"PADMAVATI" - 20. März 2008

Albert Roussel (1869-1937) ist vor allem für seine Ballette "Bacchus et Ariadne" und "Le Festin de l'Araignée" und seine symphonische Musik bekannt. Obwohl aus wohlhabender Familie, hatte er eine schwierige Jugend: beide Eltern starben früh, und der Großvater, bei dem er aufgenommen wurde, folgte auch bald nach. Das Meer zog Roussel an, und er ging deshalb mit 15 Jahren zur Marine und wurde Offizier. Zuerst komponierte er wenig, hauptsächlich Klavier- und Kammermusik, und erst mit 25 Jahren begann er sein Studium an der Scola Cantorum in Paris und wurde Schüler von Vincent d'Indy. Bald unterrichtete er auch hier und hatte u. a. Varese, Satie und Martinú als Schüler und Freunde. Die Scola Cantorum förderte auch die Rehabilitierung der Musik Rameaus, der zweihundert Jahre vorher mit seinen Opéra-Ballets eine spezifische Art der französischen Oper eingeleitet hatte.

Bis ins 18. Jahrhundert hat die Mythologie die Opernlibretti beherrscht. Der orientalische Trend hatte mit Rameaus "Les Indes galantes" begonnen, und Mozart führte diesen mit "Der Entführung aus dem Serail" fort. Rossini folgte mit verschiedenen Opera seria und buffa. Die Entzifferung der phönizischen und ägyptischen Schriften zu Beginn des 19. Jahrhundert leitete das Interesse für den Orient in Frankreich ein, und der Orientalismus wurde rasch eine Mode. In den bildenden Künsten (Delacroix), der Literatur (Loti) und besonders in der Oper ("L'Africaine", "Les Pecheurs de Perles", "Lakmé", "Le Roi de Lahore") waren die orientalischen Einflüsse sehr stark, aber nicht nur in Frankreich, auch in anderen Ländern ("Nabucco", "Aida", "Madama Butterfly", "Turandot", "Sadko", "Salome").

1909 reiste Roussel mit seiner Frau für mehrere Monate nach Indien und war von der reichen Kultur des Landes sehr beeindruckt. Er las viel über indische Philosophie, Literatur, Geschichte und Architektur. Als ihn die Pariser Opéra für ein Bühnenwerk einlud, entschied er sich für die Geschichte von Rani Padmini (oder Padmâvatî) und dem Untergang der Festung Chittor (oder Chittorgarh) im 14. Jahrhundert. Der Orientalist Louis Leloy schrieb mit Roussel das Libretto. Er begann die Komposition von "Padmâvatî" 1910, die zu Beginn des Weltkriegs halb fertig war, als er als Lazarett-Fahrer einberufen, aber wegen seiner schlechten Gesundheit 1917 demobilisiert wurde. Er setzte die Oper fort und beendigte sie ein Jahr später. Am 1. Juni 1923 wurde "Padmâvatî" an der Pariser Oper uraufgeführt. Seit Jahrzehnten wurde "Padmâvatî" in Frankreich aber nicht mehr gespielt.

Die Oper weicht bewußt vom klassischen oder Wagnerischen Opernstil ab und ist formal eher dem Opéra-Ballet Rameaus ähnlich. Natürlich ist Roussels Musik von Debussy beeinflußt, doch man kann ihn nicht als einen Epigonen bezeichnen. In den zahlreichen Chören denkt man bisweilen an Debussys "Syrènes", aber in der tonalen Behandlung ist aber die Scola Cantorum nicht weit. Roussel hat offenbar Strawinskys frühe Ballette gesehen und dessen Rhythmik aufgenommen, hat aber einen sehr eigenen Stil entwickelt und die Verwendung der Ganztonleiter in "Padmâvatî" ist sehr ausgeprägt. Allerdings werden nur klassische europäische Musikinstrumente verwendet, keinerlei indische, abgesehen von ein paar Tamburinen und Trommeln.

