"TOSCA" - 12. Januar 2007

Diese Vorstellung war als "Gala" angekündigt, Marcello Giordani sollte den Cavaradossi singen. Giordani sagte jedoch ab, die Frankfurter Oper stand vor der Frage, was tun? Nach erfolgloser Suche nach einem Ersatz beschloß man, den Sänger der Rolle in den "normalen" Vorstellungen zu verpflichten. Dem Publikum wurde freigestellt, in der Pause oder nach der Vorstellung sich den Gala-Aufpreis zurückerstatten zu lassen. Die müssen sehr überzeugt von ihrem Tenor sein, war mein erster Gedanke. Trotzdem blieb ich skeptisch.

Es ist schwer, eine "Tosca" szenisch gegen die Wand zu fahren. Wenn man drei Sänger hat, die wissen, was sie tun, stört weder eine häßliche Kulisse, noch ein irritierendes Konzept. Alfred KIRCHNER und sein Bühnenbildner Karl KNEIDL haben für den ersten Akt drei Spielflächen geschaffen, eine normale Bühne, den Platz darunter und das Malergerüst als Brücke über die Bühne in Höhe des 2. Ranges. Der zweite Akt ist relativ beengt, hier gibt es eine steile Treppe, fast schon eine Leiter, auf der Scarpia herumturnen darf. Der dritte Akt war speziell zu Beginn von mir überhaupt nicht nachvollziehbar. Da steht der Hirt (Jan SCHEIDL hundertprozentig intonationsrein!) nur mit Shorts bekleidet allein auf der Bühne und verstreut Blumen. Bevor der Schließer erscheint, bauen die Bühnenarbeiter dann die Kulisse erst auf. Ob dies nun eine Theater-im-Theater-Situation suggerieren soll, entzog sich meinem Verständnis. Auf mich wirkte es eher, als sei dem Regisseur für dieses Zwischenspiel nichts eingefallen.

Positiv ist die Personenführung (Leitung der Wiederaufnahme: Saskia BLADT) zu vermelden. Da findet viel Bewegung statt, ohne daß Hektik verbreitet wird, Scarpia verletzt ständig den persönlichen Raum von Tosca und Cavaradossi, indem er ihnen zu nahe kommt, Cavaradossi arbeitet ungerührt weiter, während Tosca von "nostra casetta" schwärmt, während des "Te Deum" reißt sich Scarpia die Kleider förmlich vom Leib ("In chiesa!" möchte man ausrufen, aber der Effekt hat was), Angelotti bekommt von den Anstrengungen der Haft und Flucht das Würgen...

Dirigiert wurde der Abend von Stefan SOLYOM, der mit dem fehlerlosen FRANKFURTER MUSEUMSORCHESTER zwar keine neuen Einsichten in das Werk bot, aber den Abend überaus kompetent zusammenhielt, immer sängerfreundlich blieb und wußte, wie man die komponierten Effekte ausmusiziert. Der CHOR sang hochklassig.

Eszter SÜMEGI in der Titelrolle legte diese stimmlich sehr lyrisch an, so daß man zu Beginn sich schon sorgte, ob sie den dramatischen Ausbrüchen gewachsen sein würde. Diese Sorge war unbegründet. Es gab keine Grenzen, an die die Sängerin jemals stieß. Die Stimme ist zudem apart timbriert. Darstellerisch war sie im ersten Akt durch eine sehr unkleidsame Kostümierung (Margit KOPPENDORFER) behindert, in der sie ausschaute wie eine Krankenschwester auf dem Rückweg von der Nachtschicht. Das gab sich jedoch im zweiten und dritten Akt, auch wenn sie dabei weniger die Diva als die liebende Frau in den Vordergrund stellte.

Einen Tag nach dem Sebastiano in "Tiefland" tobte sich Lucio GALLO an einem weiteren Erzbösewicht der Opernliteratur aus. Dieser Scarpia bebt förmlich vor Begehren, was unter der herrischen Oberfläche tobt, und er setzt dieses Begehren trotzdem bewußt ein, um Tosca durch die sexuelle Bedrohung zum Geständnis zu zwingen. Stimmlich trumpft er im "Te Deum" enorm auf, doch Herzstück der Interpretation ist die Szene, in der er Tosca den Preis nennt für Cavaradossis Rettung, wo die ganze Persönlichkeit von Scarpia zwischen gefährlich leisen piani und machtvollem Befehlston entwickelt wird. Da ist nicht nur sein Opfer wider Willen fasziniert.

Soon-Won KANG als Angelotti sang und spielte überzeugend ein traumatisiertes Folteropfer, dem man abnahm, daß er sich lieber umbringt, als noch einmal in Scarpias Hände zu fallen. Der Mesner von Franz MAYER gehörte nicht zu den besten Mesnern aller meiner "Tosca"-Vorstellung, aber auch nicht zu den schlechtesten. Er war sehr solide. In den kleineren Rollen fiel Michael McCOWN als überraschend stimmschöner Spoletta auf. Gérard LAVALLE (Sciarrone) und Zoltan WINKLER (Schließer) ergänzten überaus kompetent.

Und der Tenor? Francesco HONG war mir noch nicht einmal dem Namen nach bekannt. Da kam jedoch ein nicht sonderlich großer, optisch nicht unbedingt dem romantischen Helden entsprechender Mann auf die Bühne, öffnete den Mund, und mir fiel die Kinnlade herunter. Die Stimme hat ein Timbre, das irgendwo zwischen di Stefano, Aragall und Carreras anzusiedeln ist, sie ist absolut höhensicher und vollkommen ebenmäßig geführt. Und dazu verläßt sich der Sänger nicht allein darauf, sondern er weiß zu phrasieren, ist von exemplarischer Wortdeutlichkeit, und er kennt die Geheimnisse eines pianissimo. Dieser Tenor ist schlichtweg sensationell und brachte das Publikum geradezu zum Ausrasten.

Ich habe den Gala-Zuschlag nicht zurück verlangt. Und sollte dies jemand tatsächlich getan haben, so hat dieser jemand meiner Ansicht nach Riesentomaten auf den Ohren. MK