„HANS HEILING“ - 11. März 2004 (Französische EA)

Heinrich Marschner (* Zittau in Sachsen, 1795, † Hannover, 1861) ist dem Großteil des Opernpublikums unbekannt und auch für den gestandenen Opernfreak ein weißes Blatt. Der Komponist von 14 Opern war 1824/26 Direktor der Dresdner Oper, wo er Weber kennen lernte (der ihm u. a. die deutsche Erstaufführung von Boieldieus „La Dame Blanche“ ans Herz legte). Von 1831 bis an sein Lebensende war er Hofkapellmeister in Hannover. Seine wichtigsten Opern („Der Vampyr“, 1828; „Der Templer und die Jüdin“, 1829; „Hans Heiling“, 1832) waren bis ins 20. Jahrhundert auf dem Spielplan der Opernhäuser Deutschlands.

Obwohl die Produktion als französische Erstaufführung angekündigt ist, wurde „Hans Heiling“ mehrmals in der „deutschen Zeit“ Straßburgs gespielt. Zuletzt wurde „Hans Heiling“ 1915 von Hans Pfitzner dirigiert und inszeniert (damals Musikdirektor in Straßburg, wo er u.a. auch „Palestrina“ komponiert hatte), der die Marschner-Oper sehr liebte und 1925 in Dresden wieder leitete. Auch Wagner schätzte das Werk sehr und hatte es mehrmals geleitet, u. a. auch in Wien. Vor etwa 10 Jahren hat das irische Raritätenfestival Wexford die drei genannten Marschner-Opern in aufeinander folgenden Saisonen gebracht.

Da Marschner zwischen Weber und Wagner steht, muß er den Vergleich mit den beiden Giganten aushalten. „Hans Heiling“ ist musikalisch ein sehr interessantes Werk, wenngleich er nicht die zündenden Schwung der Melodien Webers und die profunde Tiefe Wagners erreicht. Es handelt sich hier erstmalig um eine durchkomponierte Oper, denn Marschner wendet sich völlig vom Singspiel ab mit seinen – heute albernen – gesprochenen Texten. Texte werden hier als Melodramen eingeflochten, von teilweise sehr ausdrucksvoller Musik begleitet. Die Ouvertüre ist nicht zu Beginn der Oper, sondern nach dem etwa viertelstündigen Prolog. Es gibt keine Rezitative, Arien, Duette, Ensembles usw. sind nicht Nummern im klassischen Sinn, sondern sehr frei komponierte Musikstücke. Deshalb kommt bisweilen ein Gefühl der Zerrissenheit auf, die bereits auf Wagner weist, zumal bereits Ansätze von Leitmotiven erscheinen.

Das Libretto stammt von Eduard Devrient (berühmter Berliner Hofschauspieler und -sänger, der Lear und Moor spielte; er sang auch Sarastro und Rocco, sowie Christus bei der Wiederaufführung der „Matthäus-Passion“ unter Mendelssohn). Die Geschichte des „Hans Heiling“ geht weiter als die damals üblichen Geschichten der Romantik von über- und unterirdischen Geistern. Das Libretto beruht auf einer böhmischen Legende: Heiling ist der Sohn der Königin der Erdgeister und eines menschlichen Vaters, der zu den Menschen aufsteigt und seine königlichen Allüren zur Schau stellt, was bei den Menschen natürlich nicht gut ankommt. Diese Handlung bringt den Antagonismus zwischen dem Erdgeist Heiling und seiner Geliebten, dem Menschenskind Anna, auf die Bühne. Die Problematik behandelt den Unterschied zwischen der Monotonie der Unsterblichkeit und der Vielfalt der menschlichen Existenz. Bereits im Eingangschor der Erdgeister, einer willenlosen Schar von goldgrabenden Sklaven im Dienst Heilings und seiner Mutter, „Rastlos geschaffen mit stetiger Kraft“ wird das Thema angeschnitten. Wagner hat vermutlich 20 Jahre später bei den Nibelungen daran gedacht.

