„FIDELIO“ - 18. Oktober 2003

Im Geflecht von Balken und Intrigen...

Kerstin HOLDTs Inszenierung von Beethovens „Fidelio“ ist kein Hohelied der Gattenliebe, sondern ein Opus über das Gefangensein des Menschen, das Anrennen gegen Unterdrückung und das Hoffen auf eine Zukunft ohne Willkür in Gerechtigkeit. Die junge Regisseurin bringt zum zweiten Mal nach 1998 in Ulm einen „Fidelio“ auf die Bühne. Erneut arbeitet sie dabei mit Paul ZOLLEr zusammen, mit dem sie sowohl „Fidelio“ als auch „Madame Butterfly“ und 2001 Wagner in Wels produzierte. Der Ausstatter konstruiert einen Hochregal ähnlichen, durch Alubalken und Leitern variable Raum, in dem sich die Balken so bewegen lassen, daß sie Symbol sind für Kerker und somit begrenzen.

Holdt zeichnet darin ideenreich zeitlose Bilder, die Beethovens fast zweihundertjährige „Freiheitsoper“ sehr heutig, aktuell und brisant erscheinen lassen. Eine Frau in Männerkleidern befreit mutig ihren Mann aus politischer Haft und trägt dazu bei, daß die Gerechtigkeit siegt. Wieviel ist ihr Erfolg aber wert, wenn sie aus dem aktuellen Scheinwerferlicht tritt?

Selbst Pizarro, der nach Rache und Vergeltung Dürstende, der noch eine Rechnung mit seinem Intimfeind Florestan offen hat, packt im Finale seinen Angelkoffer und sitzt seine Amtsenthebung durch den Minister (stimmlich kultiviert und sicher: Andreas JÖREN) aus. Bis er wieder gerufen wird? Kai GÜNTHER baut nuanciert Spannung auf, singt kraftvoll phrasierend mit schönen Piani, präsenten Höhen und gefällig bis in die Tiefen. Viola ROLLER stellt sich mit stimmlichem Glanz, Kraft in den Spitzen und ausladendem Vibrato bravourös der beinah mörderischen Fidelio-Partie. Mit Eindringlichkeit gestaltet sie die lyrische Passagen, um sich wenig später wild-dramatisch, ihr ganzes stimmliches Potential nutzend, auszubrechen.

Kerstin PETTERSSON gibt mit schlank geführtem Sopran und textverständlich eine glaubwürdige, natürliche Marzelline. Anrührend ihr Liebessehnen, wenn der Vorhang zum Brautschleier wird. Diese Marzelline ist letztlich vielleicht die am stärksten Betrogene der Oper. Ihr zur Seite steht sowohl als Tenor kultiviert als auch seinen Frust heraussingender Xiaotong HAN als Jaquino, dem ebenfalls eine Liebe stirbt. Der Rocco Gijs NIJKAMPs agiert stimmlich sicher und darstellerisch respektabel; ein Diener seines Herrn, der Häftlinge zwar verhungern läßt, sich mit Mord aber nicht die Finger beschmutzen will. Das Grabausheben reicht.

Kerstin Holdt baut Bilder auf, die anrühren. So wenn im Hintergrund von Florestans (ergreifend: Gunther HENZE) Gefängnisgruft Szenen besserer Zeiten ablaufen oder die Gefangenen ein Quentchen Hoffnung schöpfen, wenn sie sich beim Freigang mit Frauenkleidern im Arm im Tanze drehen. Und gelegentlich wirft sie dem Zuschauer zwischen Bananen, Umzugskartons und gebrochenem Honigkuchenherz Denkfutter hin.

Das ORCHESTER unter Johannes RIEGER musiziert präzise, mal mit Dramatik, mal eher pathetisch, manchmal fast zu schön-hoffnungsfroh für solch einen Stoff, aber durchgehend konzentriert und leidenschaftlich akzentuiert. Dabei achtet Rieger darauf, das die zuweilen satte Beethoven-Wucht weder Solisten noch dem glänzend disponierten CHOR (Leitung: Marbod KAISER) zudeckt.

Standing Ovations im fast ausverkauften Haus für das Sänger-Ensemble. Uwe Kraus