Brabant liegt ca. 30 min südöstlich von Bielefeld.

Okay, geografisch gesehen, mag dies nicht korrekt sein. Musikalisch stimmt es allemal. Die “Lohengrin”-Produktion am Landestheater Detmold entführte das Publikum am 13. Dezember 2003 jedenfalls für gute vier Stunden an das Ufer der Schelde.

Jan-Richard KEHL hat mit seiner Inszenierung eine gute Arbeit auf die Bühne gebracht. Die Beziehungen zwischen den einzelnen Figuren sind exakt ausgearbeitet und vermitteln eine interessante Sichtweise, in deren Mittelpunkt Ortrud steht. Sie animiert erst Gottfried (während des inszenierten Vorspiels), dann Elsa zum Fragen, Hinterfragen der als gottgegeben angesehenen Umstände. Der Konflikt zwischen alt und neu, dem germanischen Götterkult und dem Christentum wird durch ihr Verhalten belebt. Ebendies macht die Produktion aktuell, ohne daß auf überzogene Modernisierung gedrungen wird. Eine beachtliche Leistung!

Elsa liest Marion Zimmer-Bradley, und Lohengrin besiegt den Grafen von Telramund im Gotteskampf nur durch billigen Hokuspokus. (Nur Telramund schwingt, geblendet von einem hellen Licht, sein Schwert, während der rettende Ritter sich im Hintergrund hält.)

Das Bühnenbild (Michael ENGEL) ist einfach und praktikabel gehalten. Weiße Fassadenteile, die gotisch anmuten, sind variabel bewegbar, so daß jeder Schauplatz der Handlung ohne große Mühe geschaffen wird. Die weitere Ausstattung ist minimalistisch, was nicht störend ist, sondern der Fantasie des Betrachters Raum läßt. Passend dazu hat Claudia HEINRIG Kostüme geschaffen, die von einer dunklen, militärisch orientierten Gesellschaft künden, in der die weiße, weibliche Seite selten Raum findet.

Der musikalische Erfolg des Abends ist in erster Linie ein Verdienst des Detmolder GMDs Erich WÄCHTER. Er zauberte eine ausgereifte musikalische Interpretation, die vom ORCHESTER DES LANDESTHEATERS exzellent wiedergegeben wurde. Missgriffe blieben eine Seltenheit. Das Vorspiel zum dritten Akt gelang famos. Zu diesem sinfonischen Vergnügen kam eine souveräne Unterstützung des Ensembles auf der Bühne.

Gesanglich und darstellerisch gehörte der Abend der Ortrud von Margo WEISKAM. Welche Stimmkraft! Welche Ausstrahlung! Sie war mit Ortruds Dauerpräsenz keineswegs überfordert, sondern nutzte dies geschickt, um ein ausgereiftes Rollenporträt fern von dem üblichen rein bösen Weib zu zeichnen. Ihre Stimme klang nie angestrengt, sondern bewältigte alle musikalischen Aspekte der Partie.

Ulf PAULSEN gelang es, Telramund gegen diese geballte Frauenpower nicht untergehen zu lassen. Zwar haperte es in den höheren Lagen, doch der schöne, satte Klang der tieferen Töne machte dieses Manko vergessen. Die geschlossene, runde Darstellung brachte dem Grafen etliche Sympathiepunkte.

Der Titelheld des Abends ließ bereits bei seinem ersten Auftritt die Mundwinkel zucken. Alexei N. VAVILOV ist schon ein Bild von einem Tenorklischee. Sein häufiges Rampenstehen und Töne-ins-Publikumschleudern trug maßgeblich zu diesem Eindruck bei. Ihm scheint die Heldenpose zu liegen. Schöner wäre es allerdings gewesen, wenn er sich daran erinnert hätte, daß er nicht allein auf der Bühne steht.Stimmlich versprach er am Anfang mehr, als er über die Dauer des Abends halten konnte. Die anfangs schön strahlende Höhe wurde schnell forciert. Hinzu kamen - insbesondere im Brautgemach - unsaubere Phrasen und Vokalverfärbungen. Alles in allem eine Leistung, die zu wenig für einen guten Lohengrin ist.

Die Elsa von Brigitte BAUMA hinterließ einen zwiespältigen Eindruck. Über weite Strecken wirkte sie stimmlich überfordert. Ihre Stimme klang dann grell und häufig unkoordiniert geführt. In der Darstellung blieb sie meist blaß. Während der Szene vor dem Münster und auch im Brautgemach brachte sie allerdings die Partie mit einer nicht vermuteten Kraft und Inbrunst über die Rampe.

Vladimir MIAKOTINE und Oliver WEIDINGER waren als Heinrich und Heerufer ein echtes Dreamteam. Bei ersterem fehlt noch eine gleichbleibene stimmliche Souveränität und Kraft. Einiges verrutscht, während anderes, auch schwierigeres, bereits sicher sitzt. Besonders schön gelang ihm das Gebet im ersten Akt. Oliver Weidinger verfügt über ausreichend Stimme und Erfahrung, um dem Heerrufer Gehör und Beachtung zu verschaffen.

Toll war auch Vladimir KARADJOV als Gottfried. Bei seinen beiden kurzen Auftritten – während des Vorspiels und am Ende des Abends – zeigte er eine bemerkenswert natürliche Bühnenpräsenz und Lockerheit.

Die vier brabantischen Edlen (Bruno GEBAUER, Fabian RABSCH, Matthias NENNER, Joachim GOLTZ) und die vier Edelknaben (Nina FELDMANN, Melanie HIRSCH, Kirsten HÖNER ZU SIEDERDISSEN, Simone TSCHÖKE) trugen ihren maßgeblichen Teil zum guten Eindruck des Abends bei.

Beim CHOR und EXTRACHOR DES LANDESTHEATERS, den Mitglieder von CORUSO e.V. und dem ERSTEN DEUTSCHEN FREIEN OPERNCHOR e.V. (Einstudierung: Felix LEMKE) gab es Schwachpunkte im weiblichen Teil. Dort fehlte es hin und wieder an gesanglicher Eintracht. Die Herren zeigten sich dagegen zumeist von schöner Einigkeit und stimmlicher Kraft. Der Weg nach Detmold hat sich gelohnt.

Man bekam eine Wagner-Interpretation, wie man sie sich wünscht: musikalisch rund, über weite Strecken wortdeutlich und textverständlich, ohne überzogene, schlecht gemachte Regieinterpretation – eben einfach schön, zum Zurücklehnen und Genießen. Vielen Dank! AHS