„DIE GEZEICHNETEN“ - 7. August 2005

Zugegeben, eine Oper ohne einen Sopran als die schöne edle Geliebte, einen Tenor als den strahlenden Helden und einen Bariton, der nur abgrundtief böse ist, ist vielleicht nicht leicht zu inszenieren. Aber so ist es nun einmal bei Franz Schrekers „Die Gezeichneten“. In der in der Renaissance spielenden Geschichte aus der Feder des Komponisten gibt es nur gebrochene Figuren, keine Sympathie-Träger, kein wohliges Seufzen.

Alviano Salvago, ein Genueser Edelmann, kommt mit seinem Leben nicht zurecht, da er verkrüppelt ist, was mit seinem Anspruch an eine hohe Ästhetik, nicht zu vereinbaren ist. Er mißtraut jedem, und vor allem jeder, die ihn trotzdem als vollwertigen oder gar erotischen Mann sieht. Sein Schönheitsideal verwirklicht er in der Gestaltung der Insel Elysium vor Genuas Küste. Und diese Insel will er dem Genueser Volk überlassen. Genau das bringt den männlichen Adel auf den Plan, der das Eiland längst als Spielwiese für seine erotisch pervertierten Ausschweifungen entdeckt hat. Durch die Freigabe der Insel flöge er auf, was nicht sein darf. Während die Übergabe ausgehandelt wird, trifft Alviano auf die Tochter des Bürgermeisters Nardi. Carlotta ist Malerin, aber man merkt schnell, daß auch bei ihr etwas nicht stimmt. Immerhin gelingt es ihr, Alviano aus seiner Selbstverneinung zu holen, als sie sich in ihn verliebt und ihn malt. Lange halten tut die „Stunde des Glücks“, wie Alviano das nennt, allerdings nicht. In ihrer inneren Verstörtheit wirft sich Carlotta dem sinnlich fordernden Tamare an den Hals, dessen physische Begierde die Herzkranke tötet. Der Sopran ist tot, der Tenor (Alviano) tötet den Bariton (Tamare) und verfällt selbst dem Wahnsinn.

Starker Tobak, aber eben doch vielschichtige Menschen, die sich dem schönen Klischee entziehen. In Salzburg hat sich in der diesjährigen Eröffnungspremiere der Festspiele Nikolaus LEHNHOFF an dieses Werk gewagt und schafft damit den Abschluß von Peter Ruzickas Reihe mit Werken österreichischer Exilkomponisten.

Lehnhoff nutzt den Raum der Felsenreitschule, die einen nahezu perfekten Hintergrund für Schrekers Oper liefert. In der breiten aber schmalen Bühne sind wenig technische Spielereien möglich, aber die steinernern Logen bilden einen wundervollen Hintergrund, der durch die riesige Figur eines liegenden zerfallenen Frauenkörpers (Bühne: Raimund BAUER) auf stimmigste ergänzt wird.

Schon während des Vorspiels betritt Salvago die Bühne, nicht bucklig, wie bei Schreker, sondern im langen Frauenkleid, sich ausgiebig schminkend. Die Genueser Adeligen, die ihn so sehen, scheint das nicht zu stören, sie sind den Anblick wohl gewohnt. Was diese Charade soll, verrät uns der Regisseur erst im zweiten Akt, in der innigen Szene zwischen Carlotta und Alviago. Hier zieht sie ihm die Frauenkleider bis auf einen Ganzkörperstrumpf (??) (Kostüme: Andrea SCHMIDT-FUTTERER) aus, und entblößt ihn so, statt ihn zu malen. Nach dieser Szene, in der Alviago durch die Liebe quasi zum „normalen“ Mann wird, läuft er dann im Anzug umher. In sich wohl schlüssig, aber letztlich doch mehr irritierend als hilfreich.

Und um zu einer weiteren Schwäche der Inszenierung zu kommen: während der Entkleidungsszene wirkt die wunderbar singende Anne SCHWANEWILMS total berechnend. Sie will ihr Bild vollenden und braucht dazu einen verklärt schauenden Alviano, also sorgt sie mit ihrer Liebeserklärung dafür, so einfach ist das. Oder ist es eben nicht. Wir erinnern uns an die wunderbare Eva-Maria Westbroek in der ansonsten eher unsäglichen Stuttgarter Inszenierung von Martin Kusej. Diese Carlotta glaubte in ihrem Wahn, der ihr in jedem Augenblick aus Augen und Bewegung sprach, tatsächlich daran Alviano zu lieben. Und nur so macht der dritte Akt Sinn, wenn sie diese Liebe verliert und ihre Begierde für Tamare entdeckt. In der Schlußszene allerdings, wenn man unter Schaudern die geschändeten und ermordeten Frauen (hier sind es Kinder, Gott sei Dank ohne Blut) in der Lustgrotte entdeckt, kommt es mit dem Aufeinandertreffen der beiden Widersacher zu einem Höhepunkt der Inszenierung.

Zu diesem Zeitpunkt kann auch der gemäßigte Herzog Adorno (ein souveräner Robert HALE) die Katastrophe nicht verhindern. Mit Michael VOLLE hat man nicht nur einen stimmgewaltigen Tamare gefunden, sondern auch einen großen, breitschultrigen Mann, dem man seine brutale Begierde und die sexuellen Exzesse jeden Augenblick abnimmt. Und mit dem schmächtigen Robert BRUBAKER (mit deutlichem Akzent singend) jemanden, der das vergeistigte asexuelle Prinzip glaubhaft vertritt. So wird deutlich, daß weder das eine noch das andere Extrem die Wahrheit auf seiner Seite hat und eben diese Extreme nur zur Vernichtung ihrer selbst und ihrer Umwelt führen können.

Es wäre zu wünschen gewesen, dass die gesamte Inszenierung diesen tiefen Blick in die Abgründe menschlichen Verhaltens gehabt hätte. Schrekers Libretto und seine Musik fordern dies jedenfalls ein.

Kent NAGANO dirigierte zum ersten Mal eine Oper Schrekers und war darauf bedacht, die Transparenz jederzeit zu erhalten. Damit war er den Sängern ein einfühlsamer Begleiter, aber an einigen Stellen fehlte so die Komplexität, die die Geschichte wie auch die Musik ausmacht. Das DEUTSCHE SYMPHONIE-ORCHESTER folgte ihm sehr genau. Ob also nun Schreker-Renaissance oder nicht, diese Oper zeigt viel über die Extreme im Menschen und bei so wundervoller Musik sollte man es immer mal wieder wagen, sich dem zu stellen. KS