„L'AFRICAINE“ - 17. Juni 2004

Nach „Les Huguenots“ in Metz, brachte nach Jahrzehnten Vernachlässigung die Europa-Stadt Straßburg die letzte, posthume Oper „L’Africaine“ des Europäers Meyerbeer zur Aufführung. Obwohl Scribe das Libretto kurz nach der Uraufführung von „Les Huguenots“ 1835 Meyerbeer gegeben hatte, dauerte es 28 Jahre, bis es zur Uraufführung kam. Meyerbeer war ein „workaholic“ und pendelte fünf Jahre zwischen Paris und Berlin (und es gab damals nicht zehn Direktflüge täglich zwischen den beiden Städten).

In Paris und Berlin schrieb er – neben mehreren Opern („Le Prophète“, „Dinorah“, „Das Feldlager in Schlesien“, „L’Etoile du Nord“) - zahllose Gelegenheitsarbeiten und kam nie dazu seine Orient-Oper fertig zu stellen. Was nicht hinderte, daß Meyerbeer und Scribe sehr geschickte Manager waren, denn die Premiere der „L’Africaine“ wurde über zwanzig Jahre als „für die nächste Saison“ ankündigt! Nach seinem plötzlichen Tod 1863, fand man zahllose Skizzen und fertige Teile der Oper – es soll für über sieben Stunden Musik vorhanden gewesen sein, einige Szenen in mehrfachen Versionen. Sein Freund und Testamentverwalter Fétis ordnete die Hinterlassenschaft, und am 28. April 1865 wurde „L’Africaine“ triumphal uraufgeführt.

Ebenso wie Scribe es mit den geschichtlichen Tatsachen in den großen historischen Opern nicht sehr genau nimmt, stimmt auch der im 19. Jahrhundert sehr beliebte Orientalismus nur sehr beschränkt. Die orientalische Färbung („couleur local“) des Librettos der „L’Africaine“ ist ungefähr so richtig und treffend wie in einer amerikanischen „soap opera“. Der große französische Maler Eugène Delacroix, der Jahre lang im Orient und Nordafrika verbracht hatte und tausende Zeichnungen, Skizzen und Gemälde hinterlassen hat, war sehr skeptisch über den Orientalismus Scribes und Meyerbeers. Dieser modische Orientalismus produzierte zahlreiche andere Werke, vor allem in Frankreich („Perlenfischer“, „Lakmé“, „Thais“).

Wie in den meisten Werken des Duos Scribe-Meyerbeer wird ein, nicht nur für die damalige Zeit, heikles Thema angeprangert, einerseits die Macht der Kirche, aber auch der Kolonialismus und anderseits der absolute, fanatische Haß Neluskos für die Christen. Musikalisch hört man, daß die Oper ein Stückwerk ist und nicht von Meyerbeer fertiggestellt wurde. Die musikalische Charakterisierung des Helden Vasco ist ungeheuer dramatisch, die Rolle absolut mörderisch, aber psychologisch viel schwächer, da er von der Liebe Selikas profitiert, um seine Geliebte Ines zu retten und mit ihr abzuziehen. Er ist eigentlich ein Schuft.

Es gibt ungewöhnlich packende Szenen – die Ratszene im 1. Akt mit dem großen Arioso Vascos „Moi, l’immortalité!“ und seine Konfrontation mit dem Großinquisitor und die Kabale gegen Vasco sind richtig spannend. Der 3. Akt spielt auf dem Schiff Don Pedros mit dem unglaublichen Gefecht mit Vasco und Neluskos großer Rachearie „Adamastor, le géant des tempètes!“ und ist dramatisch sehr gelungen. Im 4. Akt ist Vascos berühmtes „Salut! Oh paradis sorti de l‘onde“ ein richtiger Ohrwurm, und die „indischen“ Chöre sind gelungen, aber das Ballett (selbst gekürzt) und die Szene des Brahmapriesters sind weniger überzeugend. Der Schlußgesang Selikas im 5. Akt war damals eine große Neuerung und ist sehr ergreifend. Daneben gibt es schwächere Stellen, wie die Gefängnisszene des 2. Akts. Eben der Duktus der Handlung ist hier schwächer als in „Les Huguenots“.

