"LE NOZZE DI FIGARO" - 24. Juni 2007

Die letzte Aufführung der Saison in Bordeaux ist meistens ausgezeichnet, und man hört oft junge Sänger zum ersten Mal. Auch diesmal stimmte dies: ein paar "alte Bekannte" und mehrere junge, talentierte Sänger.

Robert CARSENs nun vierzehn Jahre alte Reise-Inszenierung ist nach vielen Vorstellungen quer durch Europa wieder an die Stelle der Erstaufführung zurückgekehrt. In den einfachen Bühnenbildern und den netten Kostümen von Charles EDWARDS (letztere mit Gabrielle DALTON) und der passenden Beleuchtung von Dominique BRUGIÈRE hat Carsen eine flotte und geschickte Personenführung auf die Bühne gestellt. Die Handlung spielt hier im viktorianischen England, was durchaus vertretbar ist und zu einigen guten und amüsanten Gags führt, die aber nie vulgär oder dämlich sind; so gießt sich der Graf völlig erschöpft nach der Entdeckung der Verwandtschaft zwischen Figaro und Marcellina einen zweiten Whiskey ein, oder wenn Cherubino und Barbarina in der Schreibtischlade des Grafen wühlen und ein Exemplar von "Playboy" finden.

"Verkleidung" ist das Grundthema der Inszenierung. Deshalb sind ständig Schneiderpuppen auf der Bühne. Während des Fest-Marsches im 3. Akt tragen alle ihre Festtagskostüme auf solchen Kleiderständern, und der 4. Akt spielt in einem Wald von Kleiderpuppen. Alles ist etwas oberflächlich beschwingt und leicht, ohne trivial zu werden. Sicher, Conte Almaviva ist ein sexbessener Macho, ein brutaler, eifersüchtiger und letzten Endes lächerlicher Potentat, ein würdiger Kollege Don Giovannis.

Musikalisch war der Erfolg Jane GLOVER zu verdanken, die hier vor zehn Jahren in einer ausgezeichneten Aufführung von Glucks "Orphée et Eurydice" zu erleben war. Sie leitete das ORCHESTRE NATIONAL BORDEAUX-AQUITAINE mit Schwung und Präzision, aber kümmerte sich auch sehr um die Sänger, die ihre umsichtige Leitung genossen und befolgten. Das bewirkte, daß die Ensembles besonders kohärent waren, trotz der etwas zusammen gewürfelten Besetzung. Das Grafen-Paar sangen zwei ausgezeichnete, uns unbekannte Sänger. Die Engländerin Claire RUTTER war eine elegante Contessa und bestach mit wunderbar geführter, voller Stimme und wunderschönem legato, das in der 2. Arie "Dove sono" voll zum Ausdruck kam. Riccardo NOVARRO als Conte brachte die Frust und Ohnmacht in der Szene "Hai già vinta la causa!" sehr treffend zum Ausdruck. Sein angenehmer Kavaliersbariton war für diese Rolle sehr passend.

Das Diener-Paar war ebenso bestens besetzt. Der Figaro von Nicolas CAVALLIER besitzt einen prächtigen basso cantate, den er sehr vorteilhaft anwendet. Er ist auch ein sehr guter Schauspieler, der seinen Charme und sein gutes Aussehen in der großen Arie des 4. Akts "Aprite un po' que l'occhi" (im Parkett gesungen) bestens zur Schau stellte. Anna-Maria PANZARELLA sang eine sehr gefühlte Rosenarie im 4. Akt, zeigte aber eine Susanna mit festem Charakter, die Figaro kurz darauf richtig verdrosch.

Diana AXENTIL ist eine große, etwas rundliche junge Mezzosopranistin aus Moldavien. In ein Polo-Kostüm gequetscht, spielte sie passend den etwas übergewichtigen hormon-getränkten Teenager Cherubino, dessen Arien sie mit hübscher Stimme sang. Auch das intrigierende Elternpaar war blendend besetzt. Marie-Thérèse KELLER im luxuriösen Pelzmantel gab der Marcellina eher den Status einer eleganten Mätresse als einer Haushälterin. Leider wurde ihre Arie "Il capro e la capretta" gestrichen. Als Dottore Bartolo posaunte Luciano DI PASQUALE mit seinen profunden Baß "Tutta Siviglia conosce Bartolo" in den Saal.

Don Basilio, Ricardo CASINELLI, wahrlich keine umwerfende Stimme (deshalb auch die Arie im 4. Akt gestrichen), aber ein ausgezeichneter Schauspieler, war als Clergyman gekleidet bzw. als Kardinal in rot im 4. Akt. Er wußte die lächerliche Intrigantenrolle zu profilieren, indem er sämtliche Ereignisse gleich in seinem Notizbuch aufschrieb. Der Barbarina gab die Georgierin Khatouna GADELIA kindliche Naivität und suchte mit hübscher Stimme ihre Nadel. In den kleinen Rollen des Don Curzio und des Gärtners Antonio waren zwei Choristen eingesetzt, Olivier BEKRETAOUI und David ORTEGA, die sich mit Erfolg ihrer Aufgabe entledigten.

Das meist gutbürgerliche Sonntagnachmittag-Publikum, meist ältere Jahrgänge, war begeistert und feierte alle Künstler mit enthusiastischem Beifall. wig.