"DON CARLO" - 27. Februar 2010

Shakespeare und Schiller haben Verdi sein ganzes Leben lang begleitet und viele Meisterwerke ergeben. Das Libretto für "Don Carlos" von Joseph Méry und Camille du Locle ist eines der besten und packendsten. Die vieraktige italienische Version "Don Carlo" ist sehr beliebt in Paris und üblich und bereits mehrmals in den letzten Jahrzehnten inszeniert worden. Nur einmal gab es vor 15 Jahren im Châtelet die fünfaktige französische Fassung. Graham VICKs Inszenierung, auch bereits zwölf Jahre alt, ist nun zum fünften Mal wieder aufgenommen worden und nach wie vor sehr sehenswert. "Don Carlo" auf der riesigen Szene der Bastille-Oper in minimaler Ausstattung von Tobias HOHEISEL zu zeigen, entspricht dem Sinn und der Musik des Werks.

Schon die 1. Szene im Kloster San Juste, ganz in schwarz-weiß gehalten, mit einem riesigen Kreuz kleiner Kerzen am Boden und großen Kreuz-Projektionen auf den Wänden, gibt bedrückend die Atmosphäre Spaniens der Inquisition wieder. Im letzten Bild ist dieses Kreuz etwas versenkt und unbeleuchtet, in dessen Mitte Don Carlo symbolisch ermordet wird. Beim Autodafé strömt das Volk vor der Projektion eines riesigen Büßer-Kleids auf die Bühne, das von einem großen Tor einer barocken Kathedrale abgelöst wird, aus dem König Philipp II. alleine heraus schreitet, mit dem ganzen Prunk des spanischen Hofs, mit Krone, Szepter und Reichsapfel. Diese Einsamkeit des Monarchen ist sehr packend in Philipps großer Szene

im 3. Akt unterstrichen, in welcher der König alleine am großen Schreibtisch sitzt und nur durch eine durchsichtige Wand vom streitsüchtigen Grossinquisitor getrennt ist. Auch die passenden, klassischen Kostüme, ebenfalls von Tobias Hoheisel, unterstreichen diese Stimmung des Werks. Für die ausgezeichnete Beleuchtung zeichnete Matthew RICHARDSON.

Vor über vierzig Jahren habe ich einmal eine solch eindrucksvolle Produktion von "Don Carlo" erlebt, und zwar die von Jean Vilar 1969 in Verona, seine einzige Operninszenierung und die letzte überhaupt. Die völlig leere Bühne beherrschte ein etwa 15 m hohes, rot bemaltes Kreuz und die Ausgänge der Bühne in den Gradinate waren mit großen Gittern versperrt. Nur ein großer Globus und ein Tisch waren die Versatzstücke auf der riesigen Bühne der Arena, und ein junger, unbekannter Tenor debütierte in Italien, ein gewisser Placido Domingo.

Die Sänger waren an der Grenze der Perfektion. Als Don Carlo war Stefano SECCO stimmlich ungewöhnlich glaubhaft, denn sein strahlender spinto-Tenor ist absolut perfekt für die Rolle. Er spielt den von seinem Vater unverstandenen, gequälten, unglücklichen, sensiblen Kronprinzen mit Bravour und Eifer und nicht als Psychopathen. Schade, daß er nicht ein wenig größer ist, denn sein Freund Rodrigo di Posa? war Ludovic TÉZIER, Marchese bis in die Fingerspitzen, eine in allen Belangen dominierende Figur. Seine Stimme ist am Höhepunkt, das Duett des 1. Akts "Dio che nell'alma infondere" war großartig und absolut perfekt. Welche phantastische Stimme!

Als Königin Elisabeth von Valois war Sondra RADVANOVSKY absolute Sonderklasse. Sie sieht bestens aus, spielt die Rolle hervorragend und sang göttlich. Ihre beiden Auftritte mit Don Carlo waren Höhepunkte der Leidenschaft und Verzweiflung, besonders in ihrer letzten Arie in San Juste "Tu che vanità conoscesti del mondo" konnte sie ihre perfekte Gesangskunst zeigen und ging unter die Haut. Hinreißend! Die neue Tebaldi! Prinzessin Eboli wurde von Luciana D'INTINO mit viel Temperament dargestellt. "O don fatale" war zerknirscht und erschütternd, während sie das Schleierlied sehr subtil sang.

Elisabeths Gatte Filippo II war ebenso ausgezeichnet. Giacomo PRESTIA hat die Statur und die Stimme für die königliche Rolle. Bereits die große Arie "Ella giammai m'amò!" in seinem leeren Zimmer erschütterte und die folgende Konfrontation mit dem Großinquisitor war sehr eindrucksvoll, zumal Victor von HALEM in dieser schrecklichen Rolle die ganze Erfahrung seiner langen Karriere einsetzte. Die Stimme ist nach wie vor ausdrucksvoll und trägt prächtigst.

Spätestens in dieser Szene war die Schwäche des Dirigats offenbar. Das ORCHESTER DER PARISER OPÉRA war hörbar in großer Form, aber der Aufführung fehlte der Atem, die Seele, die Steigerung. Carlo RIZZI schlug brav Takt und gab bisweilen Einsätze an Sänger oder Instrumentalsolisten. Besonders in der Szene zwischen dem Großinquisitor und dem König ist die Spannung derartig greifbar, wenn sich die beiden Streiter in jeder Antwort um einen Ton höher konfrontieren. Es ist die Rolle eines Dirigenten, dies heraus zu holen. Davon war diesmal keine Rede, und an vielen Stellen - bereits im Autodafé-Akt - hatte man das Gefühl, daß das Orchester dem Dirigenten den Rhythmus angab und nicht umgekehrt! Der Wermutstropfen in dieser Prachtaufführung! Zumal der PARISER OPERNCHOR unter der Leitung von Patrick Marie AUBERT mächtig eingriff.

Unter den Comprimarii ragte vor allem der Frate von Balint SZABO hervor, der mit großer Stimme die Oper begann und beendete. Nahuel di PIERRO, Alexandre DUHAMEL, Michal PARTYKA, Vladimir KAPSHUK, Ugo RABEC und Damien PASS stürzten sich als flämische Abgeordnete zu Philipps Füßen, um Gerechtigkeit zu erbitten. Elisa CENNI als Tebaldo war passend besetzt, ebenso wie Olivia DORAY als Stimme vom Himmel und Jason BRIDGES als Conte di Lerma.

Am Schluß wurden die Sänger stürmisch vom Publikum gefeiert, beim Erscheinen des Dirigenten waren einige Buhs zu hören. wig.