"LA FORZA DEL DESTINO" - 4. November 2006

In einer konzertanten Fassung brachte das seit kurzem auch wieder unter einem Intendanten stehende Theater in Kiel Verdis viel zu selten gespielte "Forza". Gerade, daß es keine Produktion gab, stellte ein Problem dar. Diese Oper ist ja eine, in der relativ viel passiert, und da wäre es doch sehr nett gewesen, wenn gewisse Handlungen zumindest rudimentär dargestellt worden wären. Sorry, aber wenn ich nur anhand der Übertitelungsanlage mitgeteilt kriege (oder eben von einem Opernführer), daß der Marchese di Calatrava von einem sich zufällig gelöst habenden Schuß getötet wurde, wo er doch noch quicklebendig auf der Bühne stand, oder wenn bei einem Liebesduett keiner der Beteiligten den anderen auch nur eines Blickes würdigte, weil der männliche Part nicht die schwarzen Pupillen der Partnerin, sondern die schwarzen Punkte auf dem Notenblatt anstarrte, kann sich über so etwas nicht viel Gedanken gemacht worden sein... Schade eigentlich, da es doch so einige Sänger gab, die zeigten, daß sie dazu durchaus darstellerisches Potential haben (könnten).

Zu diesen zählte sich leider nicht Emmanuel di VILLAROSA (Alvaro), bei dem ich regelrecht erschrak, als er in seiner Arie plötzlich die Arme zu einer albernen Klischee-Geste à la "Wenn ich schon über den Gesang keine Emotionen erzeuge, dann vielleicht so!" erhob. Sicherlich ist es schön, einen Sänger zu hören, der sich auch vor Piani nicht scheut, aber leider blieb er der Rolle eigentlich alles schuldig. Dazu kam noch eine nicht sehr große musikalische Intelligenz, da er am Schluß seiner Arie den hohen Ton ins Nachspiel hielt und im "Solenne in quest'ora" das vorletzte "Addio" viel zu früh begann. Schade...

Glücklicherweise war der Rest der Besetzung fast ausnahmslos auf sehr hohem Niveau, v.a. die tiefen Männer, allen voran der Carlo von Jooil CHOI, der sicherlich nicht über die tollste Stimme oder eine prächtige Höhe verfügt, dafür daraus viel machte und ein großartiges Porträt lieferte, das sich gewaschen hat. Er schaffte es tatsächlich, die Rolle zu entwickeln, was sich insbesondere im "Solenne in quest'ora" manifestierte, das er sehr zart begann, um sich dann, da Carlo mehr und mehr ahnt, mit wem er es zu tun hat, am Schluß den rachsüchtigen Bruder/Sohn hervorzukehren. Gelegentlich, aber selten, fand ich, daß er ein klein bißchen zu viel des Guten tat, was aber auch daran liegen könnte, daß er einfach Raum zu Spielen braucht. Seine Gesten ließen solches erahnen...

Die Leonora von Tatiana PLOTNIKOWA gefiel nach etwas flauem Beginn mit einer angemessen dramatischen Stimme und einer Interpretation, die aus der Rolle mehr machte, als sie eigentlich hergibt. Auch bei ihr konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß sie die Bühne als Spielfläche braucht. Jedenfalls machten sie und Choi mir Lust darauf, mir evtl. die "Tosca" anzuschauen, in der beide wohl mitwirken.

Die Tatsache, daß der Vater des koreanischen Carlo auch von dort stammt, wohingegen die Leonora aus Rußland kommt, läßt Raum für so einige Spekulationen... Naja, jedenfalls ließ Chan Il SEOK als Calatrava einen durchaus interessanten Baß vernehmen. Hans Georg AHRENShrens vermochte trotz hohler Stimme als Guardian zu überzeugen. Ein absoluter Gewinn war der Fra Melitone von Hye-Soo SONN, dem schändlicherweise zwei Szenen gestrichen wurden. Steffen DOBERAUER (Trabuco) fand nach nicht so tollem Beginn im "A buon mercato" zu guter Form. Weiterhin fiel Andrzej BERNAGIEWICZ (Alcalde/Chirurg) höchst positiv auf.

Während Carmen CARDÁN (Curra) in den Noten vergeblich nach geraden Tönen suchte, ließ sich Marina FIDELI (Preziosilla) vom Chor im Rataplan die Show stehlen und von diesem komplett gegen die Wand singen, dazu trug sie ein Outfit, dessen Oberteil im grellsten Pink sich heftigste Kämpfe mit dem orange-karierten Rock lieferte - die Verlierer waren die Augen der Zuschauer.

Unter dem Dirigat von Johannes WILLIG spielte das PHILHARMONISCHE ORCHESTER KIEL einen detailfreudigen und v.a. sängerfreundlichen Verdi. In den lyrischen Passagen, hätte es gerne etwas schneller und spannender sein können, aber dafür waren die schmissigen eigentlich genauso schön schmissig, wie ich es mag. Eine hervorragende und tadellose Leistung ist dem CHOR (David MAIWALD) zu bescheinigen. WFS