"IDOMENEO" (Wiener Fassung) - 10. November 2007

Das Libretto von "Idomeneo" des Gian-Battista Varesco, Hofkaplan des Primatus Germaniae, dem salzburgischen Erzbischof Colloredo (mit dem sich Mozart damals gerade endgültig zerkracht hatte), ist schlicht und einfach umstürzlerisch. Die Auflehnung Idomeneos gegen die Ungerechtigkeit und Brutalität der Götter ist eine offene Kritik der Kirche und des Absolutismus. Das Libretto ist allerdings ungeheuer komplex und nicht immer dramatisch überzeugend, was die Glaubhaftigkeit jeder Inszenierung erschwert.

Der dreiundzwanzigjährige Mozart hat in diesem dramatisch schwierigen Werk, der ersten der sechs "großen" Opern, den "Sturm und Drang" und eine neue Operndramatik angekündigt, mit bisher nie verwendeten Orchestermassen, u.a. die erstmalige Verwendung der Klarinetten, sowie vier Hörner und drei Posaunen. In der Wiener Fassung ist Idamante ein Tenor, und Mozart hat ihm eine seiner schönsten Tenor-Arie geschrieben, das Rondo "Non temer, amato bene".

Bisweilen erlebt man Aufführungen, die man ruhig als perfekt bezeichnen kann. Manchmal passiert das selbst auf kleineren Bühnen. Bei der "Idomeneo"-Premiere in Strasbourg war dies der Fall, eine optimale Synthese von Bühne und Graben, Regie, Bild und musikalischer Interpretation. Die Szenographie von Siegfried MAYER bestand rechts aus sich in Schneckenform in einander schiebende acht Meter hohe, leicht gewölbte Platten, die das aufgepeitschte Meer zeigten, während die linke Seitenwand das brennende Troja abbildete. Dazwischen ein Strand und vor den riesigen Platten eine Art Baumstumpf. Die vielfarbigen Kostüme von Karine van HERCKE sind bewußt nicht zeitgebunden und zeigten den Chor abwechselnd dunkel oder hellblau, Idomeneo trug eine große braune Lederrüstung, Idamante ist in weiß, Ilia zu Beginn in einem dunklem Kleid, am Ende hell gekleidet. Elettra wechselte auch mehrmals das Kleid und hatte selbst eine rotes Reisekostüms mit Schminkkoffer.

Die Zeitlosigkeit der göttlichen Ungerechtigkeit, des Fatums wurde damit unterstrichen. In dieser symbolischen Atmosphäre führte der Regisseur François de CARPENTRIES erfolgreich die Sänger und den hier ungemein wichtigen Chor durch die sich ständig überstürzenden Ereignisse. Die Regie wurde wirkungsvoll unterstützt von der Beleuchtung von Therry FRATISSIER, wie die Sonnenfinsternis zu Ende des ersten Schlußchors. Alles war durchwegs dezent, niemals provokativ, was jedoch Überraschungen nicht ausschloß. Denn auf dem Baumstupf schlug Idomeneo ein riesiges Henkerbeil ein und verwandelte diesen in einen Opferstein. Wenn der kretische König sein Versprechen an Neptun gestand, entsprang dem Opferstein ein roter, blutiger Quell.

Daß die Wiener Fassung von 1785 - in der Idamante ein Tenor und kein Mezzosopran (d.h. ein Kastrat) ist - gewählt wurde (mit einigen Nummern der Münchener Ur-Fassung), hat ganz sicher zum Erfolg dieser Produktion beigetragen. Musikalisch war die Aufführung von erlesener Qualität. Da die Straßburger Philharmoniker auf einer längeren Auslandstournee (zwischen Wien und Hamburg) waren, wurde das ORCHESTRE SYMPONIQUE DE MULHOUSE engagiert (die Produktion geht auch nach Colmar und Mulhouse).

Unter der Leitung von Theodor GUSCHLBAUER und dessen präzisen und ausgeglichenen Tempi fand das Orchester den perfekten Mozart-Stil, der sowohl die dramatischen Chorszenen als auch die sehr nuancierten Arien und Ensembles zur Geltung brachte. Der Dirigent war auch den Sängern gegenüber besonders aufmerksam, die seiner Leitung bestens folgten. Der Konzertmeister - leider im Programm nicht genannt - konnte diese allgemeine Musikalität im Violinsolo in Idamantes Rondo "Non temer, amato bene" bestätigen (allein für diese Prachtarie ist die Wiener Fassung vorzuziehen).

Die Titelrolle sang Kobie van RENSBURG, derzeit einer der kultiviertesten Mozart-Tenöre. Als Feldherr und König bestach er durch sein intensives eindrucksvolles Spiel. Daß er auch ein brillanter Sänger ist, bewies er mit der Bravour-Fassung von "Fuor del mar", die mit Koloraturen gespickt ist, und mit der er einen Triumph feierte. Als Idamante überraschte der junge französische Tenor Sébastien DROY, der die Rolle zum ersten Mal sang, nicht nur durch äußerst kultivierten Gesang, große Musikalität und perfekte Diktion, die er bei dem erwähnten Rondo unter Beweis stellte, sondern auch seine eindrucksvolle Bühnenpräsenz. Ihm zur Seite stand eine weitere junge Debütantin als Ilia, Sophie KARTHÄUSER. Sie besitzt eine wunderbare silbrige Stimme und besonderes Stilgefühl für diese Lichtfigur der trojanischen Prinzessin. Die Namen der beiden jungen Sänger sollte man sich merken!

Im Gegensatz dazu hat Mireille DELUNSCH die ungeheure Rolle der Elettra schon mehrmals gesungen. Obwohl im 1. Akt gesanglich nicht sonderlich überzeugend, war sie in den beiden folgenden Akten sehr gut. Sichtlich vom Regisseur gut geführt, war Delunsch hier nicht die absolut schlechte Furie (wie in Paris), sondern das Opfer der blinden Mächte. Die Tochter der Klytemnästra zu sein, ist ein schweres Los und nicht ohne Konsequenzen.

Auch die kleineren Rollen waren durchwegs gut besetzt. Der junge katalanische Tenor Roger PADULLÉS sang die 2. Arie des Arbace zu Beginn des 2. Akts unmittelbar nachdem ihm Idomeneo die Hintergründe seiner Rettung erklärt hatte. Als blinder Seher verkleidet, betrauerte er das Schicksal Sidons und der Kretaner und sah das auf sein Volk zukommende Unglück mit seinem inneren Auge, was er mit seiner schönen klaren Stimme verkündet. Der aus dem Opernstudio der Straßburger Oper hervorgegangene junge Sänger war auch der Gran Sacerdote am Ende des Aktes, der Idomeneo zum Bekenntnis seiner Schuld zwingt.

Die Rolle der Voce, die das lieto fine ermöglicht, sang Nicolas TESTÉ mit schönem Baß. Die beiden Trojaner Chae-HoonBAEK und Fabien GASCHY, sowie die zwei Kreterinnen Isabelle MAJKUT und Fan XIE, alle vier Chor-Mitglieder, waren rollendeckend. Der ausgezeichnete CHŒUR DE L'OPÉRA NATIONAL DU RHIN war von Michel CAPPERON hervorragend einstudiert. Am Pianoforte waltete Cordelia HUBERTI.

Das volle Haus feierte alle Künstler mit langem, stürmischem Beifall. wig.