"TURANDOT" - 10. Oktober 2004

Im frisch renovierten Bremer Theater am Goetheplatz wurde dem Publikum als erste Premiere der Saison eine „Turandot“ serviert. Und für diese Aufgabe holte man sich zum ersten Mal den Regisseur Peer BOYSEN ans Haus, der auch für die Bühne und die Kostüme verantwortlich zeichnete.

Wie schon bei seiner Münchner „Catone in Utica“ Produktion platziert Boysen das Orchester auf der Bühne. Dafür wandert der Chor, in Blaumännern und Maokappen in den Graben und bleibt bis auf die Köpfe unsichtbar, nur ein Steg führt über sie hinweg. Der Prunk der Instrumente und die Musiker in lila Hemden machen auf der, ansonsten eher leeren, Bühne mehr her.

Boysen ist bekannt für seine sehr differenzierte Personenführung und seinen genauen Blick. So fordert er auch hier von seinen Sängern eine genaue Darstellung der Figuren. Als da wäre Liu, die im Matrosenkleidchen als schlankes blutjunges Mädchen die Bühne betritt, und nach dem Geständnis ihrer Liebe Calaf geradezu bedrängt. Dies ist nicht die schüchterne Sklavin, aufopferungsvoll und selbstlos. Diese Liu sieht ihre Chance gekommen, Calaf für sich zu gewinnen. Nur das der ihr fast mit Ekel und Abwehr entflieht, was leider seine Anteilnahme für ihr Leiden („Non piangere, Liu“) irgendwie widersprüchlich erscheinen läßt.

Überhaupt Calaf. Er wird uns als Intellektueller mit Nickelbrille und leicht abgetragenem Frack vorgeführt. Beinahe wie ein Phileas Fogg, der auf seiner Reise im 80 Tagen um die Welt, schon etwas ermüdet, in China gelandet ist, wo er eben noch drei Rätsel lösen muß. Dies ist die Herausforderung, die ihn reizt, und da kann ihn auch Liu nicht ablenken, die während des Rätsellösens wiederum nicht die Finger von ihm lassen kann. Die Tatsache, daß der Preis der Bemühungen eine Frau ist, wird erst durch ein weiteres Rätsel richtig spannend. Daß so ein Mann Turandot irritiert, eine Frau, die gewohnt ist, daß es immer nur um sie geht, ist klar. Da macht sie schon im 1. Akt, bevor sie überhaupt dran ist, auf kokettierenden Vamp, erzählt später die anrührende Geschichte ihrer Ahnin, und nach all den feschen Prinzen steht nun der da. Natürlich sorgt das bei ihr für Verwirrung und Aufbegehren. Den wollte sie nun wirklich nicht haben, das Spiel droht ihr zu entgleiten. Als Liu dann in fast kindlicher Naivität die Heldin spielt ist es denn auch konsequenterweise die reife Frau Turandot, die sie bösartig zum Äußersten drängt, indem sie ihr das Messer in die Hand gibt.

In Bremen spielt man den neuen Schluss von Luciano Berio. Ebenso wie bei der Alfano-Version bleibt das schier unlösbare Problem, die Wandlung der Turandot glaubhaft zu machen. Berio gibt das Problem an der Regisseur weiter, indem er für den entscheidenden Augenblick eine Instrumentalmusik komponiert hat. Boysen läßt hier Turandot und Calaf einen imaginären Liebesakt vollziehen, der Turandot offensichtlich davon überzeugt, daß ihr kleiner Brillenträger doch nicht zu verachten ist. Innerhalb der Interpretation mag das schlüssig sein, aber der gesamte Ansatz der Figuren geht doch irgendwie an der Geschichte vorbei.

Dabei singt Nadine LEHNER die Rolle der Liu so zart und anrührend, wie man es gern hören möchte, und auch die drei Minister (Armin KOLARCZYK, Benjamin BRUNS und Mihai ZAMFIR) spielen nicht nur gut in ihren Clownskostümen, sondern bilden ein stimmlich eingespieltes Team. Carter SCOTT in der Titelrolle kämpft in der Höhe doch merklich und auch Calaf (Frank VAN AKEN) hat gegen Ende nicht mehr genug Kraft.

Lawrence RENES und die BREMER PHILHARMONIKER begleiten die Sänger gefühlvoll, ohne sie mit der klanggewaltigen Musik zu unterdrücken.

Weder Herr Boysen noch Herr Berio haben das Problem der Wandlung der „Turandot“ lösen können, und es steht zu befürchten, daß das auch so bleiben wird. Vielleicht sollte man doch, wie Toscanini in der Uraufführung, die Oper einfach mit dem Tod Lius enden lassen. Das wäre zwar unbefriedigend, aber immer noch besser als das was dann kommen kann. KS