"MACBETH" - 4. April 2009

Die derzeitige Pariser Operndirektion endete mit dieser Saison. Seit Beginn der Saison sind sogenannte Koproduktionen die neue Masche. Eine Inszenierung wird irgendwo für eine Aufführungsserie ausgeliehen, die man hier nie mehr wieder sehen wird. Im Herbst 2008 gab's ein Bolshoi-Gastspiel mit "Eugen Onegin", vor einigen Monaten kam aus Amsterdam Schostakowitschs "Lady Macbeth", im März wurde "Werther" aus München eingeflogen. Für Saisonende sind noch einige solche Ein-Wochen-Produktionen vorgesehen. Dieser "Macbeth" kommt aus Novosibirsk vom Regisseur des "Eugen Onegin" inszeniert. Dabei hatten wir in der Bastille vor zehn Jahren eine ganz gute - jedenfalls bessere - eigene Produktion von Philida Lloyd (mit Guleghina und Lafont).

Wenn der Besucher den riesigen Saal der Bastille-Oper betritt, ist auf dem Bühnenvorhang eine Google-Earth Landkarte eines Haufendorfs von etwa tausend Einwohnern projiziert. Diese Karte wird während des Abends noch mehrmals gezeigt, im 4. Akt dekoriert mit Rauchschwaden. Man begreift schließlich, daß es sich um den Ort der Handlung, d.h. das schottische Königreich und Cawdor, der Hauptstadt handelt. Diese Karte wird mehrmals vergrößert, darauf gesucht und auf ein Gebäude gezoomt, ein schäbiges, protziges Haus um 1900, das dem Thane, d. h. dem Bürgermeister des Nestes gehört, nämlich Mr. Macbeth und seine Lady bewohnen es. Das große Fenster des bürgerlichen Wohnzimmers wird dann in eine Bühne auf der Bühne verwandelt, die mit dem weißen Rahmen sehr an einen flatscreen-Fernsehschirm erinnert. Fehlt nurmehr, daß PHILIPS oder SONY auf dem Rahmen steht...

Ein weiterer Schauplatz der Handlung scheint der Dorfplatz zu sein, mit einer riesigen Bogenleuchte in der Mitte, umgeben von häßlichen, fast gleichen Häusern. Wegen der Trübseligkeit des Platzes könnte man glauben, daß es sich um einen Aufmarschplatz eines Gulags (der Regisseur kommt ja aus Novosibirsk) oder eines KZ sein könnte. Die Hexen - die BürgerInnen des Dorfs - versammeln sich zu Beginn der Oper auf diesem Platz und geben ihre Weissagungen und Flüche zum besten. Der riesige Hexen-Chor (über achtzig Choristen) spaziert in Mänteln des beginnenden 20. Jahrhunderts herum: es ist doch der Hauptplatz von Cawdor. Die Prophezeiungen der Erscheinungen im 3. Akt, die unsichtbar hinter der Szene singen, sind nur schwer hörbar, die der Kinderstimme nur ein fernes Gequietsche. Die englischen Hooligans, die zur Befreiung Schottlands mit Macduff kamen, zerstören am Ende das Haus Macbeths indem sie mit Pflastersteinen die Gipswände einschlagen. Die Konfrontation zwischen Macbeth und Macduff fällt dabei natürlich völlig flach unter dem Lärm der krachenden Wände. Sehr erbaulich!

Weitere Gags des Regisseurs werden ebensowenig der tragischen, höchst dramatischen Handlung der Jugendoper Verdis gerecht. König Duncan (eine stumme Rolle) kommt in einem hübschen, braunen Pullover zum Tee und unterhält sich während der Zwischenmusik köstlich mit Ehepaar Macbeth, bevor er von diesem hinter der Szene gekillt wird. Macbeth im Schaukelstuhl wird von seiner Frau beschimpft, daß er sich endlich zusammenreißen soll und sich die Krone holen soll. Beim Krönungsbankett erscheint Lady Macbeth als Zauberin in Hosenkostüm, wobei sie die Schals der Damen in ihrem Zylinder einsammelt und dann verknüpft herauszieht. Im 4. Akt singen die schottischen Flüchtlinge ("Patria oppressa!") auf dem Dorfplatz mit allem ihren Habseligkeiten, einschließlich einer Gehschule für Klein-Kinder, in der Macduff sich aufkniet und seine Arie schmettert!

