„TRISTAN UND ISOLDE“ - 21. April 2005 (halbszenisch)

Vor einem Jahr trat Hans GRAF von seinem Posten als Musikgeneral von Bordeaux zurück, um die Nachfolge von Christoph Eschenbach als Chefdirigent des Houston Symphony Orchestra zu übernehmen. Deshalb sind die seltenen Auftritte des Ex-GMD besonders erwartet, und eine konzertante Aufführung von „Tristan und Isolde“ (nach „Elektra“ und „Wozzeck“ im selben Saal) ein Zeichen für den erfolgreichen Wiederaufbau des ORCHESTRE NATIONAL BORDEAUX-AQUITAINE zu einem Klangkörper ersten Ranges. Denn die Aufführung in Bordeaux war in jeder Hinsicht ausgezeichnet.

Obwohl das Palais des Sports eine besonders häßliche Betonstruktur der siebziger Jahre ist, besitzt der ca. 2000-Sitze-Saal eine überraschend gute Akustik. Hans Graf dirigierte einen sehr tiefgehenden, durchdachten „Tristan“, der das Orchestre National Bordeaux-Aquitaine zu einer Leistung anspornte, die sich mit jedem großen internationalen Opernhaus messen kann. Nicht ein Schwachpunkt war zu vermerken. Bereits das Vorspiel des 1. Akts kündigte die unglaubliche Steigerung an, was zu erwarten war: eine drängende, ständig dynamische und ungewöhnlich dichte Interpretation, niemals Leerlauf. Vor Tristans Auftritt im 2. Akt kam es zu einer unglaublichen Steigerung, man fühlte richtig das Springen und Laufen des Helden hinter der Szene. Das Liebesduett des 2. Akts war von prägnanter Dichte, der Liebestod eine einzige taumelnde Apotheose. Die phänomenalen Bläser verdienen besonderen Applaus („Im Land, das Tristan meint, der Sonne Licht nicht scheint“).

Jon Fredric WEST gab dem Tristan nicht nur metallische Kraft, sondern auch warme Töne. Die Konfrontierung mit Isolde im 1. Akt war ungemein differenziert, das Liebesduett des 2. Akts feinfühlig und tiefgehend, und die Wahnsinnsszene des 3. Akts voll Kraft und überschwenglichem Ungestüm. Ein großer Tristan! Jayne CASSELMAN sprang für die erkrankte Elisabeth Connell ein und war die Sensation des Abends. Ihr sehr dunkles Bronze-Timbre ist für Isolde ideal, zumal diese große Stimme auch die Höhen völlig dominiert. Schon lange hat man nicht „Mir erkoren, mir verloren, hehr und heil, kühn und feig! Tod geweihtes Haupt! Tod geweihtes Herz!“ so bedrohlich und dräuend gehört. Die überaus musikalische Sängerin ist ganz auf ihrem Partner eingestellt, um ein absolut perfektes Liebesduett zu singen. Der Liebestod war nicht resigniert oder traurig, sondern jubelnde und taumelnde Ekstase einer vorzeitlichen Zauberin!

Als einzige sang Jeanne PILLAND (Brangäne) nicht auswendig, weshalb sie Notenpult oder Klavierauszug mehrmals hin und her trug. Stimmlich war sie dafür ausgezeichnet. Die Ähnlichkeit der Stimmen von Isolde und Brangäne ist besonders zu Beginn verwirrend, denn die Timbres sind fast gleich. David PITTMAN-JENNINGS war ein etwas polternder Kurwenal, ohne vulgär zu werden, und gab der Rolle die nötige Stimmkraft. Hans TSCHAMMER gab mit seinem schönen, gut geführten Baß dem König Marke die ruhige Abgeklärtheit des Verzichtenden.

Pierre GUILLOU war ein hinterhältiger Melot. Hirt und Seemann sang Christophe BERRY mit angenehmen Tenor, Jean-Marc BONICEL war ein adäquater Steuermann. Besonders zu vermerken ist die makellose Diktion aller Sänger, denn man verstand praktisch jedes Wort.

Der CHOR DER OPER BORDEAUX unter der Leitung von Jacques BLANC sang den Matrosenchor des 1. Akts ebenfalls in perfektem Deutsch.

Wie Hans Graf im Programmheft treffend bemerkt “Bei „Tristan“ ist nicht viel zu inszenieren“. Er hat deshalb eine konzertante, halbszenische Fassung gewählt. „Tristan“ ist ein psychologisches Seelendrama. Das wissen alte Wagnerianer schon lange und sind meistens frustriert, wenn man ihnen verknackste „Interpretationen“ auf die Bühne stellt. Die Lösung, die Sänger, einfach gekleidet, vor dem Orchester zu plazieren, wo sie ungestört sich bewegen können, ist deshalb grundgescheit und bestens gelungen. Ein Hocker, ein Lehnstuhl, eine Bank und ein Kelch sind die ganzen Versatzstücke der Handlung.

Die „Kostüme“ beschränken sich auf einfache Kleidung, Isolde in einem braunen Hosenanzug, Marke mit großem Mantel, nur Brangänes ultramarinblaues Abendkleid war reichlich unpassend. Was die Bewegungsfreiheit der Sänger nicht hindert, so daß Tristan sich am Schluß des 1. Akts aus der Umarmung mit Isolde reißt um „Welchen König?“ zu rufen. Im Liebesduett sitzen Tristan und Isolde auf der Bank und halten sich die Hände, bevor sie sich umarmen und nicht in fünf Meter Abstand wie in der Wiener Krämer-Inszenierung. Marke in großem Mantel sang seinen Monolog im Orchester stehend, ebenso wie der Hirt sein Lied.

Bei einer solchen Minimallösung kann der Hörer sich auf Musik und Text konzentrieren, ohne auf einen theatralischen Faden verzichten zu müssen, aber auch ohne von optischen Konstruktionen abgelenkt zu werden. Nur bisweilen werden matte rote oder blaue Projektionen oder Muster an passenden Stellen und sehr sparsam auf dem Diorama im Hintergrund gezeigt.

Triumphaler Applaus für einen ganz großen Abend! wig.