Die Aufführung der Straßburger Rhein-Oper wurde dem bekannten Opernregisseur Jean-Claude AUVRAY anvertraut, von den Malern Bernard ARNOULD (Bild) und Daniel OGIER (Kostüme) sekundiert. Auvray sagte in einem Interview: „Es ist eine Herausforderung an den Verstand ! Man muß verrückt sein, heute ‚L’Africaine’ zu inszenieren !“ Dafür ist die Inszenierung nicht schlecht! Er hat sich mit seinem Team bewußt an die Gewohnheiten des Theaters des 19. Jahrhunderts gehalten und läßt z. B. gemalte Prospekte auf Tragstangen vom Schnürboden herunter hängen. Die Umkehrung der riesigen gemalten wehenden Kulissen ist recht geglückt. So verwandelt sich im 3. Akt das Segel der Galeone plötzlich in das Innere des Schiffs. Oder der Hindu-Tempel des 4. Akts verschwindet, um einem Seegemälde à la Turner zu weichen. Im 1. und 2. Akt ist der Boden eine Kugelkalotte die der Weltkarte von 1500 zeigt. Weniger glücklich waren die etwas läppischen Hüte und Kleider der „Inderinnen“ und das wenig kleidsame Kostüm Selikas, dafür waren die Portugiesen alle sehr fein ausstaffiert. Philippe GROSPERIN sorgte für die richtige Beleuchtung. Cookie CHIAPALONE zeichnete für die Choreographie des (gekürzten) Balletts im 4. Akt. Der junge englische Dirigent Edward GARDNER – der sämtliche Proben persönlich geleitet hatte – zeigte eine offenbare Affinität für Meyerbeers Musik. Das ORCHESTRE PHILHARMONIQUE DE STRASBOURG in bester Form zeigte sich von dem jungen Engländer sichtlich beeindruckt, denn es folgte ihm in allen Situationen. Die von Michel CAPPERON sehr gut einstudierten CHÖRE waren ebenfalls sehr bei der Sache, vor allem in der sehr beeindruckenden Ratsszene und dem „indischen“ Akt.

Bei den Sängern war es eher gemischt. Die Titelrolle hatte Isabelle VERNET (statt Sylvie Brunet) kurzfristig übernommen, und das war ein großer Fehler. Denn die Rolle der Sélika ist eine „Falcon“, eine dunkel timbrierte, sehr flexible, höhensichere, jugendliche Stimme. Frau Vernet besitzt aber eine hochdramatische, schwere Stimme, kaum für diese Rolle geeignet. Ihr Schlußgesang unter dem Manzenillen-Baum war teilweise an der Grenze des Peinlichen. Da sie auch einigermaßen rundlich ist, versteht man Vasco recht gut, daß er sich für die schlanke Ines enscheidet. Nicoleta ARDELEAN war als Ines stimmlich ausgezeichnet, darstellerisch sehr zurückhaltend (sie soll ja dem Vater folgen und den alten Don Pedro, den Präsidenten des königlichen Rats heiraten).

Diesen Don Pedro sang Nicolas TESTÉ mit sehr viel Präsenz und hämischer Stimme, besonders passend in seiner Szene mit Vasco im 3. Akt. Sein Gegenspieler Vaco da Gama war mit dem jungen Bulgaren Bojidar NIKOLOV besetzt, sicher eine Entdeckung. Prachtvolle stählerne Stimme, wenn es sein muß, aber auch bittend, wenn er sich von den Frauen verzeihen lassen soll. Sein „Oh paradis“ war umwerfend. Sein zweiter Gegenspieler ist der Sklave Nelusko, der heimlich Selika liebt. Peter SIDHOM sang die böse Rolle bestens, seine Sturmarie, wo er das Schiff Pedros auf die Klippen werfen will, „Adamastor, le géant des tempètes!“, mit an Jago erinnerndem Ausdruck. Er spielt auch bestens, aber nie übertrieben den Christen-hassenden Hindu.

Als weiterer portugiesischer Seefahrer war Don Diego bei Antoine GARCIN in besten Händen, Frédéric CATON war ein stimmgewaltiger fanatischer Großinquisitor, Cyril ROVERY ein ebenso eindruckvoller Brahmapriester. In den Nebenrollen war Simona TOTECAN-IVES passend als Ines‘ Zofe Anna, Alain GABRIEL als Ratsmitglied, Christophe de RAY LASSAIGNE, Mario BRAZITOV als Matrosen und Mario MONTALBANO als Priester.

Ein sehr interessanter, gelungener Abend um ein unbekanntes Werk zu sehen. wig.