"FIDELIO" - 29. April 2007

Beethovens einzige Oper ist einer der Grundpfeiler des deutschen Opernrepertoires. Aber an keinem Opernhaus Frankreichs steht "Fidelio" regelmäßig auf dem Spielplan; auch die Pariser Opéra hat Beethovens Freiheitsoper seit Jahrzehnten nicht gespielt. Aufführungen in Paris sind entweder konzertant oder waren Gastspiele deutscher Opernhäuser. "Fidelio" wird selbst von bekannten Kritikern als ein schwaches Werk angesehen. Dafür gibt die Hälfte aller Orchester Frankreichs in jeder Saison ein reines Beethoven-Konzert, die andere Hälfte in der nächsten Saison. Komplette Zyklen von Beethoven-Symphonien sind keine Seltenheit. Es ist deshalb erfreulich, daß man in Bordeaux "Fidelio" in einer passablen Produktion und guten Besetzung heraus gebracht hat, zumal ja das 1780 eröffnete, wunderschöne Grand Théâtre von Victor Louis (das schönste Frankreichs) mit prächtiger Akustik ein ideales Haus für Beethovens Oper ist.

Für Inszenierung, Bühnenbild und Beleuchtung zeichnete Giuseppe FRIGENI. Daß er Mitarbeiter von Bob Wilson war, ist offenbar, denn er hat auch den Langsam-Tick seines Mentors. Sänger und Chor wandern ständig im Zeitlupentempo auf der Bühne herum und warten auf ihren Auftritt. Das Einheits-Dekor war recht passend und wurde essentiell von zwei hohen Gittergängen beherrscht, die bedarfsweise herum geschoben wurden. Mehrere nicht unbedingt notwendige Utensilien wurden verwendet, z. B. drei silberne Armleuchter in der 1. Szene, sowie ein größeres Kleiderregal, bei dem sich alle einkleiden. Ein riesiges Auge wird in der Schlußszene auf den Hintergrund projiziert. Weshalb?

Daß der Text von Sonnleitner und Treischke keine unsterbliche Literatur ist, ist bekannt und Striche im gesprochenen Text sind üblich und kein Verbrechen. Doch es gibt Grenzen, denn diesmal fand sich ein Nicht-Kenner sicher nicht zurecht: vom ursprünglichen verbindenden Text blieben vielleicht ein Dutzend Zeilen übrig! Leonores erster Auftritt fand nicht statt, sie war ja seit Beginn da, kein Mensch weiß, weshalb, woher sie kam, denn das Quartett begann ohne jegliche gesprochene Einleitung. Völlig unklar war auch, wieso Leonore Don Pizarro in Schach halten konnte, denn sie ist unbewaffnet. Verständlichkeit der Handlung sollte eigentlich das Minimum sein, was das Publikum von einem Regisseur erwarten kann. Die Kostüme von Amelie HAAS waren dunkel, aber passend, z. B. der Ledermantel Pizarros mit großen Aufschlägen.

Am Pult setzte Klaus WEISE von Beginn an starke Zeichen, indem er eine sehr belebte und gleichzeitig straffe Leitung des Orchesters bot und besonders die Bühne sehr beachtete. Der Gefangenen-CHOR (unter der bewährten Leitung von Jacques BLANC) ist schon lange nicht so prachtvoll gesteigert gesungen worden, von den beginnenden Fagotten bis zu "Oh Freiheit, wann kehrst Du uns zurück!" Das hervorragend spielende ORCHESTRE NATIONAL DE BORDEAUX-AQUITAINE zeigte sich von der Leitung des deutschen Dirigenten sehr inspiriert. Besonders die Bläser waren erstklassig (speziell die Hörner). Da Orchester und Dirigent sehr in Schwung waren, ist umso mehr zu bedauern, daß vor dem letzten Bild die 3. Leonoren-Ouvertüre nicht gespielt wurde.

Die Sänger zeigten Ensemblegeist und trugen die Handlung, trotz des fast vollständig fehlenden gesprochenen Dialogs. Die große Überraschung der Aufführung war Cécile PERRIN in der Titelrolle. Die junge Französin - obwohl zu Beginn etwas belegt - sang eine hinreißende Leonore. Man mußte an die junge Martha Mödl denken, mit ihren Vor- und Nachteilen. Einerseits die prächtige dunkel timbrierte Bronze-Stimme, anderseits auch die bisweilen flackernde Intonation der Höhen erinnerten an das berühmte Vorbild. Der junge Heldentenor Klaus-Florian VOGT war ein ausgezeichneter Partner als Florestan. Er begann sein "Gott, welch' Dunkel hier!" mit pianissimo und steigerte bis zum fortissimo, ohne zu forcieren. Erschütternd! Welche Stimme und Gesangskultur!

Der Dritte im Bunde war der hervorragende Rocco von Andrew GREENAN, der mit profundem Baß die Gold-Arie sang. Nicht sonderlich überzeugend war David PITTMAN-JENNINGS als Don Pizarro. Sein etwas trockener Bariton beginnt langsam die Länge seiner Karriere anzuzeigen, besonders in den Höhen. Das Liebespaar Marzelline und Jacquino war bei Kemy MCLAREN und Collin JUDSON bestens aufgehoben. Beide sangen mit angenehmen Stimmen und spielten passend.

Robert POMAKOV war ein schön singender Don Ferrando. Olivier SCHOCK und Pascal WINTZER, die beiden Solisten des Gefangenen-Chors sangen mit perfekter Diktion ausnehmend gepflegt und schön (was selten der Fall ist!). - Dankbarer Applaus des Publikums für Sänger und Dirigenten. wig.