Die Handlung ist völlig verniedlicht und banalisiert und steht in keinem Verhältnis zur Shakespeare und natürlich noch weniger zu Verdis Musik. 1847 in Florenz uraufgeführt, war "Macbeth" eines der Lieblings- und Sorgenkinder des Meisters von Busseto, und er hat diese Oper achtzehn Jahre später für das Théâtre Lyrique in Paris erheblich umgearbeitet. In seinen Briefen an Impressarios und Sänger mahnte er ständig Shakespeares Geist ein, diese Mischung aus Phantastischem und blutigem Drama. Im Programmbuch schreibt jedoch der Regisseur, Bühnenbildner und Kostüm-Macher Dmitri TCHERNIAKOV, daß er dieser Oper zuerst nichts abgewinnen konnte und sie eher kindisch fand, daß er sich aber nun damit angefreundet habe und beschließt mit: "Bezüglich der Erkenntnisse und Referenzen muß jeder Zuschauer diese selbst finden." Etwas billig für einen Regisseur! Er hat offenbar Shakespeare mit Tschechow oder gar Anzengruber verwechselt und Verdi mit Tschaikowsky. Grober Fehler!

Leider war nicht nur der optische Eindruck nicht sonderlich überzeugend, sondern auch musikalisch war die Aufführung zu bieder. Der junge griechische Dirigent Teodor CURRENTZIS dirigierte zwar recht schwungvoll ohne Stab, doch ist es ihm hörbar nicht gelungen seinen jugendlichen Enthusiasmus dem ORCHESTER DER PARISER OPER mitzuteilen. Der von Alessandro DI STEFANO sehr gut einstudierte CHOR DER BASTILLE-OPER sang zwar sehr gut, besonders im Flüchtlingschor "Patria oppressa!", aber alles war zu bieder für diese Oper.

Auch die Sänger hatten keinen guten Tag. Der Titelheld war der Grieche Dimitri TILLAKOS, Schüler von Kostas Paskalis, der zwar einen warmen, angenehmen und gut geführten Kavaliers-Bariton besitzt, dem allerdings jegliche Schwärze oder dramatische Intensität fehlt. Selbst seine schön gesungene Arie "Pietà, respetto, amore" im 4. Akt konnte den schwachen Eindruck nicht wettmachen. Zumal er die Arie auf einem Tisch stehend mit einer großen Karte des Dorfes in der Hand sang und am Schluß auf dem Tisch in Unterhose einschlief! Als Schaunard oder Giorgio Germont kann man ihn sich vorstellen, aber Macbeth ist frühestens in zehn Jahren zu erwägen. Eine Fehlbesetzung und ein typischer Fall von Verheizung eines kommenden Talents.

Auch die sehr erwartete Lady Macbeth von Violeta URMANA enttäuschte einigermaßen. Sie singt hörbar zuviel, denn neben hinreißenden Ausbrüchen gab es auch einige recht beiläufige Stellen. Bereits im 1. Akt (Stretta "Vieni!") ging einiges schief, während die große Kavatine "La luce langue" im 2.Akt ordentlich, aber nicht umwerfend war. Daß sie die Nachtwandelszene in einem modernen weißen Pyjama sang, zeigte sie nicht von der besten Seite, obwohl sie hier stimmlich besser war. Selbst Ferruccio FURLANETTO als Banquo war nicht in bester Form, denn es gab ein paar unerfreuliche Töne zu hören.

Stefano SECCO als Macduff (in der Gehschule!) war mit Abstand der beste, denn er sang seine Arie "O figli, o figli miei!" inmitten der schottischen Flüchtlinge fulminant. Aufhorchen ließ auch Tenor Alfredo NIGRO als Malcolm, als er zum Kampf aufrief. Der Verkleidung nach könnte Letitia SINGLETON (als Dienerin der Lady) aus einem Brontë-Film entstiegen sein, sang aber ordentlich. Yuri KISSIN als Arzt und JIAN-HONG Zhao (Mörder) waren rollendeckend, kaum aber die Erscheinungen (Denis AUBRY, Vania BONEVA und die Kinderstimme) hinter der Szene; diese sind aber unschuldig, denn man sah und hörte sie kaum oder gar nicht.

Ein sehr enttäuschender Abend für eine der intensivsten Opern Verdis: flaue Ambiente und heftige Buh-Rufe für das Bühnenteam. wig.

P. S.: Es wurde viel Medien-Klamauk um diesen "russischen Macbeth" gemacht. An russischen Sängern gab es drei, Lady Macbeth, Banquo und Macduff, die nur je zwei Mal sangen (von elf Aufführungen). Von Teodor CURRENTZIS geleitet (einmal durch Piotr BELYAKIN ersetzt, aber nicht mit den russischen Sängern), sangen in neun Aufführungen? Urmana (Lady Macbeth), Furlanetto(Banquo) und Secco (Macduff). Dimitris Tiliakos in der Titelrolle und alle anderen Sänger sangen in allen elf Aufführungen. Laut verschiedenen Berichten waren die Sänger aus Novosibirsk mäßig.