"SCHICKSAL (OSUD)" - 19. März 2006

Gleich nach der "Jenufa" machte sich Leos Janácek an ein neues Werk. "Osud" - "Schicksal" handelt von einem Komponisten, der von seiner schwangeren Geliebten verlassen wird, da ihre Familie sie dazu zwingt. Verletzt beginnt er, eine Oper darüber zu schreiben. Nun beginnt das eigentliche Stück: denn, Jahre später, treffen Živný und Mila sich zufällig in einem Kurbad wieder, verlieben sich erneut, und bleiben zusammen.

Aber auch nun macht Milas Mutter ihnen in ihrem Wahn das Leben zur Hölle, indem sie alles echot, was die beiden sprechen. In diesem Wahn stürzt sie sich vom Balkon und reißt Mila mit in den Tod. Živný wünscht sich nur noch einen Blitz, der ihn vom Leben befreit, der allerdings bleibt aus. Wiederum Jahre später hat Živný die Oper vermeintlich vollendet, und es finden Proben zur Uraufführung statt, aber die Oper endet mit einem Gewitter, alles bleibt offen.

Es drängt sich der Verdacht auf, das Živný selbst in Wahrheit die Hauptfigur der Oper ist. Der erzählt nun mit der Geschichte der Figur Lensky, auch seine eigene, durchlebt alles noch ein weiteres Mal. Und auch hier bleibt mit einem aufziehenden Gewitter alles offen. Es verwundert nicht, daß eine solche Geschichte zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts verwirren mußte, offene Enden waren noch nicht verbreitet, mehrfache Verschachtelungen auch nicht, zumal nicht in der Oper. Und so mußte Janáceks Werk, das er 1904 vollendete bis 1958 auf seine Uraufführung warten. Auch heute ist "Osud" selten auf den Spielplänen zu finden. Das Staatstheater Kassel hat sich nun getraut, hat die Größe der Musik für sich erkannt und sich der verwirrenden Geschichte angenommen. Dabei hat man sich allerdings herausgenommen, in das Stück einzugreifen.

Die Regisseurin Gabriele RECH läßt nicht nur den 3. Akt im Theater spielen sondern das ganze Stück ist bei ihr eine Theaterprobe, in die Živný immer wieder hineingezogen wird, in der er seine eigene Geschichte noch einmal erlebt. Dadurch wird der Oper eine Ebene entzogen, die ganze Struktur (vielleicht) überschaubarer. Aber noch einen Eingriff gibt es. Begeht bei Janácek die Schwiegermutter Selbstmord und nimmt dabei ihre Tochter mit, so ist es in Kassel der Komponist, der das Drängen und Höhnen nicht mehr erträgt und in seiner Verzweifelung die Frau vom Balkon stürzt, woraufhin sich Mila das Leben nimmt, indem sie sich die Pulsadern aufschneidet. Živný ist schuldig geworden, was auch seine Unfähigkeit erklärt, die Oper, die so sehr mit seinem Leben verbunden ist, zu vollenden. Gott soll den Schluß der Oper schreiben, nicht er. Aber auch Gott sendet kein Zeichen, schickt keinen Blitz, der alles beendet.

Zeitlos modern ist dieser Stoff so, mit den allgegenwärtigen Fragen nach Schuld, nach Inspiration von Kunst, nach Verantwortung des Menschen und des Künstlers. Und zeitlos ist auch Janáceks Musik, in der immer wieder flüchtig die "Jenufa" durchscheint, die aber trotzdem so ganz anders ist, noch wilder, noch existentieller. Ein Taumel in achtzig Minuten durch die Gewitter des Lebens, fesselnd und ergreifend.

Das Bühnenbild und die Kostüme von Nicola REICHERT bieten eine Mischung aus dem Kurbad der Jahrhundertwende mit Sonnenschirmen und Liegestühlen, mit Frauen in weißen langen Kleidern, aber auch der modernen Waschmaschine im Komponistenhaushalt. Gesungen wird deutsch, um noch mehr Klarheit zu erreichen.

Der Živný von Christopher LINCOLN wird wie in einem Sog durch den Abend gezogen, wo die Mila von Janet HARBACH für Normalität zu sorgen versucht. Aber gegen die Intensität von Lona CULMER-SCHELLBACHs Mutter haben beide keine Chance. Sie ist einer der Höhepunkte des Abends.

Rasmus BAUMANN am Pult hätte man mehr Durchsetzungskraft für sein Orchester gewünscht, das leider manchmal zu sehr im Hintergrund steht. Auch wenn die Aufführung nicht gut besucht war, so wünscht man mehr Theatern den Mut, dieses Stück aufzuführen. KS