"DON CARLOS"- 18. Dezember 2004

Der Maggio Musicale Fiorentino hat im Dezember 2004 ein interessantes Projekt gestartet. Abwechselnd wurden die französische fünfaktige und die italienische vieraktige Version gespielt. Leider war es uns nur möglich, ohne extra Urlaub nehmen zu müssen, die vieraktige Version zu genießen. Hier wurde allerdings aus mir nicht vollkommen klaren Gründen die Arie von Carlo „Io l’ho perduta“ nicht gespielt, dafür aber die Totenklage an Posas Leiche in der langen Version. Bisher habe ich auch noch keine Begründung dafür im italienischsprachigen Programmheft finden können. Positiv ist zu vermerken, daß es keine der üblichen, ziemlich brutalen Striche im Schlußduett gab und auch sonst, abgesehen von dem genannten, die vieraktige Version vollständig war.

Gespielt wurde die alte, legendäre Luchino VISCONTI-Produktion in der Regie von Alberto FASSINI, hier aufbereitet von Josrph Franconi LEE. Das ist alles sehr ästhetisch, die Bühnenbilder und Kostüme vermögen zu beeindrucken, aber man hat doch das Gefühl, daß die Sänger sich selbst überlassen bleiben. Personen- oder Chorregie scheint sich darauf zu beschränken, daß alle gefahrlos auf- und abgehen und dazwischen hübsch nebeneinander aufgereiht werden. Immerhin wird man nicht durch überflüssige Aktionen oder ärgerliche Regieeinfälle von der Musik abgelenkt. Die aufwendigen Kulissen machen allerdings sehr lange Umbaupausen nötig, von denen zwei bei offenem Vorhang stattfanden aus Protest gegen geplante Kürzungen bei den Bühnenarbeitern.

Musikalisch war dies allerdings eine der besten „Carlos“-Vorstellungen, die ich bisher erleben durfte. Zubin METHA dirigierte einen Verdi mit viel Engagement, teilweise ungewöhnlichen, aber immer sängerfreundlichen, Tempi und trotz des langen Abends nicht nachlassender Spannung. Abgesehen von zwei unschönen Patzern im Blech folgte ihm das ORCHESTRA DEL MAGGIO MUSICALE FIORENTINO bedingungslos und fehlerfrei. Der CHOR (Leitung: José Luis BASSO) war auf sehr gutem Niveau, im Autodafé wäre vielleicht jedoch noch etwas mehr Fülle denkbar gewesen.

Es dürfte unter den Sängern seiner Generation schwerlich einen souveräneren Philipp geben als René PAPE. Was der edel timbrierte Baß allein aus der Schlußphrase von „Ella giammai m’amò“ machte, nachdem die Arie vorher schon klug phrasiert war, ließ Kehlen zuschnüren und Tränen laufen. Pape spielt die Rolle mit einer schönen Nuance: man hatte die ganze Vorstellung über das Gefühl, im König brodelt etwas unter seiner Kälte, was hinaus will, aber nicht weiß wie. Ein großes Porträt.

Ein weiterer Höhepunkt war das Duett mit Posa (Lucio GALLO). Die beiden Sänger schenkten sich hier nichts. Der Bariton mit einer Stimme, die mittlerweile größer klingt, als man es bei dieser Rolle gewohnt ist, verließ sich jedoch nicht auf das Volumen, sondern streute etliche Piani ein. Die Verletztheit in „Sospetti tu di me?“, als er feststellt, daß Carlos im mißtraut, war herzzerreißend. Leider gab es bei „Per me giunto“ einige heisere Töne, die sich jedoch im Sterben dann vollständig verflüchtigt hatten.

Marcus HADDOCK in der Titelrolle hätte man seine Arie gegönnt. Vielleicht nicht mit der größten und schönsten Stimme der Welt gesegnet, imponiert er jedoch sehr durch sein Engagement, sein sauberes Singen und jederzeit ungefährdete Spitzentöne. Hinzu kommt, daß er seine gute Bühnenerscheinung im Spiel nicht übertrieben einsetzt. Nach einem Jahr von wenig überzeugenden Tenorleistungen war er ein echter Lichtblick.

Dolora ZAJICK als Eboli schlug sich wacker im Schleierlied, das nicht optimal für sie liegt, und steigerte sich dann bis zum fulminanten „O don fatale“ zur unanfechtbaren Siegerin bei den Damen. Die große Stimme, die sie bei früheren Begegnungen nicht immer absolut kontrollieren konnte, war hier auch zu imposanten leisen Tönen durchaus fähig.

Adrianne PIECZONKA als Elisabetta ist ein merkwürdiger Fall. Ich habe diese Sängerin sich in anderen Rollen geradezu die Seele aus dem Leib spielen und singen erlebt, doch hier schien sie sich einfach nur auf ihre zugegeben schönen Töne zu verlassen und sang ohne Nachdruck mit einer gewissen Beliebigkeit, was „Tu che le vanità“ sehr lang werden ließ.

Die mit Abstand schwächste Leistung des Abends kam von Ayk MARTIROSSIAN als Großinquisitor. Die Stimme war brüchig, wirkte unkontrolliert und verließ zu häufig die Gesangslinie. Auch die Persönlichkeit fehlte dem Sänger, um Sieger im Duell mit dem König zu bleiben, wie es das Libretto vorschreibt. Der volltönende Mönch von Enrico TURCO wäre hier vielleicht für Philipp ein gleichberechtigterer Gegner gewesen.

In den kleinen Rollen ergänzten munter Gemma BERTAGNOLLI (Tebaldo), solide Enrico COSSUTTA (Lerma), unauffällig Carlo BOSI (Herold) und ein wenig sehr piepsig (Alessandra MARIANELLI) (Stimme vom Himmel).

Ein tolles Dirigat, in den fünf Hauptrollen kein wirklicher Ausfall, lediglich der Großinquisitor schwach (in meinem letzten „Carlos“ waren die fünf Hauptrollen schwach, dafür der Großinquisitor hochklassig, da ziehe ich die hiesige Verteilung doch vor), ohne störende Regie: ein wirkliches vorzeitiges Weihnachtsgeschenk für im italienischen Fach an großen Häusern nicht gerade verwöhnte Norddeutsche. MK