"KRÓL ROGER" - 23. Juni 2009

Szenische Erstaufführung

Karel Szymanowski (1882-1937) gehört zu den Komponisten, die nie ranggemäß eingestuft werden. Der junge Karel wuchs in Tymoszówska in der polnischen Ukraine auf dem Lande auf. 1905 reiste er erstmalig nach Paris, London, Wien, Italien und Sizilien. Er sollte Sizilien mehrmals wieder besuchen. Auf diesen Reisen lernte er zahlreiche Künstler kennen, Ravel, Rimski-Korsakow, R. Strauss, Strawinsky, d'Annunzio, Diaghilew, deren Kunst ihn begeistern und deren Werke er aufsaugte wie ein Schwamm. In Wien schrieb er 1912 seine erste Oper "Hagith". Obwohl seine ersten Kompositionen stark von Strauss beeinflußt sind, wurde seine schillernde Instrumentierung später von Ravel bestimmt.

1914 machte er seine letzte Reise mit seinem jungen Cousin Jaroslaw Iwaszkiewicz nach Sizilien und Nordafrika und kam kurz vor Ausbruch des 1. Weltkriegs in seine Heimat zurück. Die Verstaatlichung aller Ländereien durch die Sowjets zwang ihn nach Polen zu flüchten. Wie seine Musik ist Szymanowskis ästhetische Ideenwelt sehr sykretistisch. Er will eine Brücke zwischen Okzident und Orient, Christentum und Islam schlagen. 1918 trafen sich beide Cousins in Odessa, und die Idee eines Opern-Textbuchs keimte, mit dem Hintergrund Christus=Dionysos. Sie dachten zuerst an den schwäbischen, in Bari geborenen Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen, der dort lange lebte und regierte, und an dessen Hof mehr griechisch, arabisch und hebräisch als deutsch und italienisch gesprochen wurde. Doch schließlich einigten sie sich die beiden auf dessen Großvater Roger II., der in Palermo 1130 das normannische Königreich begründet hatte.

Das Textbuch wurde ein sehr symbolistischer, synkretistischer und poetischer Text: der Hirt (Dionysos) wirft nicht nur christliche und arabische Gedanken auf (mit Edrisi, dem arabischen Berater des Königs), sondern ruft auch "die Wasser des Ganges" an. "Król Roger" wurde 1926 in Warschau uraufgeführt, drei Jahre nach "Wozzeck" und die Musik erinnert bisweilen an "Salome", aber auch an Ravels "Daphnis et Chloé". Wenngleich man Szymanowskis Musik vielleicht als epigonal bezeichnen kann, ist sie so schillernd sinnlich, daß man schwer dem Zauber entkommt. Die Oper endet mit einem Chor "Im Wahnsinnstaumel des Gesangs und des Tanzes", gefolgt von einem "Sonnengesang" des Königs, der als Bettler ins Exil geht.

Für diese symbolistische, dionysische, hedonistische Oper mit der sinnlichen Musik hat man justament das berüchtigte Regieteam Krzysztof WARLIKOWSKI/Malgorzata SZCZESNIAK (Bild und Kostüme) für diese Inszenierung geholt, vermutlich weil sie aus Polen kommen. Denn die beiden haben bereits drei völlig werkverfremdende Produktionen in Paris auf dem Gewissen: "Iphigénie en Tauride", "Die Sache Makropoulos" und "Parsifal" (nicht gesehen - man muß nicht alle Katastrophen sehen!). Offenbar sind die beiden auch Vertreter in Badezimmer-Installationen, denn in allen ihren "Inszenierungen" gibt es reihenweise Duschen, Waschbecken, Bidets, Spiegel und einschlägiges Material. Ein Bild einer jungen Frau in einer Badewanne (das nicht in der Inszenierung verwendet wird) auf Webseite und Programmbuch verstärkt diesen Eindruck, das besser für einen Prospekt der Firma "Grohe" als auf den Umschlag eines Opernprogramms paßt.

Dafür besteht das Bühnenbild diesmal aus einem etwa einenMeter hohen, durchsichtigen Schwimmbecken, in dem der Chor und der König herum waten und das bisweilen mit einem schweren Deckel geschlossen wird, beidseitig von zwei Coiffeur-Salons flankiert. Das durchsichtige Becken hat auch die Eigenschaft, daß man während der ganzen Vorstellung das Spiegelbild des Dirigenten zu sehen bekommt. Aus unerfindlichen Gründen schwimmt auch während der ganzen Aufführung eine Leiche im Becken. In dieser Atmosphäre zweifelhafter Ästhetik spielt sich die Handlung dieses symbolistischen, sinnlichen Dramas ab.

