SCHWANLOS IN MAILAND

Fährt man für eine "Lohengrin"-Aufführung von Hamburg nach Mailand? Zumal, wenn man die ultimative Darbietung dieser Oper (noch) quasi um die Ecke zu sehen/hören bekommt? Nun, keine Ahnung, ob "man" es tut. Wir haben es gemacht, wobei die Besetzung von Anne Schwanewilms und Robert Dean Smith ein musikalisches Highlight versprach.

Das Teatro alla Scala bot hier genau das Erwartete, sogar ein bißchen mehr. Andererseits fehlte es für eine übers Repertoire hinausgehende Aufführung an einigem (u. a. an einem Schwan, doch zur Inszenierung später).

Anne SCHWANEWILMS gab eine enorm toughe Elsa, jeder Zoll eine junge Frau königlichem Blutes. Ihre leichte, sehr schön klingende Stimme trug mühelos bis in die 2. Galerie hinauf und bot eine ungemein mädchenhaft zart wirkendende Interpretation von Wagners oft so mächtig tönender Musik. Vor dem Münster blieb Elsa eindeutig Siegerin. Mit pointiertem Gesang und energischen Gesten wies der Sopran die Gegnerin die ihre Schranken.

Schwer machte Waltraud MEIER es ihr letztlich allerdings auch nicht. Es fehlte Ortrud an Gefährlichkeit. Sie war ebensowenig geheimnisvoll wie präsent. Hinzu kam eine über weite Strecken doch beklagenswerte Sprachbehandlung und eine gewisse Nachlässigkeit im Gesang. Trotzdem klang sie noch besser als der Telramund von Tom FOX, der den Abend über vergeblich seine Gesangslinie suchte und mit seinem Gehampel die Figur der Lächerlichkeit preisgab. Sein eklatanter Sprachfehler kam so noch mehr zum Tragen.

Besser, aber ebenfalls nicht hundertprozentig konnte da Hans Peter KÖNIG als Heinrich überzeugen, der einige schöne Ansätze hören ließ. Entschädigt wurde man von Detlef ROTH, dessen Heerrufer nach einem zögerlichen Beginn sehr hörenswert seine wenigen Zeilen verkündete.

Und der Held? Es ist schwierig, Lohengrin in der Interpretation von Robert Dean SMITH nicht zu mögen. Staunend wie ein Kind trat er in Elsas Welt und Leben, und scheiterte letztlich daran, daß die Geschichten fern von Montsalvat nicht immer ein gutes Ende nehmen.

Der Tenor hatte es ebenso wie seine Partnerin nicht nötig, stimmlich großartig aufzutrumpfen. Er sang präzise, variierte in Lautstärke und Tempo, wo es die Stimmung erforderte, und gewann die Herzen des Mailänder Publikums mit seiner lyrischen Interpretation.

Leider ließ das ORCHESTER unter der Leitung von Daniele GATTI eine weniger vollendete Wagner-Interpretation hören. Das erste Vorspiel waberte unter einigen Tempi-Verzerrungen aus dem Graben, das zum 3. Aufzug klang relativ uneins. Generell schien dies nicht die Musik Gattis zu sein, doch es gab auch sehr schöne Momente z. B. bei "Es gibt ein Glück" sowie die Einleitung zur Gralserzählung.

Ein großer Pluspunkt des Abends war der CHOR (Leitung: Bruno CASONI). Neben einer exzellenten Diktion und einer permanenten Wortdeutlichkeit bestachen die Damen und noch mehr die Herren durch klaren, stets homogenen Gesang. Paolo SALA, Giuseppe BELLANCA, Guillermo E. BUSSOLINI und Lorenzo CESCOTTI als die vier brabantischen Edlen sowie Silvia MAPELLI, Emilia BERTONCELLO, Kjiersti ODEGAARD und Perla V. CIGOLINI als die vier Edelknaben stärkten den überaus positiven Eindruck der italienischen Sänger.

Die Inszenierung von Nikolaus LEHNHOFF war schlicht langweilig. Es gab nichts Neues, das über Richard Wagners Schwanenrittergeschichte erzählt wurde, weil einfach gar nichts erzählt wurde. Wenn man glaubte, den Ansatz einer Deutung durch den Regisseur entdeckt zu haben, verpuffte diese Idee im nächsten Moment, weil kein Gedanke zuende geführt wurde.

Das Bühnenbild (Stephan BRAUNFELS) bediente sich altbekannter Stilelemente wie einem amphitheaterartigem Rund und einer riesigen Treppe mit breiter "Auffahrt" (und viel zu kurzen Stufen) vor dem Münster. Im Brautgemacht schuf ein merkwürdig geformter Raum etwas Intimität. Der Sinn des Klaviers in demselben blieb allerdings ein Rätsel.

Einen Schwan gab es nicht. Stattdessen wurde ein Tür geöffnet, durch die dann allerdings nur Bühnennebel strömte. Lohengrin wühlte sich zuerst einmal durch den versammelten Chor, um dann dort "wie von Zauberhand" zu erscheinen.

Die Kostüme von Bettina WALTER waren entweder unvorteilhaft für den jeweiligen Künstler oder unpraktisch wie Elsas Brautkleid mit riesiger Schleppe (ich hoffe, jemand zwingt Frau Walter, in diesem einmal besagte Treppe abzuschreiten...). Ortrud wirkte wahlweise trutschig oder wie Cruella de Vil, Lohengrins Kostüm gemahnte an eine TV-Science-fiction-Serie der 70er/80er-Jahre (was allerhöchstens als Inspiration für merkwürdige Geschichten dienen konnte).

Das Publikum strafte das Regieteam dann auch mit flauem Applaus und einigen sehr kräftigen Buhs, denen die vereinzelten Bravos nichts entgegensetzen konnten. Die Sänger wie auch Dirigent und Orchester wurden gefeiert. Einzig über Frau Schwanewilms war man sich uneins. Während man unten sein Mißfallen bekundete, wurde sie von beiden Galerien aus gefeiert. AHS