"ALBERT HERRING" - 8. Juni 2007

Im Salon von Lady Billows geht es edel und gesittet zu. Vornehme Steifentapeten, ein gediegener Schreibtisch, Holzstühle für die Gäste, alles und alle in schwarz-weiß. Über allem thront dabei die Standuhr (Bühne und Kostüme: Jamie VATAN), die markig verkündet, wie die Zeit (davon) läuft. Wäre da nicht der in der Uhr versteckte Alkoholvorrat von Lady Billows Haushälterin Florence Pike, dieser Raum wäre ein Abbild der grauen Tugend. Und genau um diese, die Tugend, geht es ja auch beim Komitee zur Wahl der Maikönigin von Loxford. Schwer tun sich die Honoratioren der Stadt ein Mädchen zu finden, das ihren strengen Kriterien entspricht. Die Zeit drängt, und die Wahl fällt auf Albert Herring, der dann eben zum Maikönig wird. Denn er ist Fleiß und Tugend und Freundlichkeit alles auf einmal, wie er so im Gemüseladen seiner Mutter arbeitet.

Eric Crozier hat diese herrliche Geschichte für Benjamin Britten in Worte gesetzt, der sie mit kleinstem Orchester in Szene gesetzt hat. Und eine liebevolle Umsetzung findet das Ganze in der Salzburger Inszenierung von Stephan MEDCALF. Eine solch ausgefeilte Personenregie ist selten geworden. Medcalf lässt keine seine Figuren jemals hilflos auf der Bühne stehen, immer sind sie kauzig, nie albern, jeder erfüllt seine Rolle, ohne das das Ganze zerfällt. Zum Beispiel während der "Krönungsfeier" von Albert. Am langen Tisch sitzen die Wichtigen von Loxford und der eingeschüchterte Preisträger, die Kinder wuseln umher, mal neben dem Tisch, mal drunter, und die Teenager drücken sich in dunkle Ecken, für einen verbotenen Schluck aus der Flasche oder einen Kuß. Und das alles unter einem Union Jack, der sich zum Ende der Szene über die Feiernden senkt.

Nach der Feier treffen wir Albert im Laden seiner Mutter wieder und werden Zeuge einer wunderbaren Wandlung. Aus dem verschüchterten Jüngling mit Pomade im Haar, Schürze und leicht gebeugter Haltung bricht, dank des in die Limonade applizierten Rums, ein neuer junger Mann hervor. James EDWARDS ist eine Idealbesetzung als Albert. Sein wandlungsfähiger, strahlender Tenor und seine schauspielerische Ausgestaltung sind ein Genuß. Man meint fast, daß der junge attraktive Mann, der nach Alberts Rückkehr von seinem nächtlichen Ausflug ins Leben des Spiels, Alkohols und der Frauen den Zorn der Honoratioren erregt ein anderer Darsteller sein müßte.

Das ganze Ensemble scheint Spaß zu haben an seinen Rollen. Sei es Alexander PUHRER als Sid, Astrid HOFER als Nancy, die Albert ja immer schon irgendwie mochte, am Ende aber kaum die Augen von ihm lassen kann, Jennifer RHYS-DAVIES als Moral bewachende Lady Billows, Susan GORTON als heimlich trinkende Florence Pike, Monika WÄCKERLE als Alberts Mutter, Hege Gustava TJØNN als eifrige altjüngferliche Lehrerin Miss Wordsworth, Gavin TAYLOR als Pfarrer, Juan Carlos NAVARRO als Bürgermeister oder Krysztof BORSIEWICZ als Polizeichef.

Abgerundet wird das alles durch das feine Spiel der Musiker des MOZARTEUM ORCHESTERs unter Kai RÖHRIG. Man sieht wieder einmal, daß es sich lohnt, sich einer Geschichte mit allen ihren Feinheiten, Ecken und Kanten anzunehmen, das Ergebnis ist ein Vergnügen für alle. KS