"LUCIO SILLA" (J. Chr. Bach) - 11. September 2005

Die 1. Saisonpremiere findet traditionsgemäß immer in Winterthur (ca. ½ Stunde von Zürich entfernt) statt. Viele eher unbekannte Werke wurden hier schon aufgeführt, so auch "Lucio Silla" von Johann Christian Bach. 1998 hatte das Opernhaus zum 10. Todestag von Jean-Pierre Ponnelle dessen Inszenierung von Mozarts "Lucio Silla" wieder ausgegraben; dieses Toga-Epos wirkte aber sehr veraltet und wurde gleich wieder (und wohl definitiv) eingemottet.

Mozart schätzte Johann Christian Bach, den jüngsten Sohn von Johann Sebastian, sehr - fast so sehr, wie er Haydn verehrte. Erstaunlich daher, daß dieser Johann Christian dem breiten Publikum doch eher unbekannt geblieben ist.

Für mich war es eine sehr positive Begegnung mit seiner Oper. Zu keiner Zeit kam Langeweile auf, auch wenn sie halt typisch opera seria ist (Rezitativ-Arie-Rezitativ usw.) Sie besitzt aber Tiefgang und Schönheit, klingt spannungsvoll und beschreibt die Seelenzustände der Figuren sehr genau. Manchmal gemahnt sie an den jungen Mozart, der Choreinsatz im 1. Akt kommt einem Oratorium gleich.

Die Inszenierung von Dieter KAEGI vermochte mich nicht vom Hocker zu reißen. Während der Ouvertüre treten die Protagonisten vor einen roten Vorhang, auf dem ihre Namen und ihre nähere Bezeichnung steht. Dieser Vorhang kommt immer wieder herunter, wenn die Bühne umgebaut wird, oder wenn dem Regisseur nichts besseres eingefallen ist (meine Empfindung!). Dann wird munter vor diesem Vorhang gesungen. Ansonsten war das Bühnenbild von Bruno SCHWENGL sehr ästhetisch und eindrücklich. Die Kombination Jetzt-Zeit mit Requisiten aus der Römerzeit stimmte für mich nicht immer, störte mich aber auch nicht weiter.

Dafür entschädigte die musikalische Seite vollends (und das ist das Wichtigste). Wie mir allerdings die Inszenierung bei schwachen Sängern gefallen hätte, bleibe dahingestellt.

Allen voran überzeugte der junge Schweizer Tenor Bernard RICHTER als schmieriger, unbarmherziger, bisweilen larmoyanter, schlußendlich verzeihender Tyrann Lucio Silla. Sowohl vom Darstellerischen wie von der Ausstrahlung als auch vom Sängerischen her ließ er keine Wünsche offen. Die von ihm begehrte Giunia (Julia KLEITER), welche sich jedoch standhaft weigert, ihm nachzugeben und lieber den Tod mit ihrem Geliebten Cecilio auf sich nimmt, war etwas gar matronenhaft gezeichnet, aber rührte mit schönem Timbre und geschmeidiger Phrasierung.

Sen GUO hatte es in ihrer Hosenrolle als Cecilio optisch nicht ganz leicht zu bestehen, ist sie doch ein sehr zierliches Persönchen. Aber sie machte dies zunehmend wett mit ihrem schön geführten Sopran. Komisches gibt es beim Paar Celia (Schwester von Lucio Silla) und Lucio Cinna (sie will ihn, er sie eher nicht). Sandra TRATTNIGG besitzt dazu den nötigen Schalk und das Format für die großen Arien, Ruben DROLE braucht noch etwas Feinschliff, um seinen manchmal noch etwas ungestümen Bariton zu zähmen.

Der ZUSATZCHOR DER OPER ZÜRICH brillierte mit vorzüglicher Diktion und Genauigkeit.

Theodor GUSCHLBAUER und das feinfühlig musizierende ORCHESTER MUSIKKOLLEGIUM WINTERTHUR vermochten es, mich für Johann Christian Bachs Musik zu begeistern. Chantal Steiner