"LA DONNA DEL LAGO" - 24. Juni 2010

Das 1819 am Teatro San Carlo in Neapel uraufgeführte zweiaktige Melodrama weist bereits in die Romantik, obwohl Rossini musikalisch nie wirklich in diese Richtung gegangen ist, das hat erst Donizetti entwickelt. "La Donna del Lago" bleibt jedoch einer der Höhepunkte des neapolitanischen Belcantos. Wie "Otello" oder "Ermione" ist es schwierig, diese Opern auf die Bühne zu bringen, denn die Ansprüche an Besetzung sind ungewöhnlich: mindestens zwei erstklassige Tenöre, ebenso viele hervorragende Mezzosoprane. In anderen Worten, ohne Starbesetzung geht es nicht. Solche Star-Besetzungen kann man aber nur alle paar Jahre zusammen trommeln. Vor fünfundzwanzig Jahren hörte ich glücklicherweise einmal eine konzertante Aufführung von "La Donna del Lago" im Châtelet mit Cuberli, Valentini-Terrani, Blake und Merritt. Damals wurde das Tenor-Duett des 2. Akts wiederholt! Zu Rosssinis 200. Geburtstag 1992 wurde "La Donna del Lago" mit ähnlicher Besetzung unter Riccardo Mutis Leitung an der Scala gespielt.

Walter Scott und die etwas ungewohnten Sitten der alten Schotten wurden ja mehrmals für Opernlibretti strapaziert. Das für "La Donna del Lago" von Andrea Leone Tottola nach dem Epos von Walter Scott "The Lady of the Lake" ist sehr im "Naturgefühl" der damaligen frühen Romantik Italiens und Frankreichs.

Es gab wieder einmal einen Streik in Paris, daher wurde die Vorstellung - eine Gala-Vorstellung für die AROP, den Sponsoren-Klub der Pariser Oper - in halb-szenischer Form gespielt. Die Solisten traten alle in ihren (fabelhaften) Bühnenkostümen (Franca SQUARCIAPINO auf und spielten so gut wie möglich, aber von der Regie von Lluís PASQUAL und der Ausstattung von Ezio FRIGERIO sah man nichts, ebenso wenig wie von der Beleuchtung von Vinicio CHELI. Eine bühnenweite sepiafarbige wilde Bergansicht mit Wasserfall und Spiegel-See im Hintergrund war alles, vor dem die Sänger agierten. Der CHOR kam in langem Abendkleid und Smoking an den passenden Stellen herein spaziert und sang bestens (Chorleitung Alessandro DI STEFANO). Da die Produktion mit der Scala und Covent Garden koproduziert wurde, wird das Spektakel auch in Mailand und London gegeben.

Roberto ABBADO stand am Pult des ORCHESTERS DER OPERA NATIONAL DE PARIS, was für sehr viel Schwung und fabelhafte Accellerandi garantierte, die Rossini ja hier bereits voll ausnützte, wie in dem genannten Duett "Vendetta!" in der 2. Szene des 2. Akts , wo sich die beiden Tenöre vor Elena mit hohen "Cs" und "Ds" beschimpfen.

Die Pariser Oper hat es sich etwas kosten lassen für die nun fünfte Erstaufführung in dieser Saison. Als Uberto di Snowdon, den an den Lochs der schottischen Highlands herumstreifenden König James V., war kein geringerer als Juan Diego FLOREZ verpflichtet worden. Der Peruaner ist am Höhepunkt seiner Karriere. Man kann nur hoffen, daß er weiterhin klug mit seinem Stimmaterial umgeht, damit er sicher noch lange zu hören sein wird. Absolut hinreißend, wie er die Kantilene meistert (obwohl er sich als heiser ansagen ließ) und die Höhen mit Kraft absolut sicher in den Saal schleudert. Phänomenal!

Elena, die er bei seinen Streifzügen kennen lernt, und die ihn etwas naiv in ihr Haus aufnimmt, war bei Joyce DIDONATO in besten Händen. Die attraktive Amerikanerin, die absolut perfekt spielt, ist ebenfalls am Zenit des Belcanto angekommen und sang die für die Colbran - die spätere Signora Rossini - geschriebene Rolle mit stupender Leichtigkeit und unglaublichem Einsatz. Eine ideale Partnerin. Bereits ihre erste Arie "Oh mattutini albori!" war absolut fabelhaft. Das darauf folgende Duett mit Uberto "Cielo! Qual estasi rapir mi sento..." war der erste mehrerer Höhepunkte.

Die wilden Highlander waren auch nicht übel. Als Elenas Vater Douglas d'Angus war Simon ORFILA zu hören. Der Baßbariton aus Katalonien sang und spielte den sturen Haustyrannen - in Walter Scotts Geschichten ja üblich (wie in "Lucia di Lammermoor", wo es der Bruder ist) - mit Brutalität und stimmlicher Kraft. Er will Elena an den genau so wilden und brutalen Rodrigo di Dhu verkuppeln, den 2. Tenor, den Colin LEE hervorragend darstellte. Doch Elena liebt einen anderen, und das beruht auf Gegenseitigkeit: Malcolm Groeme. Dieser Hosenrolle gab Daniela BARCELLONA ungewöhnliches Format, sehr glaubhaft, da sie besonders groß ist. "Oh fiamma suave!" gleich zu Beginn des 2. Akts war ein Triumph.

In den kleinen Rollen war Diana AXENTII als Albina, Elenas Vertraute, sehr vorteilhaft eingesetzt, und als der 3. Tenor (Serano) war Jason BRIDGES passend. Der junge und stattliche Amerikaner, der hier schon seit einiger Zeit kleine Rollen singt, konnte hier zeigen, daß er einen schönen und gut geführten Tenor besitzt und sehr gut spielt. Die winzige Rolle des Bertram sang Philippe TALBOT.

Nach einem etwas flauen Beginn begann das Haus wie selten zu toben. Gesetzte Damen in Abendkleid und Herren in Smoking schrieen laut "Bravo"! Ein außergewöhnlicher Abend! wig.