Das Châtelet hat sich diese Wiederaufführung von "Padmâvatî" etwas kosten lassen und hervorragend vorbereitet. Da die Oper sehr viele Szenen indischer Tänze beinhaltet, hat man ganz einfach ein indisches Regie-Team, komplett mit großem indischen Ballett eingeladen, mit Pferd, Tiger, Elefant und feuerschwingenden Kriegern. Die Inszenierung wurde einem Bollywood-Star anvertraut, dem indischen Filmregisseur Sanja LEELA BHANSALI, der mit seinem Film "Devadas" weltweit bekannt geworden ist. In der fabelhaften Szenographie von Omung KUMAR BHANDULA und den zahllosen stilvollen und sehr farbenprächtigen Kostümen von Rajesh PRATAP SINGH konnte der Choreograph Tanusree SHANKAR seine Tänzer bestens zur Geltung bringen. Somak MUKERJEE beleuchtete diese phantastische Aufführung durchwegs sehr passend. Eine Augenweide von Anfang bis Ende, vom Szenenvorhang mit dem Elefanten-Gott Ganesh bis zum Rosen-überschütteten Scheiterhaufen am Ende der Oper. Phänomenal!

Die musikalische Seite wurde jedoch von französischer Seite bestritten. Obwohl der Dirigent Lawrence FOSTER Amerikaner ist, wirkt er seit Jahrzehnten hauptsächlich in Frankreich; er war u. a. lange Jahre Chef des Orchesters in Monte Carlo. Er hatte sich dem seltenen Werk mit hörbarer Liebe angenommen, die er dem ORCHESTRE PHILHARMONIQUE DE RADIO FRANCE vollgültig mitteilen konnte. Der CHŒUR DU CHÂTELET (Leitung Stephen BETTERIDGE) folgte begeistert und höchst präzise dem Enthusiamus der ganzen Produktion.

Die Titelrolle der indischen Prinzessin Padmâvatî, die lieber sterben will; als in die Hände des Moguls Alaouddin zu fallen, sang Sylvie BRUNET mit kraftvollem Mezzo-Sopran und sehr großem Stilgefühl, sowie mit ungewöhnlichem schauspielerischem und emotionellem Einsatz. Neben ihr wirkte der gute 2 Meter große Isländer Finnur BJARNASON als Ratan-Sen, Raja von Chittor, stimmlich etwas blaß, war aber szenisch sehr eindrucksvoll. Seinem schönen lyrischen Tenor fehlt die Durchschlagskraft für diese ziemlich dramatische Rolle.

Daneben war Alain FONDARY als Groß-Mogul Alaouddin (der auf einem Elefanten auftritt!) eher das Gegenteil, nicht sehr groß, aber welche Stimme! Sein hervorragend tragender Bariton gab der Rolle Durchschlagskraft und großartiges Format. Den abtrünnigen Brahmanen, der Alaouddin berät, sein Volk verrät und von diesem schließlich gelyncht wird, sang mit kultiviertem Tenor Yann BEURON. Dieser intelligente Sänger zeigt in allen seinen Rollen darstellerische Eleganz. In den kleinen Rollen waren Blandine FOLIO PERES (Nakamti), François PIOLINO (Badal), Laurent ALVARO (Gora) und Alain GABRIEL (Wächter) rollendeckend.

Ein Triumph für diese sensationelle Aufführung und ein Ruhmesblatt für die Direktion des Châtelet. Sänger, Ballett und Regisseur wurden gefeiert wie selten. Es war vielleicht zu viel fürs Auge, so daß man von der Musik bisweilen abgelenkt wurde.

Hier kann man ebenso nur bedauern, dasß diese außergewöhnliche Produktion nicht reist, und einem weiteren Publikum zugänglich wird. Es ist allerdings von Aufführungen in Italien die Rede. So etwas gehört in die Arena von Verona! wig.