"DIE FEEN" - 9. April 2009

Wenn man mir einmal prophezeit hätte, daß ich einmal Wagners "Feen" sehen würde, hätte ich ihn sicher laut ausgelacht. Ich ging aber trotzdem pochenden Herzens zur Vorstellung, mit "Was hat Richard wohl mit zwanzig Jahren angestellt?"

1833, also mit zwanzig Jahren, wurde der Autodidakt Richard Wagner dank seines Sänger-Bruders Chorchef am Theater in Würzburg. Dort leitete er so ziemlich alles, was ein kleines Opernhaus spielte: Mozart, Beethoven, Weber, Marschner, Lortzing, Auber, Meyerbeer, Bellini, Rossini und Zeitgenossen. Er hatte bereits einige kleinere Werke komponiert und machte sich sofort an die Arbeit, sein erstes Opernexperiment zu schreiben. Kein nettes Singspiel, sondern eine große, dreiaktige, heroische Oper (Wagner war ja selten von Minderwertigkeitskomplexen geplagt!), mit gleich drei (!) Liebespaaren Er schrieb auch das Libretto - schon damals - inspiriert von einer Fabel von Carlo Gozzi "La donna serpente". Ein Jahr später waren "Die Feen" fertig, die er eigentlich 1835 in Leipzig uraufführen wollte, doch "Die Feen" wurden abgelehnt. Auch in Magdeburg hatte Wagner kein Glück, und er wandte sich schließlich von den "Feen" völlig ab. Da er vermutlich nicht wußte, wohin mit dem Wälzer, schenkte er später die Partitur König Ludwig II. Cosima Wagner war nicht sonderlich begeistert als Hermann Levy 1888 in München "Die Feen" posthum uraufführen ließ. Und sie intrigierte heftigst dagegen - was sie ja sehr gut konnte.

Das konfuse Libretto und der geschwollene Text hätten dreißig Jahre später bei den Meistersingern bestenfalls "Auf blinde Meinung klag' ich allein!", "Ja, ich verstand gar nichts davon!" oder "Merkwürd'ger Fall!" geerntet. Die Inhaltsangabe und das komplette Libretto sind auf Internet zugänglich (www.richard-wagner-web.de).

In der romantischen Oper sind Geister, Teufel und Feen, Schwüre und Strafen, Tod und Unsterblichkeit eher alltäglich. Das geht zurück in die barocke Zeit der Götter-Dramen. Bereits bei Händel will Semele zuerst unsterblich werden bevor sie Jupiter ins Bett läßt. Max erschießt im "Freischütz" fast seine Braut Agathe, weil er mit dem Teufel packelt. Der Sohn einer Fee und eines Sterblichen ist Hans Heiling in Marschners Oper. Und vergessen wir nicht Mozarts "Zauberflöte" und natürlich Goethes "Faust".

Wagner hat das alles eingesogen wie Schwamm und auch verwendet. Musikalisch ist die Oper deshalb sehr interessant und läßt oft aufhorchen. Nach Wagners Aussage ist die Oper von Beethoven und Weber beeinflußt, und das kann man ganz klar hören. Doch die Stimmung und Handlung sind nicht nur nordisch-heroisch, sondern sehr pantheistisch und zahlreiche Anspielungen an die "Zauberflöte" sind offenbar, wie der "Chor der ehernen Männer" der fragt "Was will der Fremdling hier?" Auch Groma, der Gott der Irdischen, ist ein Vetter des Sprechers, der Arindal einen Schild, ein Schwer und eine Leier schenkt, während die beiden Feen Farzama und Zemina Cousinen der Damen der Königin der Nacht sind. Ein Duett zwischen Gernot und Drolla ist entschieden dem Paar Papageno-Papagena nachgefühlt, obwohl auch Flotow und Lortzing eingewoben sind.

Der Tenor-Anti-Held Arindal, der nicht kämpfen will, ist zwar stimmlich zwischen Florestan, Max und Tannhäuser angesiedelt, aber viel anstrengender, da viel länger und weist bereits auf Siegfried und Tristan. Die weibliche Hauptrolle Ada, die Tochter des Feenkönigs und Gattin Arindals, ist sehr von Webers "Oberon" inspiriert, ebenso wie Arindals Schwester Lora. Adas große Arie "Weh mir, so naht die fu?rchterliche Stunde", sowie Loras Jubelarie "Sie kehren mir zurück!" könnten auch für Reza geschrieben worden sein. Anderseits ist die erste Arie Adas "Wie muß ich doch beklagen" eine richtige Cabaletta à la Bellini, einer von Wagners Lieblingskomponisten. Auch Mendelsohn, ein weiterer Liebling, ist bereits in der Ouvertüre zitiert.

Da Wagner in der Handlung Mißverständnisse und Komplikationen auftürmt, hatte er reichlich Gelegenheit seine Kenntnisse zu zeigen und zu erweitern. Die "verbotene Frage" wird hier bereits vorgefühlt, weshalb Arindal ja aus dem Feenreich verbannt wird.

"Die Feen" sind aber mehr als eine Sammlung all dessen, was Wagner kannte und im Selbststudium gelernt hatte. Was auffällt ist, daß man nicht nur viele musikalische Anspielungen an Wagners Vorbilder hört, sondern auch vieles aus der Zukunft. Wagner hat hörbar mehrmals später auf die "Feen" zurück gegriffen. An manchen Stellen sagt man sich "Hört, hört! Schon hier?" "Tannhäuser" kann man mehrmals hören. Besonders die Verwendung des Chors ist "Tannhäuser", "Lohengrin" und "Holländer" öfters vorgefühlt. In ihrer sehr aufgelösten Tonalität erinnert Arindals Wahnsinnsszene bereits an "Tristan". Die nordischen bzw. keltischen Namen sind auch nicht unschuldig. Arindals treuer Knappe, der seinen Herren sucht, heißt Morald, bereits eine Andeutung auf Morold, Isoldes früheren Geliebten. Wagner war hörbar voll jungendlicher Schaffenskraft. Jedenfalls sind "Die Feen" als Erstwerk mehr als erstaunlich und zeigen bereits klar die künstlerischen Fähigkeiten Wagners.

