgelöst. Der neue Direktor will die ursprüngliche Bestimmung der Opéra comique wieder beleben und hat bereits mit "L'Etoile" und "Cadmus et Hermione" den Weg gezeigt. Die Ausgrabung von "Zampa" erfolgte auf Betreiben von William Christie, dem Leiter des bekannten Ensembles für barocke Musik "LES ARTS FLORISSANTS", dem der neue Direktor den Wunsch erfüllte.

Die Aufführung, die wir sahen, leite jedoch der Studienleiter der Produktion, der junge britische Dirigent Jonathan COHEN, der die schmissige Musik mit sehr viel Schwung und Einsatz leitete und vom Publikum sehr begeistert und vom Orchester mit einer "standing ovation" gefeiert wurde. Namen merken, Mann mit Zukunft!

Die Sänger waren ausgezeichnet. Die Titelrolle sang der amerikanische Tenor Richard TROXELL fulminant mit männlichem Auftreten, in roten Stulpenstiefen, mit Säbel und Pistolen. Zu seiner Hochzeit erschien er in einem sehr kleidsamen schwarz-weiß gestreiften Kostüm. Seine fabelhafte Gesangstechnik und seine ausgezeichnete Diktion, denn sein Französisch ist perfekt, erinnerte an seine Landsleute Gregory Kunde und Rockwell Blake, die vor 15 Jahren hier ebenso brillant in Boieldieus "La Dame Blanche" auftraten. Als Zampas jüngerer Bruder Alfonse stand ein weiterer, viel versprechender Tenor, der uns bereits mehrmals aufgefallen ist, auf der Bühne, der baumlange junge Schweizer Bernard RICHTER, der ebenso brillant seine Cavatinen und Cabaletten mit den hohen "Des" sang.

Zwischen den beiden Brüdern zögerte die Camille von Patricia PETIBON, wobei die etwas weinerliche Rolle für ihr Temperament eine Herausforderung darstellte. PETIBON meisterte diese jedoch mit ihrer intensiven Darstellungskraft und war - wie gewohnt - stimmlich hervorragend. Ihre Brokat-Roben waren eine Augenweise. Die ebenso exponierte Rolle ihrer Vertrauten Ritta sang Doris LAMPRECHT mit ihrem vollen Mezzo-Sopran und handfestem Humor, vor allem wenn sie ihren "vermißten" Gatten Daniel wieder findet, der sie sitzen hatte lassen. Diese Rolle von Zampas Diener Daniel, ein tenoraler Leporello, wurde von Léonard PEZZINO mit schönem Tenor gesungen und intelligent gespielt.

Dem geriebenen Dorftrottel Dandolo gab Vincent ORDONEAU auf sehr geschickte Art Profil, besonders wenn er sich vor dem Piraten Zampa schrecklich fürchtete. Zwei Schauspieler, Hervé LASSAÏNCE und Luc TREMBLAIS, als Pirat und dicker Benediktiner waren die Anführer der Piraten-Truppe Zampas. Der CHOR DER ARTS FLORISSANTS sang, nach Jahren Praxis barocker Chormusik hervorragend die leichte Musik, die Herren spielten blendend die Piraten; und die Damen sangen schön ihre Choräle.

Die Produktion wurde von Jérôme Dechamps und Masha Makaieff hinreißend inszeniert. Kein Regietheater mit politisch-psycho-soziologischer Interpretierung, sondern handfestes Theater. Der Rahmen war "gotisch", d. h. bewußt altmodisch, mit Herausarbeitung der Konventionen der romantischen Oper. Die Bühnenbilder und Kostüme von Makaieff sind sehr bilderbuchartig, mit rauchendem Ätna im Hintergrund, Marmorstatue der Hl. Alice Manfredi, Zampas früheres Opfer, die am Schluß unter viel Rauch aus der Versenkung erscheint und den Übeltäter Zampa bestraft.

Schade, daß die Produktion nur noch 2009 zwei Mal in Caen (dem Stützpunkt der Arts Florissants) gespielt werden soll. Das Publikum war völlig begeistert und applaudierte feste. Doch der Erfolg war derart, daß "Zampa" bereits für die nächste Saison wieder geplant ist -wie vor 15 Jahren die "Dame blanche", die auch ein Jahr später nach gespielt wurde.

Wie für die anderen Produktionen wurde von der Opéra comique ein ganzes Mini-Rahmen-Festival, genannt RUMEURS, rund um die Wiederaufführung von "Zampa" organisiert. Ein Kolloquium, mehrere Lieder- und Arien-Abende französischer Musik um 1830, eine Wiederholung des berühmten Klavier-Duells zwischen Liszt und Thalberg von 1837 bei der Prinzessin Belgiojoso und ein kurzes Mittags-Konzert von Streichquartetten dreier Generationen französischer Komponisten, Cherubini, Hérold und Gounod, das zu hören wir Gelegenheit hatten. Cherubinis 6. Streichquartett in a-Moll dauert 25 Minuten und kann in die Kategorie "Sturm-und-Drang" des älteren Haydn oder des jüngeren Beethoven (der Cherubini sehr verehrte) einordnen. Die beiden Zwölf-Minuten Werke von Gounod und Hérold sind eher Salon-Musik. Das QUATUOR GIRARD (vier Geschwister, je zwei junge Damen und Herren, zusammen knappe 80 Jahre alt) spielten mit großer Begeisterung und ein wenig Lampenfieber ihr erstes öffentliches Konzert. wig.