"LA SONNAMBULA" - 23. Februar 2010

Als Natalie Dessay vor 18 Jahren in "Les Contes d'Hoffmann" als Olympia in der Bastille einsprang, wurde sie über Nacht bekannt. Diesmal sagte sie aber ab, nachdem sie in der Vorstellung vom 18. Februar nach dem 1. Akt das Handtuch werfen mußte. Für die letzten zwei Vorstellungen überließ sie die Rolle einer weniger renommierten Kollegin, Iride MARTINEZ aus Costa-Rica, die einsprang und sich hervorragend bewährte. Die junge Koloratur-Sopranistin hatte bereits in kleinen Rollen bei Uraufführungen in der Bastille Oper mitgewirkt, aber erst diesmal eine Rolle des Repertoires gesungen. Die zarte kleine Sängerin, die zwar seit einigen Jahren auf deutschen Bühnen, in Köln, Berlin, Dresden und München singt, besitzt einen vollklingenden, eher lyrischen Sopran, der ihr bereits einen Ruf als Konstanze nach Salzburg brachte. Daß sie um einen Kopf kleiner ist als ihr nicht gerade hünenhafter Partner, ist für die Fragilität der traumwandelnden Amina sogar passend. Bereits in der 1. Largo Arie "Compagne teneri amici..." konnte Martinez ihre Ausdrucksfähigkeit unter Beweis stellen. Ihr perfekt geführter, glockenreiner lyrischer Sopran ist für diese elegische Rolle ideal. Was sie nicht hinderte, danach sofort die fulminanten Koloraturen perfekt zu meistern. In den beiden Schlafwandler-Szenen sang sie die bellinischen Koloraturen und Kantilenen großartig. Das Rondo am Schluß trug sie in feuerrotem Ballkleid vor dem Vorhang mir unglaublichem Temperament vor.

Als Elvino war der junge Mexikaner Javier CAMARENA zu hören. Nicht sehr groß, spielte er die komplexe Facetten des wohlhabenden Landbesitzers und dessen dumme Eifersucht ausgezeichnet. Die Gesamtleistung war perfekt, dank seines prächtigen, gut tragenden tenore di grazia. Zumal er auch die lyrischen Stellen sehr ausdrucksvoll singt, wie in der Ringübergabe "Prendo l'anel di dono" mit wunderbaren piani. Nach seinem ersten Eifersuchtsanfall "Son geloso..." dreht Elvino im 2. Akt völlig durch und Camarena zeigt die brutale Macho-Seite ebenso treffend, vor allem in der Stretta-Kavatine "Ah! perché non posso odiarti".

Als dritter im Bunde ergänzte Michele PERTUSI perfekt als Conte Rodolfo, da er schon durch seine Größe die Sänger dominierte, aber auch dank seiner vollendeten Kenntnis des Belcanto ihnen ein Vorbild war. Ein perfekter Grand-Seigneur ist er einem Abenteuer mit der rachsüchtigen Hotelbesitzerin Lisa nicht abgeneigt. Er ist aber der Schlafwandlerin gegenüber der perfekte Gentleman. Lisa wurde von der attraktiven Marie-Adeline HENRY sehr treffend dargestellt, und sie ließ bereits bei ihrem Auftritt in der 1. Szene aufhorchen. Die junge Französin, die schon in kleineren Rollen zu hören war, spielte die perfekte Intrigantin und sang ausgezeichnet, denn die Rolle bietet einiges an Koloraturen.

Nahuel di PIERRO war Lisas hoffnungsloser Verehrer Alessio und spielte die etwas dämliche Rolle gut. Die junge, perfekt geschminkte Cornelia ONCIOIU war sehr rührend als Ziehmutter Teresa, wenn sie die intrigante Lisa bloßstellt. Sie wurde zu Recht mit Szenenapplaus bedacht. Als Notar fungierte Jian-Hong ZHANG passend.

Die Aufführung lag in den bewährten Händen von Evelino PIDÒ, der immer besonders um das musikalische Gleichgewicht zwischen Graben und Bühne bemüht ist. Das ist ihm auch diesmal vorzüglich gelungen, und ORCHESTER und CHOR DER OPÉRA NATIONAL DE PARIS folgten ihm mit hörbarer Begeisterung. Vor allem die Hornisten hatten einen Festtag! Er widmete sich ganz besonders der debütierenden Iride Martinez. Ganz groß! Der Chor war von Patrick Marie AUBERT hervorragend einstudiert worden.

Die aus Wien importierte Inszenierung wurde zwar von der Pariser Kritik nicht sehr gut aufgekommen, ist aber charakteristisch für den Stil von Marco Arturo MARELLI, der wie immer auch für Bühnenbild und Beleuchtung zeichnete. Die passenden und kleidsamen Kostüme (Abendkleid und Smoking für die Festgäste, Trachten für das Hotelpersonal) wurden von Dagmar NIEFIND entworfen.

Die Versetzung der Handlung ins beginnende 20. Jahrhundert ist gut gelöst. Die Handlung spielt in einem runden Festsaal - mit großem Steinway - eines Hotels der Schweizer Alpen, mit matterhornähnlichem Gebirge hinter großen Fenstern und den Hotelzimmern im 1. Stock. Lisa flüchtet nach ihrer Arie "Tutto è gioia, tutto è festa..." an die Bar und ertränkt ihren Gram in Whisky. Es gibt sogar einen Schneesturm, der die Fenster aufreißt und den Schnee herein fegt, so daß der Flügel geborgen werden muß. Amina nachtwandelt so vor einem der Fenster im Schnee und kann dann über die schnee-bedeckten Bänke stolpern. Das ist nicht schlecht, aber etwas zu viel.

Eine ausgezeichnete Aufführung. Am Ende der Aufführung wurden Martinez, Camarena, Pertusi und Pidò stürmisch gefeiert. wig.