Ein stümperhaftes, völlig unnötiges Video von Denis GUÉGUIN, das dauernd flackerte und besonders störend wirkte, leitete von der schillernden, intensiven Musik ab. Die Pointe kam am Schluß, wenn der göttliche Hirte mit einem Mickeymaus-Kopf erscheint, umgeben von einem Dutzend Mickeymaus-Kindern, während König Roger in Trance die Sonne anruft! Personenführung im üblichen Sinn ist natürlich nicht vorhanden. Es gab auch eine unklare Choreographie von Saar MAGAL, die sich anscheinend auf im Wasser Plantschen beschränkte. Halbdunkel beleuchtet wurde der ganze aufwendige Krempel von Felice ROSS. Miron HAKENBECK soll als Dramaturg gewirkt haben.

Zum Glück war die musikalische Seite der Vorstellung auf hohem Niveau. Dies ist in erster Linie der magistralen und klaren musikalischen Leitung von Kazushi ONO zu verdanken, der diese völlig unbekannte Partitur dem ORCHESTRE DE L'OPÉRA NATIONAL DE PARIS schmackhaft machen konnte. Ono, der mehrere Jahren an der "Monnaie" in Brüssel gewirkt hat und nun als Chef der Oper in Lyon tätig ist, gelang es, die Finessen dieser klangreichen, raffinierten und subtilen Musik intensiv zu vermitteln.

Die hauptsächlich polnische Besetzung war mit Herz und Seele am Werk die Musik des Landsmannes in Paris zu verteidigen, 83 Jahre nach der Uraufführung. Nach einem kurzen ostinaten Vorspiel beginnt die Oper in der (nicht gezeigten) Kathedrale von Palermo mit einem mächtigen Chor, geführt vom Erzbischof (Wojtek SMILEK) und der Äbtissin (Jadwiga RAPPÉ). Das war noch die eindrucksvollste Szene, denn der CHOR DER OPÉRA NATIONAL DE PARIS sang prächtigst (Leitung: Winfried MACZEWSKI) im Hintergrund und wurde durch das Video auf einem Gaze-Vorhang gezeigt. Doch der ganze 1. Akt spielt in der Kathedrale und nicht in einem Schwimmbad!

König Roger war mit Mariusz KWIECIEN mit kraftvollem Charakter-Bariton bestens besetzt, der den zweifelnden König auch sehr glaubhaft darstellte. Olga PASICHNYK als seine Gattin Roxana, die als erste dem schönen göttlichen Hirten verfällt, bestach durch ihren gut geführten glockenreinen Sopran. Beide versuchten in unpassender moderner Kluft (Smoking bzw. Abendkleid) das in dionysische Trance versinkende antike Königspaar darzustellen, was ihnen auch beiden stimmlich und darstellerisch gelang, trotz des absurden Rahmens. Ebenso eindrucksvoll war auch der Tenor Stefan MARGITA als Edrisi, der arabische Berater des Königs. Der Amerikaner Eric CUTLER war der dionysische Hirte ("Mein Gott ist so schön wie ich"), eine ausgeprägte Bühnenpersönlichkeit, der herrlich sang. Tätowiert, sah er eher wie ein Holzfäller aus Manitoba aus als ein griechischer Ephebe, aber dank seines strahlenden jugendlichen Heldentenors beherrschte er die Bühne.

Ich persönlich hatte diesen Abend seit langem erwartet, denn nach zwei konzertanten Aufführungen vor einigen Jahren und einer im letzten Moment abgesagten Vorstellung an der Oper in Warschau, hoffte ich diese faszinierende Oper endlich auf der Bühne zu erleben. Ich hatte mir eine in Sonne und Licht gebadete, mediterrane, symbolgeladene Inszenierung vorgestellt, bekam dafür nur ein schlecht beleuchtetes Schwimmbad.

Das Regieteam dieser Verunglimpfung eines wichtigen musikalischen Bühnenwerks des 20. Jahrhunderts wurde am Schluß der Premiere und bei der 2. Aufführung vom Publikum, das sich verhonepiepelt fühlte, mit einem Buh- und Pfeifkonzert "bedankt". Bei der 3. Aufführung hatten die "Regie-Helden" des Abends allerdings nicht die Frechheit, sich nochmals vor dem Publikum zu zeigen, das die ausführenden Künstler dafür allerdings mit nur mäßigem Applaus bedachte. Wie gesagt, schade! wig.