"JOHANNESPASSION" - 16. Juli 2009

"Von der Kunst zum Kunstgewerbe" - das ist natürlich eine etwas pauschale Beschreibung, aber sie scheint mir von den Eckpunkten her doch recht genau den Weg von Robert WILSON zu beschreiben. Am Beginn seiner europäischen Karriere standen wegweisende Theaterinszenierungen wie "Alice in Wonderland" oder "Black Rider", in der Oper begann er 1990 in Hamburg mit einem damals sehr verstörenden "Parsifal", dessen Anlehnung an die stilisierten Bilderwelten eines Wieland Wagner sich erst später erschloß. Es folgten u. a. "Lohengrin" in Zürich und ein wunderbarer "Pelleas" in Salzburg, bei dem Wilsons verrätselte Bilderwelten genau den Rätseln des Stückes entsprachen.

Was er jetzt in Kiel auf die Bühne brachte war leider nur noch ein müder Abklatsch davon. Im obligaten Wilson'schen Blau und den ebenso obligaten Kostümen von Frida PARMEGGIANI (irgendwo zwischen Stilisierung und Sandalenfilm diesmal) wurde brav die Handlung nacherzählt, reduziert natürlich auf die Bewegungen und Haltungen, die nun schon auch nicht mehr neu sind, sondern allein der Pflege des Kunstdenkmals Robert Wilson zu dienen scheinen. Ich habe selten einen Abend erlebt, bei dem mir die Schnellebigkeit des Theaters und künstlerische Erschöpfung infolge permanenter Wiederholung so deutlich geworden ist.

Obendrein konnte auch die musikalische Seite nicht wirklich befriedigen. Die Pariser Premiere der Produktion im Jahr 2007 hatte mit Emmanuelle Haim eine wirkliche Alte-Musik-Spezialistin geleitet. In Kiel war es Festival-Intendant Rolf BECK - der ja gelernter Chorleiter ist - der bei einem solchen Prestigeobjekt natürlich nicht fehlen wollte, zumal er ohnehin bereits die Übernahme in Vilnius dirigiert hatte.

Ausgezeichnet die Einstudierung des SCHLESWIG-HOLSTEIN FESTIVAL CHORes. Da stimmte jede Koloratur auch im größten Tempo, was bei einem ja nur für die Spielzeit zusammengestellten Ensemble schon erstaunlich war, und auch die Aussprache der international bunt gewürfelten Truppe war tadellos. Ob sie allerdings immer wirklich wußten, was sie da sangen? Vieles hörte sich mechanisch und zwar technisch erstklassig bewältigt aber kaum musikalisch durchdrungen.

Und im SCHLESWIG-HOLSTEIN FESTIVAL ORCHESTER war besonders in den Streichersoli der Arien eine anscheinend geringe Erfahrung mit alter Musik nicht zu überhören; das klang nach Arbeit. Und Becks Dirigat ließ trotz durchgehend flotter Tempi nicht jene musikantische Stringenz aufkommen, bei der man gerne auch einmal technische Unzulänglichkeiten überhört.

Gesungen wurde von Mitgliedern des Meisterkurses von Alison Browner. Man hatte also von vornherein auf "Namen" verzichtet, was im Prinzip im Festival-Rahmen zu begrüßen ist. Beim extremen Gefälle im Niveau hätte man sich aber doch überlegen sollen, wen man da auf die Bühne läßt, oder wen man vielleicht doch besser ersetzt; eine Sopranistin mit zu kleiner, ständig die Töne leicht von unten ansingender Stimme, ein Bassist, der mit seinen Arien schlicht überfordert wirkte und ein Pilatus mit häßlichem, kaum einer Stimmlage zuzuordnenden Timbre - das entspricht nicht dem eigenen Anspruch des Festivals.

Dominik KÖNINGER ließ als Christus immerhin ein schönes Timbre hören, kämpfte allerdings mit der für seinen Bariton mitunter zu tiefen Tessitura. Wirklich merken sollte man sich zwei Namen: die Altistin Sophie HARMSEN demonstrierte mit "Es ist vollbracht", wie man Bach technisch perfekt UND musikalisch erfüllt singt. Und Benjamin BRUNS gab einen Evangelisten der Sonderklasse mit wunderbarer Diktion und ebensolcher Phrasierung, in der jedes Wort seine Bedeutung bekam. Da Bruns bereits zum Ensemble der Kölner Oper gehört und in den nächsten Jahren über Dresden nach Wien geht, dürften wir ihm mit Sicherheit wieder begegnen. HK