"ZEITREISEN" - 27. August 2009

An zwei Abenden in Lüneburg und Rellingen ging es hauptsächlich um jüdische Komponisten und um jeweils einen bestimmten Ort - und doch hätten die Gegensätze kaum größer sein können.

Nichts von dem doch sehr großbürgerlichen Ambiente des Konzertes in Lüneburg war beim Konzert von Anne SofieVON OTTER, Daniel HOPE und Bengt FORSBERG am 27 August in der Rellinger Kirche mehr vorhanden. Hier ging es um Musik in Theresienstadt, um die nackte Existenz ohne Happy End, denn von den aufgeführten Komponisten überlebte nur Karel Berman den zwangsläufig irgendwann erfolgenden Transport in die Vernichtungslager.

Berman, später einer der führenden Bassisten des Prager Nationaltheaters, hat nur weniges komponiert, u.a. eine Klaviersuite "1938-45 Reminiscences", in der er seine Erlebnisse sehr direkt verarbeitete, die einzelnen Teile beziehen sich jeweils auf bestimmte Stationen dieser Zeit. Vier pianistisch höchst anspruchsvolle Sätze daraus ließen einen mit den Möglichkeiten des Instrumentes sehr genau vertrauten Musiker erkennen, wenn auch nicht unbedingt einen bedeutenden Komponisten.

Aber darum ging es hier ohnehin nicht. Der Abend sollte eine Zusammenfassung des Theresienstädter Musiklebens geben, bei dem auch das Kabarett nicht fehlte (der Spruch "Humor ist, wenn man trotzdem lacht" wird dabei zur fürchterlichen Wahrheit). Als Texter und Komponist fungierte zumeist Karel Švenk (1917-45), der hier mit dem "Terezin-Marsch" vertreten war. Ebenfalls in diese Richtung gehört das "Terezin-Lied", ein an Sarkasmus kaum zu überbietender anonymer Text auf Musik aus Kálmáns "Gräfin Mariza".

Vieles der unter den Gegebenheiten ungeheuer starken Kreativität ist verloren gegangen, weil die Originale genauso wenig überlebten wie ihre Schöpfer, und Drucke kaum stattfanden. So hat sich von Robert Dauber und Carlo Sigmund Taube nur je eine Komposition erhalten, eine hochromantische Serenade für Violine und Klavier und ein Lied. Viktor Ullmann und Pavel Haas sind dagegen auch heute noch bekannte Namen, anerkannte Komponisten auch über den historischen Kontext hinaus. Von Ullmann waren einige Lieder zu hören, von Haas - leider nur - ein Satz aus der Klaviersuite op. 13.

Nicht zum "offiziellen" Musikleben Theresienstadts gehörte Ilse Weber, die eigentlich Kinderbuchautorin war. Sie schrieb ihre Lieder für die Kinder der Krankenstation, die sie später freiwillig nach Auschwitz begleitete. Komplettiert wurde der Abend mit Werken von Erwin Schulhoff, obwohl er als einziger nicht in Theresienstadt, sondern in einem Lager für sowjetische Zivilisten interniert war (er hatte als überzeugter Kommunist die sowjetische Staatsbürgerschaft angenommen) und dort 1942 an Tuberkulose starb. Die je zwei Sätze aus den Sonaten für Violine solo und Violine und Klavier sowie zwei Lieder stammen aus den Jahren 1927 bzw. 1913 und sprengten insofern ein wenig den zeitlichen Rahmen, blieben ob ihrer expressiven, harmonisch kühnen Tonsprache aber nachhaltig haften.

Für Anne Sofie von Otter war das Programm erkennbar mehr als nur irgendein Konzert, was nicht nur an der ungeheuer intensiven Gestaltung, sondern auch an den jeweils erklärenden Zwischentexten erkennbar war. Ihr Vater war als schwedischer Diplomat von einem SS-Offizier sehr genau über die Vernichtungslager aufgeklärt worden, und sie hat den in Schweden lebenden älteren Sohn Ilse Webers kennengelernt.

In Bengt Forsberg und Daniel Hope hatte sie zwei engagierte Mitstreiter gefunden, zu denen sich als vierter Mann Bebe RISENFORS gesellte, der bei Bedarf Akkordeon, Baß und Gitarre beisteuerte. HK