"RUSALKA" - 27. Oktober 2002

Eine wahre Sternstunde in Sachen Oper erlebte das B-Premieren-Publikum, das sich zahlreich zu einer deutschsprachigen Aufführung von Dvoraks lyrischem Märchen "Rusalka" im großen Haus des Mecklenburgischen Staatstheaters einfand.

Die Regie von Bernd Reiner KRIEGER überzeugt in nahezu allen Gesichtspunkten. Rusalkas Auftritt geschieht in einem Rollstuhl. Somit schafft Krieger es, das Leid von der Protagonistin zu intensivieren, und gibt dem Wassermann einen weiteren Grund, seiner Tochter den Weg zur Hexe Jezibaba zu weisen, die sie in einen Menschen verwandelt, was zugleich eine Befreiung vom physischen Leiden bedeutet. Der Regisseur macht das aber nie zum Selbstzweck, nach dem Motto: "Schau mal, die arme Rusalka sitzt im Rollstuhl". Sie scheint mehr daran zu leiden, daß sie nicht mit dem zusammensein darf, den sie eigentlich liebt, mit einem Menschen.

Leider fällt das Bühnenbild von Lutz KRIEGER in den Außenakten ein wenig gewollt ruinenartig aus, so daß die Stimmung eher aus der tollen Personenführung und der Dunkelheit, die mir persönlich etwas zu stark ausfällt, resultiert. Geradezu anrührend wirkt es, wenn die nun Mensch gewordene Rusalka ihren Kopf schutzsuchend gegen die Schulter des Prinzen lehnt. Im zweiten Akt läßt sich Krieger leider im ersten Teil, bei dem Duett Heger-Küchenjunge, zu einer arg buffonesken Posse hinreißen, die an das Komödiantenspiel in "I Pagliacci" erinnert mit stolpernden Kellnern etc. Die Bühne besteht nun aus einem Ballsaal mit Büffet. Die Idylle des Liebespaares wird von der fremden Fürstin gestört, die die beiden entzweit. Einer der eindringlichsten Momente des Abends gelingt dadurch, daß der Wassermann beim Ball durch den linken Seiteneingang kommt und mit seinem Speer, der ihm einen wotanesken Habitus verleiht, einfach dort steht und dem Treiben zuschaut.

Auch der angedeutete Kuß, bedarf einer Erwähnung. In diesem Akt zeigt sich die Meisterschaft des Regisseurs, indem er quasi zwei Handlungen parallel laufen läßt. Einmal den Monolog des Wassermanns und später das Duett mit seiner Tochter, und im Hintergrund die Annäherung vom Prinzen an die fremde Fürstin. Der dritte Akt spielt dann wieder in der Welt der Nymphen, Feen und Wassermänner. Auch hier kann Krieger nicht davon ablassen, seine Posse Heger-Küchenjunge weiterlaufen zu lassen. Rundherum ist es aber eine Produktion, die sich nicht verstecken muß und in der nie der Fehler gemacht wird, sich zu sehr auf die Zauberwelt zu verlassen.

Die Kostüme von Giselher PILZ sind eher konventionell, aber erfüllen auch ihren Zweck. Er benutzt für die fremde Fürstin ein intensives Rot und kleidet die Hexe standesgemäß schwarz, Rusalka hingegen unschuldig-weiß.

Auch die musikalische Seite kann sich durchaus mit großen Häusern messen. Allen voran die grandiose Sabine PASSOW in der Titelrolle. Sie verfügt über einen volltönenden Sopran, den man sich sowohl im jugendlich-dramatischen als auch im Verdi-Fach vorstellen kann. In der Höhe hat sie gleichsam einen weich-metallenen Kern, der sie ganz selten scharf klingen läßt, aber was spielt das für eine Rolle, wenn der Rest perfekt ist?!. Sie singt die Rusalka nicht nur, SIE IST RUSALKA. Mit berückend schönen piani und einem herrlich flehentlichen Lied an den Mond (das auf deutsch einfach nicht wirkt), sang sie sich ganz tief in die Herzen des Auditoriums. Hätte Dvorak ihre Stimme gekannt, er hätte das Libretto umgeschrieben, ihr eine andere Behinderung als Stummheit gegeben (Kleinwuchs oder so) und hätte noch ein Liebesduett Prinz-Rusalka komponiert. So begnügte man sich eben mit dem Gesang von Passows bloßer Gegenwart, denn die Frau hat nicht nur eine tolle Stimme, sondern auch eine omnipräsente Ausstrahlung.

Leicht gehemmt wirkte Marek WOJCIECHOWSKI, der dem Wassermann seinen schönen, höhensicheren Baß schenkte. Man wünscht sich, daß er noch ein wenig mehr aus sich heraus geht. Dennoch hat auch er eine tolle Ausstrahlung und die richtige Statur.

Markus PETSCH überzeugte als Prinz. Mit seiner baritonal gefärbten, etwas flackerigen Stimme, die in der Höhe sehr rein klingt, stellte er die innere Zerrissenheit gut dar. Sehr eindringlich war seine Schmähung gegenüber der armen Wasserfrau. Er müßte noch etwas an seiner Bühnenpräsenz arbeiten, denn er sah manchmal mehr wie ein Balletttänzer aus denn wie ein Prinz, was auch durch seine enge Kleidung begünstigt wurde.

Dorothea GEIPEL fehlt die Abgründigkeit, um die Hexe Jezibaba glaubhaft auf die Bühne zu bringen, auch wenn die Partie an sich nicht wirklich böse ist. Ähnlich verhält es sich mit Nancy WEIßBACH, die bei der fremden Fürstin das stiefmütterlich-klischeehafte Element mehr hätte herausarbeiten müssen.

Christian HEES fiel hauptsächlich durch lang gedehnte e's, eine leicht nervige Charaktertenor-Stimme und seinen ausgestopften Bauch auf. Ulrike LUDEWIG gab den Küchenjungen, wie in der Inszenierung vorgesehen, quirlig-burlesk. Petra NADVORNIK übertönte als 1. Nymphe ihre Kolleginnen Ulrike Johanna JÖRIS (2.) und Barbara HEISING (3.). Tomoji OKIOTAs Jäger fiel nicht weiter auf.

Einen weiteren Glanzpunkt setzte der neue GMD Jörg PITSCHMANN, der mit der MECKLENBURGISCHEN STAATSKAPELLE SCHWERIN ein Höchstmaß an Inspiration zauberte. Er ließ das Orchester explodieren, schmachten, schwelgen, dahinplätschern, wie es die Partitur eben vorsieht. Nur etwas weniger Lautstärke an einigen Stellen, könnte nicht schaden. Unter Michael JUNGE machte der CHOR DES MECKLENBURGISCHEN STAATSTHEATERS seinen kurzen Einsatz gut. Auch das EXTRA-BALLETT des Hauses kann sich sehen lassen. Wolfgang Schmoller