Der Regisseur Andreas MAY und sein Ausstatter David KÖNIG haben als Ausgangspunkt ihrer Arbeit die Kritik am Rückzug des Bürgertums ins Biedermeiers gedeutet, wo persönliche Meinung und Freiheit der nivellierenden Bequemlichkeit und dem Wohlstand gewichen waren, eine Problematik, die heute so aktuell wie vor 180 Jahren ist. Die Bausteinkasten-Kirche und bewußte Verwendung von Schwarzwälder- oder Elsässer-Häuschen und Hintergrund von der Firma Faller, Spezialist für Dekorationen für Modelleisenbahnen, wirken zwar bisweilen etwas naïv-kindisch, sind aber durchaus vertretbar und passend in dieser Perspektive. Die „altdeutschen“ Kostüme mit elsässischen Hauben für die Damen ergänzten den Rahmen vorteilhaft. Die Erdgeister sind alle in einheitlichem stahlblauem Mao-Look gekleidet, Heiling und seine Mutter tragen dazu rostrote Perücken. Zum Schluß kommt eine riesige goldene Statue des Dorfpatrons Sankt Florian vom Schnürboden herunter.

Das Produktionsteam May/König wurde durch einen Wettbewerb von „Camerata Nuova - Opera Europa“ engagiert, für den der ehemalige Straßburger Intendant (und jetzt der Wiener Volksoper) Rudolf Berger „Hans Heiling“ vorgeschlagen hatte. Der neue Intendant Nicholas Snowman hat die Produktion nahtlos nachvollzogen, und man kann ihm für dieses Unternehmen nur ungeteilten Beifall zollen. Die Produktion geht dann im April nach Calgliari in Sardinien und später nach Wiesbaden.

Die Aufführung stand musikalisch unter einem guten Stern. Das ORCHESTRE PHILHARMONIQUE DE STRASBOURG war in bester Form unter der animierten Leitung von Olaf HENZOLD, der die romantische Seite der Musik ausgezeichnet herausstrich und sehr flüssig dirigierte. Die CHÖRE DER RHIN-OPER unter der Leitung von Michel CAPPERON waren ebenfalls am Erfolg des Abends beteiligt, zumal sie sich aktiv spielend an der Handlung beteiligen.

Unter den durchwegs ausgezeichneten Sängern, stach der Titelheld hervor: Detlef ROTH, vor drei Jahren Gewinner des Wagner-Wettbewerbs in Straßburg, war ein sehr eindrucksvoller Heiling, brutal und verzweifelt zugleich. Seinem ungewöhnlich ausgeglichenen warmen Kavaliersbariton fehlt noch eine Spritze dramatische Kraft. Seine Mutter, die Königin der Erdgeister, wurde von der Chilenin Marcela DE LOA mit eindrucksvollem Sopran mit majestätischer Bühnenpräsenz dargestellt. Obwohl sie viele Koloraturrollen singt, beeindruckte hier die dramatische Durchschlagskraft der Stimme.

Die viel versprechende jugendlich-dramatische Sopranistin Anja KAMPE, gab Heilings Geliebte Anna einen tragischen Zug. Hanna SCHAER gab ihrer Mutter Gertrud die richtigen Akzente, ängstlich besorgt um ihr Kind und bedauernd, daß die „gute Partie“ des steinreichen Heiling sich auflöst. Der menschliche Liebhaber Annas, Konrad, der sie schließlich kriegt, eine „glückliche“ Erik-Figur, war bei mit Norbert SCHMITTBERGER in besten Händen. Seinen jugendlichen, kraftvollen Tenor wird man sicher bald in großen Rollen hören können. Michail SCHELOMIANSKI sang Stephan, der am Ende die etwas verpatzten Hochzeitswünsche singt, die der Grazer Schauspieler Franz TSCHERNE auf französisch kommentiert.

Ein sehr erfreulicher Abend, den das Publikum mit sehr viel Applaus bedachte. Wig.