"HAYDÈE OU LE SECRET"- 28. November 2004

Leser, die eine Oper von Daniel-François Esprit Auber gehört haben oder überhaupt per Namen kennen, sind eingeladen sich beim Autor dieses Artikels zu melden. Denn obwohl ich seit über fünfzig Jahren Opern besuche, habe ich nur eine einzige Oper von Auber gesehen, und das vor über fünfzig Jahren, „Fra Diavolo“ in Wien. Dabei hat der Mann mit den geistreichen Vornamen über fünfzig Opern komponiert, plus zahlreiche Messen, Chorwerke, Symphonien, Solokonzerte und Kammermusik und war einer der erfolgreichsten und einflußreichsten Komponisten des 19. Jahrhunderts, u.a. Nachfolger Cherubinis als Direktor des Pariser Conservatoire und Hofkapellmeister von Napoleon III.. Seine „Muette de Portici“ von 1828, d.h. drei Jahre vor Meyerbeers „Robert le Diable“ und Rossinis „Guillaume Tell“, ist immerhin die erste „Grand Opéra“, die u.a. von Wagner sehr hoch geschätzt wurde. In der vergangenen Saison hat Muti diese Oper erstmals seit Jahrzehnten an der Scala gebracht. Am 25. August 1830 begann bei einer Vorstellung der „Muette“ in Brüssel die Revolution und die Begründung Belgiens als eigenständiger Staat. Glückliche Zeiten, wo Revolutionen in der Oper gemacht wurden! „Le Domino Noir“, „Les Diamants de la Couronne“, „Fra Diavolo“ und „Gustave III“ feierten im 19. Jahrhundert in der ganzen Welt – einschließlich USA und Rußland - riesige Erfolge.

Pierre Jourdan, der rührige Direktor des Théâtre Impérial in Compiègne, hat nun, nach mehreren anderen Opern Aubers, ein völlig vergessenes Werk herausgebracht. Diesmal war es eine „Opéra comique“. (Obwohl es sehr ernst zugeht, und der Bösewicht zum Schluß abgestochen wird, besteht der Unterschied mit der „Opéra“ darin, daß es vielen gesprochenen Text gibt. „Carmen“ ist daher auch eine „Opéra comique“.) Das sehr sympathische Werk ist durchaus vertret- und aufführbar und war ein großer Erfolg. „Haÿdée“ wurde am 28. Dezember 1847 in der Salle Favart (Opéra comique) uraufgeführt und fast fünfhundertmal in Paris gespielt. Acht Monate später war die deutsche Premiere in Kassel, der München und Wien im selben Jahr folgten.

Der Text vom – fast obligaten – Libretto-Schmied der Zeit, Eugène Scribe, hat alle Charakteristika der komplizierten Intrige und erinnert an „Aïda“, denn Scribe erwog, die Titelheldin, eine erbeutete zypriotische Prinzessin, Aïdé (!!) zu nennen. „Otello“ ist auch nicht weit: ein erfolgreicher venezianischer Admiral (Lorédan) wird von einem seiner Kapitäne (Malipieri) wegen Haÿdée beneidet, während ein junger Adeliger (Andrea Donato) für besondere Tapferkeit zum Kapitän und Lorédans Nachfolger ernannt wird. Es gibt allerdings keinen Eifersuchtsmord, aber ein „Geheimnis“, denn Lorédan hatte vor Jahren seinen Gegenspieler Donato (Andreas Vater) beim Spiel betrogen und ruiniert, worauf dieser Selbstmord beging. Wegen seines schlechten Gewissens hat er sich dessen Nichte Rafaela angenommen, diese aufgezogen und plant, sie zu heiraten. Doch diese liebt ihren Cousin Andrea, während Haÿdée Lorédan liebt. Malipieri spitzt auch auf Haÿdée und will Lorédan erpressen, da er in der Schlafwandel-Szene diesem sein Testament entwendet hat, worin dieser seine Schuld zu Papier gebracht hatte. Die Handlung löst sich in eitel Wonne auf, nachdem Andrea im Duell Malipieri umbringt (hinter der Szene, die schwächste Stelle der Oper).

