"PROSPERO" - 9. Juni 2006

Die Diskussion darüber, ob man heute noch Literaturoper schreiben "darf" ist obsolet, wenn man die Faszination betrachtet, die Shakespeare ungebrochen auf Komponisten ausübt. Jüngstes Beispiel dafür ist die Uraufführung von "Prospero" des Italieners Luca Lombardi an der Oper in Nürnberg.

Bleiben tut allerdings die Frage, was ein Komponist einem so musikalisch schreibenden Dichter hinzufügen, wie ihn in der Musik lebendig(er) machen kann. Gerade die Spätwerke, wie der "Sturm" scheinen für zeitgenössische Komponisten besonders spannend zu sein. Diese Werke sind weder Tragödie noch Komödie, haben aber Elemente von beidem und lassen dem Komponisten damit viel Spielraum.

Luca Lombardi (Jahrgang 1945) weiß das zu schätzen. Hat er doch bei so unterschiedlichen Lehrern wie Stockhausen, Schnebel oder Eisler und Dessau studiert. Dabei hat er sein Handwerk gründlich gelernt, so daß er die verschiedenen Stile benutzen kann, ohne sie schlicht zu kopieren. In "Prospero" setzt er diese Mittel breit ein, wenn Szenen nur mit Solo-Cello (Christoph SPEHR) und Solo-Flöte (Roberto FABBRICIANI) kammermusikalischen Charme entwickeln, dann aber wieder das gesamte Schlagwerk, das sogar in den Seitenlogen sitzt, mit dem schweren Blech dem Monster Caliban Rückgrat verleihen. Da stehen dann Zwölftonreihen neben Folkloreelementen, aber alles paßt zusammen, fällt nie auseinander, was auch den NÜRNBERGER PHILHARMONIKERn unter Johannes FRITZSCH mit ihrer präzisen Umsetzung zu verdanken ist.

Die Handlung hält sich weitgehend an den englischen Dichter. Friedrich Christian Delius hat das Libretto verfaßt, das den Text behutsam kürzt, aber auch, wo es der Aussage wichtig scheint, ergänzt. So am Schluß, wenn Prospero in einem langen Abgesang seiner Insel und seiner Zauberei entsagt, entleiht Delius auch schon mal aus anderen Stücken Shakespeares. Die Sprache des Librettos reflektiert die Herkunft des Sprechenden. Die Inselbewohner sprechen Deutsch, die Schiffsbesatzung je nach Bildung, Italienisch oder Neapolitanisch, und der Luftgeist Ariel darf das englische Original singen. Eine schöne, bühnenwirksame Geste, die für die Aussage des Stückes allerdings wenig bringt. Man erinnert sich: Prospero, der Herzog von Mailand, wurde von seinem Bruder gestürzt und vertrieben und hat nur durch ein Wunder, zusammen mit seiner Tochter Miranda, auf einer einsamen Insel überlebt. Hier machte er sich den Luftgeist Ariel und das Monster Caliban mit Hilfe seiner Zauberkunst zu Dienern. Jahre später, als sein Bruder und der König von Neapel nebst Sohn an der Insel vorbeisegeln, kann Prospero das Schiff mit Hilfe eines selbst entfesselten Sturms auf die Insel bringen. Er spielt Schicksal, spielt mit den Gefühlen seiner früheren Peiniger, zeigt sich aber am Ende versöhnlich.

Ariel ist vielleicht die Rolle, die durch die Oper am meisten gewinnt. Lombardi besetzt ihn mit vier Frauen(-stimmen). Und so wuseln die vier (Jennifer ROUSE, Anja Fidelia ULRICH, Anna ALÀS i JOVÉ und Susanne Maria GRAF) in weißem Frack mal hier mal dort, tanzen und singen, und bekommen so durchaus etwas Geisthaftes. Wenn die Stimmen verklingen, klingt, wie ein Echo, die Flöte nach, die der Figur ebenfalls zugeordnet ist. Manchmal wird Ariel gar dreißigfach gebrochen und die Bühne ist voll von Geistern. Ein zauberhafter Kunstgriff.

Überhaupt die Bühne (Tobias DINSLAGE). Sie besteht aus dem schlichten Hügel der Insel, von einem weiten Himmel umgeben, der meist blau mit leichten Schleierwolken ist. Wenn aber gleich zu Beginn der Sturm losbricht, mit dem Prospero seine Widersacher auf die Insel zwingt, so werden mit Hilfe von feinfühliger Videoanimation, Ariels in den Himmel projiziert, die sich immer wieder in stürmische Wolken verwandeln und mit rauschender Geschwindigkeit hinabstürzen. An dieser Stelle ist das Bild der Musik überlegen, denn auch Lombardi hat bei der Sturm-Musik nicht seine glücklichste Hand.

Die Geschichte nimmt ihren Lauf, wenn die als Clowns geschminkten Schiffbrüchigen auf der Insel umherirren. Wenn also Alonso (Richard KINDLEY) verzweifelt seinen Sohn sucht, und dabei immer wieder von Prosperos Bruder Antonio (Song-Hh LIU) bedroht wird. Wenn Alonsos Sohn Ferdinando (in der Hosenrolle: Frances PAPPAS) auf Prosperos Tochter Miranda (Anna GABLER) trifft, und die beiden sich sofort ineinander verlieben, oder der Narr Trinculo (Teresa ERBE als weiblicher Narr) und der Kellermeister Stefano (Bernd HOFMANN) dem stinkenden Inselmonster Caliban (Wolfgang NEWERLA) begegnen und zur großen Verbrüderung ansetzen. Hier lebt neben der Musik alles vom Licht und den Kostümen und den Leistungen der Darsteller.

Selten habe ich eine so genaue Personenregie in der Oper gesehen wie die von Andrea RAABE. Und selten ein Ensemble, das diese so genau und spielfreudig umsetzt. Publikumsliebling wird dabei erstaunlicherweise das Monster, das wohl auch die heimliche Zuneigung des Komponisten hat, der ihn mit den kräftigsten Farben und der eingängigsten Musik versieht. Caliban ist es dann auch, der am Ende, wenn Prospero dem Zauber entsagt, schon in den weiten Zaubermantel gehüllt und mit einem Brett als Waffe versehen, im Hintergrund in den Startlöchern steht, um die Herrschaft der Insel zu übernehmen.

Macht ist überhaupt das Thema für Lombardi, aber bis auf das Schlußbild ist dieser Aspekt immer nur unterschwellig da. Das fragile Spiel mit den Kräften, geht zwischen Clowngesichtern, Liebesschwüren und Saufgelagen immer mal wieder verloren, ist aber nie völlig verschwunden. Prospero (überzeugend: Hans-Christoph BEGEMANN) schwört am Ende der Macht ab, begibt sich in die Gnade derer, die ihn einst entthront haben, wissend, daß er damit sein Ende herauf beschwört. Dies ist bei Lombardi deutlicher als bei Shakespeare und hinterläßt quasi einen offenen Schluß. KS