"DON CARLOS" - 20. Juli 2003

In diesem Jahr boten die Schweriner Schloßfestspiele Verdis „Don Carlos“. Zu den Positiva dieser Open Air-Vorstellungen gehören immer das wirklich wunderschöne Ambiente zwischen den historischen Gebäuden des Theaters und des Museums, dessen Freitreppe mit als Spielfläche dient sowie des Schweriner Sees. Lutz KREISEL hat den Raum perfekt genutzt für die szenische Einrichtung; Olaf ZOMBECK schuf historische, prächtige Kostüme.

Ebenfalls größtenteils positiv ist die Inszenierung von Werner SALADIN zu werten, der die Massenszenen sehr erfolgreich arrangiert und dem auch ein paar hübsche Einfälle für die Personenregie hat. Wenn Philipp und Eboli während Elisabeths erster Arie sehr sprechende Blicke wechseln, oder die verbrennenden Ketzer am Ende der Autodafé-Szene in lautes Schreien ausbrechen, handelt es sich nicht mehr um ein reines Spektakel, sondern interessantes Theater. Sehr wirkungsvolle auch die Idee, einen von Philipps Schergen die Fahne der Deputierten zerbrechen zu lassen, was diese dann jedoch keineswegs daran hindert, fast trotzig die Reste zu schwenken. Die Stimme vom Himmel ist eine Mystikerin, die bereits zu Beginn der Autodafé-Szene durch ihre enorme Präsenz auffällt. Ingeborg OTTO singt mit klarer Stimme und bleibt einem durch ihre Darstellung in dauerhafter Erinnerung.

Unter diesen Umständen fallen ein paar kleinere handwerkliche Fehler nicht sehr ins Gewicht, wenn z. B. Eboli zur Einleitung von Philipps Arie das Kästchen der Königin bringt, nach rechts abgeht und dann von links wieder auftritt. Viel störender fiel auf die gespielte Version auf. Es wurde die italienische vieraktige Fassung gespielt, ergänzt um den Maskentausch von Königin und Eboli. Allerdings waren zahllose Striche (insbesondere in den Cavantinen des zweiten Bildes und den Duetten) zu beklagen, manche gar ohne jeden Sinn. Wenn Philipp bei seinem letzten Auftritt sein „Si, per sempre“ schmettert, vorher zwischen Elisabeth und Carlos jedoch keine Rede von „Addio per sempre“ gewesen ist, fehlt seinem Text jeglicher Bezug.

Bei den Sängern sind an erster Stelle die drei Bässe zu nennen, allen voran der Philipp von Petri LINDROOS. Der Baß sang mit warmtimbrierter Stimme und präsentem Spiel einen noch gar nicht so resignierten König, der offenbar nach Möglichkeiten sucht, aus dem Machtkorsett, was er auferlegt erhielt, zu entkommen, jedoch einsehen muß, daß dieses nicht möglich ist. Die Szene mit dem Großinquisitor von Malcolm SMITH war der absolute Höhepunkt des Abends. Smiths Stimme weist schon einen leicht brüchigen Klang auf, aber in dieser Rolle ist das nicht schlimm, wenn denn wie hier noch alle Töne kommen. Zudem war er erschreckend realistisch in seiner Darstellung. Schließlich auf dem gleichen Niveau Thorsten GRÜMBEL als Mönch, der bereits bei seinen ersten Tönen aufhorchen ließ. Da klang nichts ausgesungen oder überfordert, wie man es häufig in dieser Partie hört, sondern purer Wohlklang gepaart mit Autorität.

Auch die Damen boten ein ordentliches Niveau. Therese RENICK wartete als Eboli mit einem sehr dunkel timbrierten Mezzo auf, dem vielleicht die Koloraturen nicht ganz so leicht fielen, die aber durch ihren direkten Zugang zur Rolle beeindruckte. Der verrutschte Ton am Schluß von „O don fatale“ war ein Unfall, der passieren kann, und der geschickt kaschiert wurde. Die Elisabeth von Eva Maria TERSSON hatte in der oberen Mittellage einige Schärfen aufzuweisen, teilweise klang auch die Stimme recht hart. Sie hatte jedoch viel Power und unterlag nicht dem verbreiteten Irrtum, Elisabeth als armes Hascherl darzustellen. Ulrike Johanna JÖRIS machte gesanglich und darstellerisch alles aus dem Tebaldo.

Leider war es um die Besetzung von Carlos und Posa nicht gut bestellt. Bruno BALMELLI als Posa hatte wenigstens zu Beginn einige ansprechende Töne, fiel dann aber immer weiter ab. Abgesehen davon, daß er sich in seinem Kostüm nicht zu bewegen wußte, fehlte ihm das Vermögen zu differenzieren, er sang gleichförmig vor sich hin, so daß man sich fragte, ob er überhaupt wußte, worum es in dieser Rolle geht. An einigen Stellen konnte man Anzeichen von Überforderung hören. Dies war jedoch noch gar nichts gegen die indiskutable Leistung von Maurizio GRAZIANI in der Titelrolle. Es stellte sich sehr die Frage, warum der Sänger so selbstverliebt über die Bühne stolzierte, denn dazu hatte er wahrlich keinen Grund. Brüllte er zu Beginn sich durch die Partie, versuchte er später einige Piani, die dann prompt in heiseren verkratzten Tönen endeten. Auch er schien nicht zu wissen, um was es in seiner Rolle eigentlich geht.

Lerma war mit Kay-Gunter PUSCH rollendeckend besetzt. Die flanderischen Deputierten (Hans-Joachim HÖLPER, Mateusz KABALA, Eckhard SCHEGLMANN, Michail TSCHERGOFF, Dietmar UNGER und Erich ZDECHLIKIEWITZ) ergänzten nicht sehr homogen, aber mit angemessenem Spiel.

Die Chöre (CHOR DES MECKLENBURGISCHE STAATSTHEATERS SCHWERIN, RACHWAL-CHOR, SCHWERINER SINGAKADEMIE E.V. und EXTRACHOR) erledigten ihre Aufgaben auf hohem Niveau (Leitung Michael JUNGE). Die MECKLENBURGISCHE STAATSKAPELLE SCHWERIN spielte unter der Leitung von Jörg PITSCHMANN fast tadellos. Auch der Zusammenhalt zwischen Bühne und dem etwas entfernt plazierten Orchester funktionierte. Daß es die eine oder andere Stelle mehr Brio hätte vertragen können, steht auf einem anderen Blatt, aber bei diesen Bedingungen ist dies schon fast zuviel verlangt. MK