"DEMOFOONTE" - 21. Juni 2009

Französische Erstaufführung

Nicolò Jomelli (1714-1774) ist mit Pergolesi, A. Scarlatti, Paisiello und Leo einer der berühmten Vertreter der Neapolitanischen Opern, die in der Mitte des 18. Jahrhunderts das Musikleben Italiens - und ganz Europas - entscheidend beeinflußt hatten. Nach Erfolgen in Neapel, Venedig, Rom und Wien, wurde Jomelli 1753 von Herzog Karl Eugen von Württemberg nach Stuttgart berufen, wo er siebzehn Jahre wirkte. Nebenbei hatte Jomelli auch die "Fernarbeit" erfunden, denn er war mehrere Jahre lang auch Hofkomponist in Lissabon, wo er jedoch nie war, sondern jährlich je zwei Opern nach Portugal sandte. Er schrieb über sechzig Opern und noch mehr andere Bühnenwerke. Interessierte Leser können über das einigermaßen abenteuerliche Leben Jomellis im Internet nachlesen.

Ohne Zweifel war Pietro Metastasio der berühmteste Bühnenschriftsteller und Librettist seiner Zeit, innigst verbunden mit der Neapolitanischen Oper. Er kodifizierte für das ganze Jahrhundert die Form der opera seria und war der absolute Meister des Deus ex machina. Sein Drama "Artaserse" war ein Riesenerfolg, worauf er von Kaiser Karl VI. als Hofdichter nach Wien geholt wurde. "Artaserse" wurde nicht weniger als 108 Mal vertont Vergleichsweise dazu wurden auf seinen "Demofoonte" nur 53 Opern komponiert, erstmals von Antonio Caldara 1733 für Wien zum Namenstag von Karl VI., weiters von Galuppi, Gluck, Hasse, Leo, Myslivi?ek (2 Mal), Paisiello, Piccini, Vivaldi u.v.a. Jomelli vertonte denselben Text nicht weniger als vier Mal! Die in Salzburg, Paris und Ravenna gezeigte Version war die 4. (Neapel) von 1770, die im Sommer noch im Festival di Ravenna gezeigt werden wird. In "Demofoonte" hat Metastasio sich hier ausgetobt und seine Kunst völlig unerwarteter "Zufälle" auf die Spitze getrieben.

Riccardo MUTI hat vor etwa zehn Jahren das ORCHESTRA GIOVANILE LUIGI CHERUBINI gegründet. Sein Ziel ist, ein Italien würdiges Jugendorchester zu bilden, das als Reservoir für die Ausbildung von Orchestermusikern dienen soll. Seit seinem Abgang von der Scala hatte Muti sich vorgenommen, die praktisch vergessene neapolitanische Oper dem Publikum wieder nahe zu bringen. Bereits bei den Salzburger Pfingstwochen gezeigt hatte der neapolitanische Star-Dirigent natürlich die musikalische Leitung der Produktion dieses unbekannten Werks inne. Völlig vertraut mit dem Stil des 18. Jahrhunderts leitete er souverän mit seinem Jugendorchester die sehr lange Oper (fast vier Stunden mit zwei, diesmal kurzen Pausen). Die Inszenierung von Cesare LIEVI war von dem klassizistischen Dekor der Grand Dame der Bühnenbildner, Margherita PALLI, unterstützt. Marina LUXARDO steuerte raffinierte und stilvolle Kostüme bei und Luigi SACCOMANDI sorgte für die passende Beleuchtung.

Die sieben jungen Sänger waren im Großen und Ganzen den mörderischen Rollen gewachsen, wenngleich sie natürlich (noch) nicht an die Stars des Belcanto herankamen. Hervorragend zog sich Maria Grazia SCHIAVO als Dircea aus der Affäre, eine sehr schwierige und anspruchsvolle Partie. Die junge Neapolitanerin verfügt über eine volle, ausgezeichnet geführte Stimme, und ihr Sopran ist nicht nur den dramatischen Koloraturen gewachsen, sondern zeigt auch wunderbare Nuancen in den lyrischen Stellen. Ihr Vater Demofoonte, König von Thrazien - aber das erfährt der Zuschauer erst in den letzten zehn Minuten - ist ein besonders sturer Knopf in der langen Reihe hypokriter Könige. Dimitri KORCHAK war der Thrazierkönig und besitzt Brillanz und Durchschlagskraft, wie sie Rockwell Blake vor dreißig Jahren besaß.

Sehr schön und gepflegt sang José Maria LO MONACO den Timante, den vermeintlichen Königssohn. Diese tragische Rolle ist äußerst schwierig, und die junge Mezzosopranistin zeigte nicht nur wunderbare Gesangskultur, sondern auch ein besonders intensives Spiel. Dank Metastasio erfährt Timante immerhin, daß er seinen Sohn mit seiner Schwester Dircea gezeugt hat. Was sich aber wenige Minuten später als falsch erweist, denn er ist der Sohn des Matusio, der zu Beginn der Oper der Vater der Dircea war! Der Contratenor Antonio GIOVANNINI, etwas ungewohnt als Vater Matusio, sang aber prächtigst den sich gegen die Willkür des Herrschers auflehnenden Untertans. Eine sehr schöne Leistung!

Hervorragend war auch die Timante zugedachte Braut, die phrygische, bildschöne Prinzessin Creusa, der Eleonora BURATTO die passende Hochmütigkeit mit ausgezeichnet geführtem Sopran vermittelte und dann ebenso das Mitgefühl und Verständnis spielte. Ihr Anbeter, der wirkliche Sohn Demofoontes, Cherinto, der die stolze Phrygierin schließlich kriegt, war die zweite Mezzosopranistin in dieser Oper. Den naiven, selbst-quälerischen, leicht sado-masochistischen Aspekt der Rolle vermittelte Valentina COLADONATO, sowohl stimmlich, als auch darstellerisch mehr als zufriedenstellend. Der junge Sopranist Valer BAMA-SABADUS stellte den Adrasto dar, den Chef der königlichen Wachen, eine Kastratenrollen, der für seine Mahnarie an Timante verdienten Applaus erhielt.

Alles in allem ein sehr interessantes Erlebnis einmal eine Neapolitanische Oper zu sehen. Allerdings darf man nicht vergessen, daß elf Jahre nach der 4. Fassung des "Demofoonte" ein Fünfundzwanzigjähriger nicht weit von Stuttgart eine opera seria im Stile des Metastasio zur Uraufführung brachte: Mozarts "Idomeneo" in München. Und das ist schon ganz etwas anderes, eben Genie...

Maestro Muti, der noch nie an der Pariser Oper dirigiert hatte, erhielt natürlich großen Applaus, ebenso wie seine junge Sängerschar, besonders Maria Grazia Schiavo und José Maria Lo Monaco. wig.