"JAKOB LENZ" - 19. November 2006

Wolfgang Rihm, geb. 1952, Schüler von Karl-Heinz Stockhausen, ist einer der wichtigsten Vertreter der heutigen deutschen Kompositionsszene. Er hat Büchners Novelle "Lenz" von Michael Fröhlich adaptieren lassen, die Geschichte des langsamen geistigen Versinkens des Dichters Jakob Lenz aus dem Kurland, der vor allem in Straßburg und den Vogesen gelebt und geschrieben hat, wo er u.a. mit Goethe bekannt wurde und dessen Geliebte Friederike Brion "übernahm". Die Handlung spielt großteils bei Pastor Oberlin im Steintal im Elsaß, wohin Lenz sich geflüchtet hatte und ständig von Friederike phantasiert und in den Vogesen herumirrt. Er ruft oft die Natur an, ist fasziniert von der Stille, vor der er sich aber sehr fürchtet. Diese Sturm-und-Drang-Novelle ist kein "Werther", sondern eher ein Vorläufer des Expressionismus.

1977 komponiert und zwei Jahre später in Hamburg uraufgeführt, beginnt die Oper dort, wo Bergs "Wozzeck" aufhört: Marias Knabe liest aus der Bibel, ein Kinderchor singt "Ringel Ringel Rosenkranz" und der Bub ruft "hop, hop". Ein Sextett (zwei Soprane, zwei Alte, zwei Bässe) greift immer wieder als die "Stimmen", die Lenz hört, in die Handlung ein, bis er in völlige geistige Umnachtung versinkt. Die Orchestrierung ist einem Ensemble von elf äußerst ungewöhnlichen Instrumentalisten anvertraut: zwei Oboen, Klarinette, Kontra-Fagott, Trompete, Posaune, Schlagzeug, Cembalo und drei Celli. Rihm war einer der Ersten, der mit Klangfarben spielte, die Timbres der Instrumente verwendete und deren technischen Möglichkeiten systematisch benützte, wie "Flatterzunge" der Klarinette, "sul ponticello" der Celli, usw. Dies ergibt ganz ungewöhnliche Klangbilder, eine oft halluzinatorische Atmosphäre, zusammen mit dem kleinen piano Chor im Hintergrund, bis zum Schluß, wo Lenz an einen Stuhl gefesselt "Konsequent ... Konsequent … Konsequent" ruft.

Die französische Erstaufführung fand 1993 in Straßburg in einer Inszenierung des Dramaturgen und Schriftstellers Michel DEUTSCH statt. Diese Inszenierung wurde nun in Bordeaux und in Nancy wieder aufgenommen. Die dunkle leere Bühne wird mit einem weißen Eisenbett, zwei Stühlen und einer vom Schnürboden hängenden abstrakten Eisenskulptur bestückt (Bild und Kostüme: Roland DEVILLE). Bisweilen finden Projektionen (Beleuchtung: Hervé AUDIBERT) im Hintergrund statt.

In dieser schwarz-grauen Atmosphäre bewegen sich drei Personen: Jakob Lenz (der äußerst ausdrucksvolle deutsche Bariton Johannes M. KÖSTERS), Pastor Oberlin (der amerikanische Baß Gregory REINHART) und der Apotheker Johann Kaufmann (der englische Tenor Ian CALEY). Die drei Sänger sangen und spielten phantastisch, sie zeichneten sich auch durch eine mustergültige Wortdeutlichkeit aus, was dem Verständnis der äußerst zerrissenen Handlung sehr zu Gute kam.

Der französische Dirigent und Komponist Olivier DEJOURS leitete die Mitglieder des ORCHESTRE NATIONAL BORDEAUX AQUITAINE, die sechs SOLISTEN DES OPERNCHORS und den KINDERCHOR "ELIANE LAVAIL" mit großem persönlichem Einsatz.

Eine vorbildliche Aufführung eines sehr schwierigen Werks! Das Publikum zeigte seine Begeisterung mit großem Applaus. wig.