"Ode to Napoleon Bonaparte" / "Il Prigioniero" - 27. April 2008

Um Dallapiccolas 50-Minuten Oper "Il Prigioniero" in einer Ambiente der Verfolgung und des Terrors zu vervollständigen, wurde Arnold Schönbergs äußerst selten gespielte Vertonung von Byrons "Ode to Napoleon Bonaparte" [Op. 41] - mitten im Krieg in Kalifornien 1942 komponiert - als Einleitung gegeben. Der kurze Text von Lord Byron ist eine Verspottung des Korsen und wahrlich keine "Ode" im üblichen, rühmlichen Sinn. Es wäre vermutlich kurzsichtig, in der Vertonung dieses zweiseitigen Gedichts im Schönberg'schen Sprechgesang eine Verbindung zwischen Napoleon und Hitler zu sehen. Es ist - wie Dallapicolas Kurz-Oper - eine Verdammung jeglicher Gewalt, ein Aufschrei gegen Verfolgung, Willkür und Krieg.

Es besteht die Gefahr, einen provokativen Text auf bestimmte Begebenheiten beziehen zu wollen, doch der Regisseur LUIS PASQUAL ist nicht in blinde Provokation gefallen, sondern hat das Gedicht eher noch persifliert, indem er den Sprecher als "blauen Engel" mit Zylinder auf einer Estrade spielen läßt, etwa im Berlin der zwanziger Jahre (in der Szenographie von Paco AZORIN und Kostümen von Isidre PRUNÉS). Der Sprecher Dale DUESING zog sich während seines Vortrags aus, dann einen gestreiften Sträflingsanzug an und beschmierte sich das Gesicht blutrot. Was die allgemein gültige Aussage bestätigt, aber nicht in politische Polemik verfallen läßt.

Schönbergs völlig serielle Musik schließt an sein 4. Streichquartett (1936) an und ist eine Fortführung der harten Zwölftontechnik. Hier begleiten ein Streichquartett und ein Pianist den Sprecher und bedarf wie das äußerst schwierige 4. Quartett oder das Bläserquintett eines Dirigenten. Lothar ZAGROSEK leitete diese Aufführung mit passender Intensität. Frédéric LAROQUE, Vanessa JEAN (Violine), Laurent VERNEY (Viola), Martine BAILLY (Cello) und Christine LAGNIEL (Klavier) waren die Ausführenden dieser außergewöhnlich schwierigen Partitur.

Dallapiccola: "Il Prigioniero"
Dallapiccola ist zwar ebenso ein rigoroser Zwölftöner, doch sind in dieser ungewöhnlich dichten Partitur Ansätze von Themen und kurzer Leitmotive erkennbar, besonders der mehrmals auftauchende "Fratello!"-Ruf des Großinquisitors. Die Verwendung "klassischer" Formen (Ballade, Ricercar) erleichtert den Zugang zu dem passabel schwierigen Werk. Die kurze Oper beginnt mit einem großen Choral der Blechbläser, unterstützt von Glocken und einem Halleluja-Chor hinter der dunklen Szene, der die bedrückende Stimmung des Werks einleitet. Die schwierige Partitur ist kurz nach dem 2. Weltkrieg entstanden und beruht auf einem der düstersten Texte der französischen Literatur des Dichters Villiers de l'Isle Adam (1838-1889).

Obwohl die Oper während der spanischen Inquisition spielt, ist die Zeitlosigkeit des Textes offenbar, eine Synthese aller Unmenschlichkeit. Die Handlung spielt in einem Gefängnis und ist eine "Folter durch Hoffnung", die Summe von Inquisition, Auschwitz, Lubianka und Guantanamo. Regisseur Luis PASQUAL und sein Bühnenbildner Paco AZORIN haben deshalb das schreckliche Geschehen in einen riesigen faßförmigen, offenen Turm-Käfig verlegt, der aus etwa 10 Meter hohen Rippen besteht und um den vier Wendel-Stiegen angelegt sind. (Zufällig fand im Louvre eine große Ausstellung "Babylon" statt, die im letzten Saal Ansichten aus dem 17. und 18. Jahrhundert des Turms von Babel zeigen. Eine der Radierungen erinnert sehr an den Turm der Produktion im Palais Garnier). Am Schluß wird dieser Turm-Käfig gedreht und legt den Blick frei für die Exekutionsszene.

Die sehr realistische Regie zeigt am Anfang eine Folterszene, in der im Turm-Gefängnis ein Gefangener, mit dem Kopf nach unten, an einem Seil hängt und von zwei Schergen geprügelt wird. Überall kriechen Gefangene herum. Die Endlosigkeit der Lage ohne Hoffnung wird durch Laufteppiche angedeutet, auf denen zu Beginn die Mutter ihre große Ballade deklamiert. Auf einem anderen Laufteppich arbeitet sich dann der Gefangene langsam vorwärts, ohne je die Hoffnung auf Freiheit zu verlieren, die er aber nie gewinnt. Auf einem der Stiegenabsätze erscheint der Carciere/Großinquisitor und ruft "Fratello!", der Chor singt hinter der Szene "Dormi e spera". Am Schluß wird der Gefangene auf einem Exekutions-Tisch gebunden, der Großinquisitor wirft den Mantel ab, dreht sich um: er erscheint in Arzt-Bluse mit Injektionsspritze, der die Hinrichtung vollstreckt, während der Chor auf der Galerie im Saal "Signore Dio! Deo gratias!" singt. Die aufs einfachste reduzierten Kostüme von Isidre PRUNÉS und die äußerst effiziente Beleuchtung von Albert FAURA vervollständigten diese sehr kohärente Inszenierung.

Zu Beginn der Oper war Rosalind PLOWRIGHT als Mutter allein auf der Bühne, die ihren Sohn sucht, stimmlich zutiefst ergreifend und darstellerisch erschütternd. Evgeny NIKITIN mit eindrucksvollem Baß versuchte als der Gefangene, nicht die Hoffnung zu verlieren und glaubte blindlings dem Großinquisitor. In der Doppelrolle Carciere/Grande Inquisitore bot Chris MERRITT eine Studie von subtiler Perversität, zwischen den vogelartigen "Fratello!" Rufen und brutaler, zynischer Macht. Als die Schergen waren Johan WEIGEL und Bartlomiej MLALUDA rollendeckend.

Lothar Zagrosek dirigierte die ungemein schwierige und anspruchsvolle Partitur mit vollem Einsatz und ließ vergessen, daß er vor zwanzig Jahren nach einem memorablen Pfeif-Skandal praktisch von demselben Pult verjagt wurde. Das ORCHESTER DER OPÉRA NATIONAL DE PARIS folgte mit Eifer und hörbarem Einsatz. Der CHOR DER OPÉRA NATIONAL DE PARIS (Leitung: Alessandro di STEFANO), am Ende in der obersten Galerie postiert, sang ergreifend die tröstlichen Worte.

Ein entsetzlicher Abend, der zum Denken anregt, für den das Publikum nach kurzer, beklommener Schweigepause mit enthusiastischem Beifall dankte. wig.