"LES HUGENOTS"- 8. Juni 2004

Die Ouvertüre zu „Les Huguenots“ beginnt mit dem Lutherchoral „Ein‘ feste Burg ist unser Gott“, der bis zum Schluß des 5. Akts mehrmals vorkommt. Die erste Arie des Raoul wird von einer Viola d’amore begleitet, später wird ein a-capella-Ensemble nur von einer einzigen Baßklarinette unterbrochen. Sehr gelungen und ungewöhnlich sind die Arien oder Duette mit Chor, die eine sehr lebendige Führung der Handlung erlauben. Die Schwerterweihe im 4. Akt ist eine der eindrucksvollsten Szenen des Opernrepertoires. Verdi hat später ähnliche Szenen geschrieben, wie das Autodafé in „Don Carlos“, Boccanegras große Ansprache, die Triumphszene in „Aida“ oder der Schluß des 3. Akts von „Otello“. Allerdings gibt es bisweilen richtige „Löcher“, Stellen, wo der musikalische Kontinuität nicht konsequent durchgeführt erscheint; es fehlt manchmal die „Verkettung“ zwischen den Szenen.

Daß „Les Huguenots“ stimmlich anspruchvoll sind, gehört zur der Legende dieser Oper. Anspruchsvoll sicher, aber nicht unaufführbar. Diese Herausforderung hat der Direktor der Oper in Metz, der englische Tenor Laurence DALE – dessen nicht erster ungewöhnlicher Versuch das ist – aufgenommen und – man kann es ruhig sagen – brillant gewonnen. „Le Grand Opéra“ auf einer kleinen Bühne, dem entzückenden Metzer Hoftheater von 1772, verlangt viel konzeptuelle Überlegung und einheitliche Durchführung. Das sehr geschickte Bühnenbild von Eric CHEVALIER besteht aus mobilen Elementen mit Schachbrett-Mustern, die nach dem LEGO-Prinzip bedarfsweise einen Saal für ein Gelage, die Kapelle de Nesle, ein Gewölbe für das Duell, usw. ergeben. Selbst einem kleinen Teich (2. Akt) gibt es im Garten des Schloßes Chenonceaux, das als Spiegelbild projiziert wird, oder eine Straße mit der Gosse von Paris (4. Akt), die sich während der Bartholomäusnacht mit Blut rot verfärbt. Eine geschickte Beleuchtung (Patrice WILLAUME) und einfache, passende Kostüme (Dominique BURTÉ) vervollständigten den sehr positiven optischen Eindruck.

Den einzigen Einwand betrifft die Tatsache, daß in vielen Ensembles recht viel Bewegung herrscht, und das Getrampel bisweilen etwas stört. Während der Ouvertüre wurde eine ganz kurze Einleitung auf den Vorhang projiziert über die Hugenotten und ihre Rolle in Metz, unter anderem daß ein Viertel der Bevölkerung nach der Aufhebung des Edit de Nantes die Stadt verließ und auswanderte, vor allem nach Deutschland und USA.

Das große Problem der Besetzung einer solchen Oper sind die „Seven Stars“. Immerhin sangen in der Uraufführung Nourrit den Raoul de Nangis und Levasseur den Marcel, während Cornélie Falcon (die diesem Typ des dunkel gefärbten jugendlich-dramatischen Soprans ihren Namen „Falcon“ gab) die Valentine kreierte. Laurence Dale gewann Rockwell BLAKE für den Raoul. Diese Rolle sollte eigentlich von zwei Tenören gesungen werden, denn seine Arie „Plus blanche que la blanche hermine“ ist für einen Rossinischen tenore di grazia geschrieben, anderseits sind große Teile sehr dramatisch und passen eigentlich für einen spinto-Tenor (Franco Corelli hat die Rolle 1962 an der Scala gesungen und soll diese Arie gekürzt und transponiert haben). Obwohl Blakes Stimme in der Tiefe und der unteren Mittellage trockener geworden ist, besitzt er nach wie vor die unglaubliche Gesangskultur und meistert die halsbrecherischen Höhen mit Stil und Bravour. Er besitzt auch nach wie vor die unübertroffene Diktion und ist einer der wenigen Sänger, dessen Französisch man durchgehend versteht.

Seine Valentine war Alketa CELA, ohne Zweifel die Sensation des Abends, eine der phänomenalsten Stimmen seit Jahren. Die junge albanische Sopranistin besitzt eine dunkel timbrierte Stimme, ungewöhnlich flexibel, mit strahlenden Höhen, stupenden Koloraturen und subtilen Piani. Sie sieht außerdem gut aus und spielt mit großem Einsatz. Sicher eine große Karriere im Kommen. Die Königin Marguerite sang Sally SILVER. Die junge Südafrikanerin besitzt einen hochdramatischen Sopran, für diese Rolle schon etwas zu schwer, wenngleich die Stimme sehr gut geführt und ausdrucksvoll ist. Die Arie des 2. Akts „O beau pays de Tourraine“, gefolgt vom großen Duett mit Raoul ist eine intensiv dramatische, sehr dichte Szene, der Protoyp des Meyerbeer’schen „Tableau“.

Sehr erfreulich war auch der quicklebendige Page Urbain von Hjördis THEBAULT, die das hübsche Auftrittslied „Nobles Seigneurs, salut“ mit frischem Sopran darbot. Ivan LUDLOWs Bariton war für die Rolle des Grafen von Nevers perfekt. Der junge Engländer hat auch eine Statur, daß seine Erfolge bei der Damenwelt erklärlich sind. Jean-Philippe MARLIÈRE war als Valentines Vater Saint-Bris sehr am Platze. Sein angenehmer Bariton und sein würdiges Auftreten waren passend für diese Rolle. Eine weitere große Überraschung war Philippe KAHN als Marcel. Sein kraftvoller, profunder basso cantante klingt auch in der Höhe angenehm und ist in der Tiefe klangvoll. Er stellte den alten, sturen Hugenotten als den treuen Haudegen mit Überzeugung auf die Bühne. Das Schlußterzett der in den Tod gehenden Hugenotten war ein Feuerwerk zwischen Cela, Blake und Kahn, einfach phantastisch.

In den kleineren Rollen waren Christophe MORTAGNE (der auch alle Gefechte einstudiert hatte und Keilerei ist ja die Hauptbeschäftigung der Sänger in dieser Oper) als de Cossé ausgezeichnet, ebenso wie Paul KIRBY und Julien NEYER als die weiteren katholischen Adeligen.

Das LOTHRINGISCHE NATIONALORCHESTER wurde von Jeremy SILVER geleitet. Einige Pulte wurden wegen Platzknappheit in die Proszeniumslogen verfrachtet. Die Bläser des Orchester waren ausgezeichnet, bei den Streichertutti ging‘s bisweilen etwas daneben. Daß Mr. Silver ohne Taktstock dirigiert, ist bei einem 25-Mann Kammerorchester ganz passend, aber vermutlich bei einem sehr langem, unbekannten Werk und einem großen Orchester nicht empfehlenswert. Der durch das Ensemble „MILLE E TRE“ verstärkte CHOR DER OPER METZ kam seiner aufreibenden Tätigkeit stimmkräftig mit großem Enthusiasmus und viel Schwung nach. Daniel ESTEVE besorgte die Choreographie des auf sechs Tänzer beschränkten Balletts des 4. Akts.

Das zahlreich angereiste, sehr internationale Publikum feierte die Künstler stürmisch, unter anderem eine über zwanzigköpfige Delegation des „Meyerbeer-Fan-Club“ aus USA, die dann zu „L’Africaine“ in Straßburg weiterreiste. wig.