Man muß sich die Frage stellen, wie man so ein Werk aufführt (oder andere Zauber-Opern aus dieser Zeit). Auf "altdeutsch" oder "modern"? Bleierne Langeweile im ersten Fall bzw. unerträglicher Kitsch im zweiten wären fast unausbleiblich. Wenn man aber die ganze Fabel nicht ganz ernst nimmt, kann man die phantastische, etwas sentimentale Seite der ganzen Geschichte, bevorzugen, ohne in Hollywood-Kitsch zu verfallen. Das hat sowohl Marc MINKOWSKI am Pult - der wohl mehr an Weber und Offenbach, als an Wagner gedacht hat - als auch der Regisseur Emilio SAGI, Intendant der Oper in Bilbao, zum Leitfaden dieser Produktion gemacht.

Sagi hat das Märchenhafte der Handlung hervorgestrichen und wurde dabei von den phantastischen und traumhaften Bühnenbildern von Daniel BIANCO hervorragend unterstützt, sowie den vielfarbigen Kostümen von Jesús RUIZ: die Feen waren rosa oder orange gekleidet, während die Irdischen dunkle, blaue, grüne oder braune Kostüme trugen. Der Eingangs-Feenchor (ausgezeichnete Chor- und Studienleitung von Nicholas JENKINS) war in einen riesigen orangen Schleier, ein einziges Riesenkleid, gehüllt. Prachtvoll! Die Feenwelt Adas spielte auf einer Art Insel, eine große rote Rose, die irdische Welt jedoch vor einem großen goldenen Schild. Der 3. Akt spielt auf und um einen riesigen umgefallenen Kristall-Leuchter und beschreibt den Wahnsinn Arindals. Einzig die riesigen Flügel der Feen waren etwas kitschig, obwohl sie deren Unsterblichkeit zeigen, denn Ada läßt ihre fallen, wenn sie auf ihre Unsterblichkeit verzichtet. Die ganze Ausstattung war größtenteils mit Flitter bestreut und wurde sehr geschickt und passend von Eduardo BRAVO beleuchtet. Eine Augenweide!

Chor und Orchester "LES MUSICIEN DU LOUVRE-GRENOBLEe" unter der Leitung von Marc Minkowski, der diesmal mit einem normalen Dirigentenstab dirigierte, unterstrichen das romantisch-jubelnde Element der Partitur. Dies ergab eine sehr durchsichtige, leichte und nicht drückende Atmosphäre, was trotz der Länge der Oper (vier Stunden, mit zwei kurzen Pausen) und der mühsamen Handlung keine Langeweile aufkommen ließ.

Die heldischen Sänger sind das auch wirklich, denn es ist unwahrscheinlich daß sie diese Rollen je wieder zu singen. Ada, die Tochter des Feenkönigs, ist eine sehr anstrengende, riesige Rolle. Die junge deutsche Sopranistin Christiane LIBOR besitzt eine große, sehr gut geführte Stimme, mit feinen piani und hochdramatischen Ausbrüchen, die nie forciert waren. Sie spielt ganz ausgezeichnet und trotzdem sehr verhalten. Sie feierte einen persönlichen Triumph. Eine kommende Isolde! Ihr Partner als Arindal war William JOYNER, der vor einigen Jahren in der Bastille Eisenstein gesungen hatte und hier einigermaßen enttäuschte. Die Stimme ist nicht unangenehm, doch seine Mittellage ist mäßig und seine Höhen sind fast unhörbar. Er mußte ständig forcieren, was der Stimme nicht sonderlich gut tat. Eine Notlösung, denn J. Kaufmann oder T. Kerl waren vermutlich nicht dafür zu haben.

Das zweite Liebespaar Lora-Gernot war dafür sehr ausgeglichen. Die junge Lina TETRUASHVILI besitzt einen perfekten jugendlich-dramatischen Sopran, den sie vorzüglich anwendet und in jubelnden Arien zur Geltung bringt. Ihr Partner als Gernot war Laurent NAOURI, diesmal kein Schurke oder Teufel, der seinen kraftvollen Bariton einsetzte, und der nicht die Krone von Tramond annimmt, sondern nur die Regentschaft, ist ein früher Kurwenal. Perfekt! Das dritte Papageno-Buffo-Liebespaar, war die charmante Judith GAUTHIER als Drolla und Laurent ALVARO als Morald. Sie sangen das Wiedersehens-Duett mit Herz und märchenhafter Naivität und sehr passenden Stimmen.

Ein verläßlicher Gunther, der Begleiter Moralds auf der Suche nach Arindal war Brad COOPER, ebenso wie Neil BAKER als Harald, der das Entsatz-Heer bringen sollte. Die beiden bösen Feen, die das Feenreich aufhetzen, damit Ada ihren sterblichen Geliebten verläßt, waren ausgezeichnet: Salomé HALLER als Farzana und Eduarda MELO als Zemira zeigten sich der Rollen bestens gewachsen. Die zwei Götterrollen als Feenkönig und irdischer Groma sang Nicolas TESTÉ mit orgelndem Baß perfekt.

Freude und Wonne des sehr internationalen Wagnerianer-Publikums des vollen Hauses, das sich die einmalige Chance nicht entgehen lassen wollte und den Künstlern einen Triumph bereitete. Nun fehlt mir noch "Das Liebesverbot"! wig.