Musikalisch ist das Werk sehr flüssig, denn Auber ist ein großer Könner. Die Oper enthält zahlreiche Barkarolen – wir sind in Zara und Venedig, und der 2. Akt spielt auf Lorédans Admiralsschiff – Stretten und sehr gelungenen Arien und großen Schluß-Ensembles. Die oft verwendete Oboe als Soloinstrument (Rafaelas Arie „Unis par la naissance“ im 2. Akt) ist bemerkenswert, ebenso wie die graduellen Übergänge zwischen Tonarten, was zusätzliche Spannung in die Arien der bereits ziemlich spannenden Handlung bringt. Sehr eindrucksvoll ist die Schlafwandel-Szene Lorédans mit einem hohen „C“ als Höhepunkt. Die Ouvertüre zum 2. Akt spiegelt musikalisch die Seeschlacht gegen die Türken wider. Eine Barkarole Haÿdées mit Summchor der Matrosen im 2. Akt („C’est la corvette“) ist auch eine Neuigkeit für die Zeit. Alles in Allem ein sehr erfreuliches Werk.

Die Aufführung war ausgesprochen gelungen. Pierre JOURDAN führte sehr geschickt Regie und führte die junge Sängerschar mit fester Hand durch die komplexe Intrige. Er hatte den bekannten Maler Andre BRASILIER für die Bühnenbilder gewonnen, die in leichten Pastellfarben die venetianische Atmosphäre wiedergaben und vom Atelier Tristan SIMONINI sehr schön ausgeführt wurden. Sehr gelungen war das Erscheinen der Salute-Kirche am Ende des 2. Akts, wenn das Schiff von Zara nach Venedig segelt. Jean-Pierre CAPEYRON zeichnete für die sehr passenden und schönen Renaissance Kostüme.

Das ORCHESTRE FRANCAIS ALBÉRIC MAGNARD wurde von Michel SWIERCZEWSKI mit großer Intensität und viel Schwung geleitet. Swierczewski ist ein Kenner dieser Musik, denn er hat hier bereits vor einigen Jahren Aubers „Le Domino noir“ mit großem Erfolg geleitet. Der kleine Chor FIAT CANTUS wurde von Samuel JEAN ausgezeichnet einstudiert.

Die Sänger waren durchwegs sehr gut. In der Titelrolle brillierte die junge Isabelle PHILIPPE, die fulminant die schwierigen Koloraturen meisterte. Sie spielte auch ausgezeichnet, sehr verhalten die heimlich liebende Zypriotin. Als Rafaela war Anne-Sophie SCHMIDT zu sehen, eine Rolle, die für ihre Stimme fast zu lyrisch ist. Trotzdem gelang ihr die Charakterisierung des jungen Mädchens bestens. Das Duett mit Haÿdée war ein Leckerbissen bester Gesangskultur.

Bruno COMPARETTI beeindruckte uns bereits als „Postillon de Longjumeau“ vor einem Jahr. In der schwereren Rolle des Lorédan brillierte er und konnte sein prachtvolles Stimmaterial zeigen, einschließlich einiger hoher „C“, die er ins Publikum schleuderte. Auch darstellerisch lag ihm die Rolle bestens. Sein bösartiger Gegenspieler Malipieri war bei Paul MÉDONI in guten Händen. Er spielte ausgezeichnet die hinterhältige Jago-Figur und seine Rachearie „La vengence“ war eindrucksvoll.

Mathias VIDAL sang den jungen Feuerkopf Andrea Donato mit Brio und den Liebenden mit Hingabe. Die elegische Barkarole des 3. Akts „O Vénise, la belle“ sang er sehr kultiviert. Die Buffofigur Domenico, Lorédans Diener, sang Stéphane MALBEC-GARCIA mit angenehmer Stimme, neigte aber im Spiel etwas zum Outrieren.

Das volle Haus – überraschend viele deutsch- und englischsprechende Gäste – feierte alle Künstler enthusiastisch. Schade, daß diese Produktion nicht auf Tournee geht, aber sie wird auf DVD herauskommen. Wenn Sie zwei Stunden angenehmer, frischer Musik in einer entzückenden Inszenierung erleben wollen, kaufen Sie‘s! wig.