"UN BALLO IN MASCHERA" - 17. Juli 2004

In der nunmehr fünften Spielzeit von open-air-Vorstellungen im Alten Garten in Schwerin litten die Schloßfestspiele, wie alle Veranstaltungen dieser Art, an dem schlechten Wetter. Wir hatten allerdings Glück, es war ein herrlicher Sommerabend, bis in den letzten zehn Minuten Regen einsetzte.

Die Inszenierung von Bernd Reiner KRIEGER verfügt mit dem Bühnenbild von Lutz KREISEL über eine reizvolle Spielfläche. Zum Schweriner See hin steigt die Bühne an. Dort befindet sich der Galgenberg. Seitlich zu sehen sind zahlreiche rote Holzvögel, darunter sitzt das Orchester. Das Museum hinter der Bühne spielt den Riksdag. Die Natur tut ihr übrigens, wenn zu Gustavos Lied bei Ulrica plötzlich die echten Möwen und Schwalben zum Flug über das Publikum ansetzen, oder die Verschwörer umgeben von einem Schwarm Mücken erscheinen. Die Kostüme von Giselher PILZ pendeln etwas unentschlossen zwischen Ende des 18. Jahrhunderts und Zeitlosigkeit.

Der Auftritt der Verschwörer am Galgenberg unter dem Galgen aus dem Nebel kommend ist schön schaurig, Ulricas Auftritt in einer Art Jahrmarktswagen ist eine gute Idee; was allerdings die verschiedenen schwarz-weißen Figuren mit und ohne Stelzen auf dem Maskenbild symbolisieren sollten, hat sich mir bis jetzt nicht offenbart. Die Personenregie hätte in manchen Szenen ausgefeilter sein können; es muß wirklich nicht sein, daß sich Amelia und Gustavo beim leidenschaftlichsten Liebesduett, das Verdi geschrieben hat, nicht nur an unterschiedlichen Seiten der Bühne befinden, sondern sich auch noch den Rücken zuwenden.

Gespielt wird die schwedische Fassung, wobei der Bariton auch nicht mehr Renato heißt, sondern vornamenslos lediglich Graf Anckarström. Das sorgt für einen Moment unfreiwilliger Komik, wenn nach der Losszene in Gesellschaft der Grafen Ackarström, Ribbing und Horn verkündet wird, auf dem Los stünde ”Il conte”.

Die Besprechung der musikalischen Seite steht unter dem Vorbehalt, daß in diesem Jahr die Tonanlage nicht gerade in Hochform zu sein schien. Da klang vieles dumpf, wie unter einem Deckel gehalten. Zudem wurde der Klang leise und verzerrt, sobald die Sänger sich mit dem Gesicht zum Orchester stellten; das sollte eigentlich nicht passieren, wenn Mikrophone eingesetzt werden. Speziell das Mikro von Amelia gab mehrfach Störgeräusche von sich.

José AZOCAR hat eigentlich alles, um einen erstklassigen Gustavo zu singen: gute Phrasierung, ein individuelles dunkles Timbre und Wissen um die Rolle. Zudem hinterläßt er einen ausgesprochen sympathischen Eindruck, aber leider hatte er mit einigen Tönen zu kämpfen, von denen ihm – ausgerechnet in der großen Arie – zwei völlig wegbrachen. Es ist zu hoffen, daß es sich um eine wettermäßige Indisposition handelte und nicht um ein dauerhaftes gesangstechnisches Problem.

Die gesangliche Krone des Abends gehört zweifellos Michele KALMANDI als Anckarström, der die Partie mit weich strömendem Bariton sang. Ein so gut und klug phrasiertes ”Eri tu” hört man nicht alle Tage. Das Hin- und Hergerissensein zwischen Zorn und Verletztheit war ergreifend, ebenso wie zu Beginn die abgeklärte Nachsicht gegenüber den Eskapaden seines Königs.

Auf gleichem hohem Niveau die Amelia von Tatiana CHIVAROVA. Sie spann wunderschöne Lyrismen, scheute auch piani nicht und schien in dieser Rolle stimmlich wesentlich besser zuhause zu sein als 2001 als Abigaille. Sie schaffte es, Amelia vom Ruch des armen Hascherls zu befreien, indem sie die Rolle zupackender sang, als man es gewohnt ist. Sie setzte sich auch mehrfach gegenüber dem unsensiblen Dirigat durch.

Weniger erfreulich war die Ulrica von Hermine MAY. Von Bedrohlichkeit oder wenigstens einer mysteriösen Erscheinung war weder in Spiel noch Stimme irgendeine Spur, stattdessen zeigte sie rhythmische Unsicherheiten. Petra NADVORNIK (Oscar) sprang fröhlich über die Bühne, die Stimme wirkte jedoch recht klein und in der Höhe dünn.

Ein echtes Vergnügen war es, den beiden Verschwörern Martin WINKLER (Ribbing) und Marek WOJCIECHOWSKI (Horn) zuzusehen. Winkler, etwas knorriger im Ton, und Wojciechowski mit der eleganteren Stimme ergänzten sich großartig im Zusammenspiel und gefährlicher Ironie in den Kehlen.

Der Cristiano von Herman WALLÈN fiel positiv auf durch seine lebendige Darstellung. Als Richter und Diener ergänzten Christian HEES (gut) und Michael MARZALEK (solide).

Wermutstropfen des musikalisch eigentlich erfreulichen Abends war das Dirigat von Dietger HOLM, der ausgesprochen schleppende Tempi wählte und nur in den seltensten Fällen das Gefühlschaos auf der Bühne auch im Orchester stattfinden ließ. Hinzu kommt, daß es mehr als einmal Koordinationsprobleme mit den Sängern gab. Es kam auch wenig Hilfestellung vom Dirigenten, wenn Problemen auftraten, speziell beim Tenor.

Die MECKLENBURGISCHE STAATSKAPELLE SCHWERIN spielte ohne größere Patzer, die Chöre (OPERNCHOR und EXTRACHOR DES MECKLENBURGISCHEN STAATSTHEATERS SCHWERIN; RACHWAL-CHOR, SCHWERINER SINGAKADEMIE E.V.) unter der Leitung von Michael JUNGE klangen zu Beginn etwas stimmschwach, was aber auch an einer ungenügenden Verstärkung liegen könnte. Ab dem Galgenberg hatte sich dieses Manko gegeben.

Wegen des einsetzenden Regens gab es weniger Applaus als verdient. Im nächsten Jahr steht ”Rigoletto” auf dem Programm. Dann sollte auch einmal über die Gestaltung des Programmheftes nachgedacht werden: Schwarze Schrift auf dunklem Untergrund liest sich bei der vorhandenen Beleuchtung in der Pause, wenn die Dunkelheit bereits eingesetzt hat, nicht sehr gut. Eine solche Veranstaltung richtet sich auch an Leute, die nicht ständig in die Oper gehen. Die wollen vielleicht noch die Handlung der zweiten Hälfte schnell nachlesen, anstatt sie sich nach Wiedereinsetzen der Musik vom Nachbarn erzählen zu lassen... MK