"LUISA MILLER" - 1. April 2011

"Alpen"- bzw, "Gebirgs-Opern" waren im 19. Jahrhundert sehr beliebt. Für einen durchschnittlichen Italiener waren die Alpen eher exotische Gegenden. In den historischen Opern, die in den Bergen spielen ("Guillaume Tell", "La Donna del Lago", später "La Wally") geht das ja durchaus. Bei anderen Werken jedoch weit weniger. Weshalb Salvatore Camarano, der jung verstorbene Librettist zahlreicher Melodramen für Donizetti, Mercadante, Pacini, Verdi und andere, Schillers "Kabale und Liebe" ausgerechnet nach Tirol versetzt hat, ist unverständlich. Schiller hatte sich wohl gehütet, sein "bürgerliches Trauerspiel" in ein bestimmtes Land zu setzen, denn er war 1782 gerade vor Herzog Carl Eugen aus Stuttgart geflohen und hatte kaum Interesse, sich mit einem der deutschen Potentaten zu verfeinden.

In seinem revolutionären Trauerspiel prangert Schiller die üblen Sitten der deutschen Höfe an, von Intrigen geplagter Absolutismus, Mätressenwesen, Verschwendungssucht und Verkauf von Soldaten. Davon blieb in Camaranos Libretto so gut wie nichts übrig, außer die vom dem Intriganten Wurm zerstörte Liebesgeschichte zwischen Luisa und Rudolf. Also, ein historisch und politisch verpatztes und schließlich banales Libretto. Denn gerade in Tirol, wo Verdis Oper spielt, gab es bereits seit dem Mittelalter den Landtag, in dem nicht nur Adel und Klerus, sondern auch Bürger und Bauern vertreten waren und wo es nie Leibeigenschaft gegeben hatte. Verdi schrieb trotzdem eine sehr packende Partitur auf diese verkorkste Geschichte und übte die Stretta ausgiebig. Daß Wurm sichtlich ein Vorgänger Jagos ist, sei nebenbei bemerkt.

Die Inszenierung von Gilbert DEFLO, von dem man schon bessere Produktionen gesehen hat, ist kein Ruhmesblatt in den Annalen der Bastille Oper. Deflo hat für die Bühnenbilder und Kostüme, die zwischen Lächerlichkeit und Kitsch pendeln, seinen langjährigen Mitarbeiter William ORLANDI geholt. Solche Bauernhäuser gibt es vielleicht im Baskenland, aber in den Tiroler Alpen wohl kaum. Die pseudo-gotische Halle des Schloßes des Grafen Walther ist läppisch. In Tirol werden eher Dirndl-Kleider, als die himmelblauen oder rosaroten langen Roben getragen. Ein Besuch im Ziller- oder Stubaital ist Herrn Orlandi anzuraten. Daß die Herzgin von Ostheim nur in schneeweißem Hochzeitskleid aufritt, um zu zeigen, daß sie auf den Grafen Rodolfo steht, ist auch von zweifelhaftem Geschmack. Von Personenführung war wenig zu sehen. Die CHÖRE schienen aus Ausschneidebögen entstiegen und standen festgenagelt herum, sangen aber dafür sehr gut (Leitung Alessandro di Stefano). Der ganze Kitsch wurde von Joël Hourbeigt entsprechend düster beleuchtet.

Die musikalische Seite war dafür erheblich erfreulicher, zumal mit Daniel Orenein Dirigent ersten Ranges am Pult des ORCHESTRE DE L'OPÉRA NATIONAL DE PARIS stand. Die Italianità überwog erheblich die Tiroler Folklore. Das war gut so, denn die Sänger profitierten von der umsichtigen Leitung des Maestros.

Die Sänger waren durchwegs erstklassig, vor allem Krassimira STOYANOVA in der Titelrolle, die hier ein triumphales Pariser Debüt feierte. Die zwiespältige Rolle schwankt ständig zwischen Gehorsam dem Vater und der Obrigkeit gegenüber (Die Briefszene "Tu puniscimi, o Signore" mit Wurm war erschütternd) und der innigen Liebe, die sie für Rodolfo ausdrückt. Sie entledigte sich dieser Aufgabe - trotz der lahmen Regie - sehr gut, vor allem in den innigen Arien, die Stoyanova mit großem Ausdruck sang. Ihr zur Seite war einer der besten spinto-Tenöre unserer Zeit als Rodolfo zu hören, Marcelo ALVAREZ. Er hat das jugendliche Feuer des Hitzkopfs, der hier dem Schiller'schen Original am nächsten kam, und spielte diese revolutionäre Rolle mit außergewöhnlicher Bravour (nach "Quando le sere al placido" und der folgenden Stretta im 2. Akt gab es lang anhaltenden Szenenapplaus).

Als sein Vater, Conte di Walter, war Orlin ANASTASSOV dank seines dunklen gut geführten Basses sehr richtig am Platz ("O mio sangue" im 1. Akt). Man fühlte, daß er irgend etwas auf dem Gewissen haben muß. Den bösen Geist der Geschichte, den Sekretär Wurm, sang und spielte Arutjun KOTCHINIAN mit grosser schwarzer Stimme, wie es der Regisseur wollte, doch die Outierung des Bösewichts war eher peinlich und trübte die Glaubhaftigkeit. Als Federica, Herzogin von Ostheim, eine schwach gezeichnete Rolle, war Maria José MONTIEL eine Überbesetzung. Die junge Spanierin ist hörbar am Aufstieg ihrer Karriere.

Eine schwere Enttäuschung war dafür der Vater Miller von Franck FERRARI. Diesen großartigen dramatischen Bariton haben wir schon in vielen großen Rollen erlebt. Er war entweder indisponiert - und hätte das ansagen lassen sollen - oder er geht durch eine Stimmkrise, und das wäre wirklich schade für diesen eindrucksvollen Sänger. Elisa CENNI gab der kleinen Rolle der Laura ein wenig Profil.

Ganz großer und verdienter Beifall für Stoyanova, Alvarez und Oren. wig.