"ELEKTRA" - 23. September 2006

Eine Koproduktion mit dem Badischen Staatstheater Karlsruhe bescherte dem Theater Kiel eine "Elektra". Es ist sicher nicht sehr leicht, dieses Stück spannend zu erzählen, da es ja eigentlich eine Oper ist, in der kaum etwas passiert, und das, was passiert, geschieht dann auch mehr oder weniger im Off. Dennoch schaffte Robert TANNENBAUM eine durchaus sehenswerte Produktion, in der er die Titelfigur, wenn Klytämnestra oder Chrysothemis singen, als zerbrechliches Wesen zeichnet, die dann aber trotzdem wieder in ihren Wahn verfällt und am Schluß von Orest umgebracht wird, sei es, um sie zu erlösen oder weil er sich vor ihr ekelt, das kann man sich ja selbst überlegen - und stellt eine gute Regie nicht auch derartige Fragen?

Der Ausstatter Peter WERNER entwarf ein schmutzig-weißes Bühnenbild, das aus zerbrochenen Säulen besteht, die in den Himmel ragen. Seine Kostüme unterstrichen Elektras Ausgegrenztheit (weißes Kleid) und die (erzwungene?) Angepaßtheit der anderen Figuren (schwarze Gewänder).

In der Titelpartie ließ Lisa LIVINGSTON aufhorchen. Sicherlich kann man schon die Anklänge von klassischen Verschleißerscheinungen bei hochdramatischen Sopranen ausmachen (Anreißen der Töne aus der Tiefe, scharfe Höhe, Anspringen der Stimme bei gewissem Druck,...). Dennoch schaffte sie es sehr gut, Elektras wahnhafte Verbohrtheit in ihr einziges Ziel glaubhaft zu machen und fand gerade in der Orest-Szene zu unglaublich sanften und lieblichen Tönen.

Ebenso hervorragend gab Claudia ITEN ihre Schwester Chrysothemis, die mit intensivem Gesang und Spiel ihre etwas biederen Ansichten mit Nachdruck und Einsatz vortrug. Da stand nicht ein kleines Mädchen auf der Bühne, sondern eine gestandene junge Frau.

Dessen Mutter Klytämnestra wurde von Cornelia DIETRICH mit ältlichem Mezzo gesungen, der aber in der Rolle nicht unbedingt störte. Dennoch vermißte ich bei ihr ein gewisses Profil.

Ein eigenartiges Bild gab Jörg SABROWSKI ab. Wenn man sich nach seinem ersten "Ich muß hier warten" auf einen mystisch-sinistren Orest freute, verlor er nach dieser Phrase scheinbar sein bassiges Volumen und das Geheimnisvolle. Dazu war die Höhe sehr schlecht abgedeckt.

Dagegen gefielen die beiden Tenöre ausnehmend gut. So gab James WOOD eine köstliche Charakter-Studie des in dieser Produktion schon sehr senil wirkenden Aegisth, der sich von Elektra auf der Nase herumtanzen ließ. Der andere war Steffen DOBERAUER, der mit Spielfreude und Einsatz einen quirligen jungen Diener sang. Der alte lag bei Mattias BREDE in soliden Händen.

Hye-Soo SONN (Pfleger), Norma REGELIN (Vertraute), Cornelia MÖHLER (Schleppträgerin), sowie die Mägde von Marita DÜBBERS, Bianca KIRSCH, Marina FIDELI, Susan GOUTHRO und Heike WITTLIEB ergänzten solide. Katja PIEWECK aus dem Hamburger Ensemble war eine luxuriöse Aufseherin.

Ein Wermutstropfen war allerdings das Dirigat von Simon REKERS. Unter seiner nicht wirklich sängerfreundlichen Stabführung spielte das PHILHARMONISCHE ORCHESTER KIEL zwar lauter richtige Töne zur richtigen Zeit und in der richtigen Länge, aber ich hatte nicht den Eindruck, daß jemand wußte, wieso er das nun tat - Arbeit nach Vorschrift also. Den kleinen Auftritt meisterte der CHOR ohne große Probleme. WFS

P.S.: Daß das nicht sehr zahlreich erschienene Publikum an diesem Abend die Applausfreude von den Besuchern der feierlichen Eröffnung einer Ampel in einem 100-Seelen-Kaff hatte, war ja noch zu verschmerzen (möglicherweise waren sie auch schockiert, daß das Stück nun so gar nichts mit dem "Rosenkavalier" oder gar der "Fledermaus" zu tun hatte ;-)), aber daß man nun zwei kleine Kinder (schätzungsweise drei und fünf Jahre alt) in eine Oper mit solch einem brutalen Inhalt und solch einer brutalen Musik schleppt, finde ich persönlich unverantwortlich. Außerdem muß man nicht die erste Hälfte einer Aufführung mit irgendwelchen Debatten verbringen!!!