"TRISTAN UND ISOLDE" - 8. März 2007

Eine "Tristan"-Premiere in dem wunderbaren Théâtre du Capitole ist immer interessant, besonders wenn junge, neue Sänger auf der Bühne stehen. Die Inszenierung des Hausherrn Nicolas JOËL mit den Bühnenbildern und Kostümen von Andreas REINHARDT ging auf das Essentielle ein: Musik und Text. Auf leerer Bühne ist der halbrunde Bühnenboden in drei gleiche Segmente geteilt. Jeder Teil wird im 1. Akt unabhängig von den anderen bewegt oder gekippt: das zentrale Segment war das Schiff, das über die Irische See wogte, wobei die drei Segmente sich verschieden hoben und senkten, das Ganze ohne Gequietsche! Farbige Flecken wurden von oben auf den Boden projiziert. Ein sehr traumhaftes und eindrucksvolles Bild! Während Isoldes Wutausbruch ("Blinde Augen") begann der Vollmond aufzusteigen, um bei Tristans Auftritt in halber Höhe zu stehen. Während im 2. Akt die drei Segmente flach lagen, war im 3. Akt das mittlere Stück vorne über einen Meter hoch gehoben und wurde die Warte, auf der Tristan und Kurwenal das Meer beobachteten, mit einer Wolke über ihren Köpfen, die dräuend bei Tristans Tod langsam nieder sank.

Nicolas Joel hat sichtlich ein sehr aktives Konzept der Personenführung für "Tristan". Dies betraf besonders Marke. Er ließ ihn nicht seinen großen Monolog unbeweglich predigen. Nein, der König von Cornwall ist verzweifelt, zu tiefst verwundet und zeigt diese Enttäuschung. Ein Mensch aus Fleisch und Blut, für den Tristans "Verrat" die absolute Katastrophe ist, denn er weiß sich nicht zu helfen. Isolde im 2. Akt ist ein verliebtes junges Mädchen, das die Schuhe auszieht und weg wirft, wenn sie auf Tristan wartet. Weil Brangäne die Fackel nicht löscht, wird sie grob, stößt ihre Begleiterin zurück, reißt die Fackel vom Ständer und zertrümmert sie. Tristan ist zu Beginn sehr zurückhaltend und distanziert, im 2. Akt ist er ein stürmischer Liebhaber, der sich auf Isolde wirft. Im 3. Akt kniet er auf der Warte, trotz seiner Verwundung, um besser zu sehen. Kurwenal ist kein lärmender Bauer, sondern ein Freund und Ratgeber, der auch bisweilen handgreiflich wird. Melot in blau möchte sehr gerne eines Tages auch eine weiße Uniform haben, der perfekte Kriecher und zukünftiger Putschist. Ein handfestes Konzept, das Musik und Text bestens zur Geltung bringt und an Wieland Wagners Inszenierungen erinnert.

Einzig die Kostüme waren "modern". Isolde in einer feuerroten Strumpfhose und ebensolchen Schuhen, trug darüber ein großes weißes Abendkleid, das im 3. Akt in ein feuerrotes verwandelt wurde. Brangäne trug ein dunkelblaues Kleid, Tristan war in schwarzem Gehrock, Kurwenal in weißem Frack-Jackett. Unklar war, weshalb Marke in weißer Paradeuniform eines protzigen Admirals einer Bananenrepublik mit Orden und großer Seidenschärpe auftrat und Melot in Blau eines Kapitäns als Ordonanz. Es schien, daß Marke gerade mit einem Putsch an die Macht gekommen war - die Marine tut das oft in Lateinamerika. Die anderen Sänger waren unauffällig gekleidet. Vinicio CHELI sorgte für die sorgfältige Beleuchtung der Aufführung.

Besonders zu nennen ist natürlich das ORCHESTRE NATIONAL DU CAPITOLE, das mit perfekter Intonation der großen und schwierigen Partitur voll Rechnung trug. Das ist vor allem Pinchas STEINBERG zu danken, der vom ersten Takt an eine ungewöhnliche Spannung erarbeitete. Die Ausfeilung der orchestralen Details war mustergültig. Das Drängen war bereits im Vorspiel zum 1. Akt fühlbar und steigerte sich an vielen Stellen, wie bei der Begegnung Isolde - Tristan im 1. Akt und natürlich im Liebesduett des 2. Akts, das den Vergleich mit großen Vorbildern nicht zu scheuen braucht. Der 3. Akt war ungeheuer spannend und bei Isoldes Liebestod fühlte man wie die Seele aus dem Körper entschwebt.

Einige französische Rollendebüts fanden statt, u. a. in den beiden Titelrollen. Janice BAIRD als Isolde ist wirklich ein Erlebnis. Zwar hat die Amerikanerin nicht die dunkle Bronzestimme, die man oft mit Isolde assoziiert, sondern ein sehr helles, jugendliches Timbre. Ihre Stimme ist von großer Durchschlagskraft und Präzision, was zarte piani und feinste Phrasierung nicht ausschließt. Ihre Bühnenpräsenz ist ungewöhnlich stark und ihr Spiel sehr durchdacht. "O blinde Augen" ist wie ein Orkan, der Liebestod war feinst ziseliert. Schade, daß ihre Aussprache nicht besonders gut ist.

Von ihrem Tristan kann man das nicht sagen, dem Kanadier Alan WOODROW, der an Wortdeutlichkeit unübertroffen ist. Obwohl er meistens forte singt (alle Tristan tun das!), hielt er sich im 2. Akt etwas zurück, was ein sehr dichtes, tief empfundenes Liebesduett ergab. In der Konfrontation mit Marke war er plötzlich etwas belegt, und man mußte Arges für den Schlußakt befürchten, doch er sang die Ausbrüche mit halluzinierender Kraft und enormem Ausdruck - teilweise am Bauch liegend.

Sehr tragisch gestaltete Kurt RYDL den König Marke, der die katastrophale Lage gleich erkannt hat, aber nicht ein und aus weiß. Deshalb bewegt er sich ständig auf der Bühne. Stimmlich ausgezeichnet, mit majestätischem Ausdruck. Die Tremolos vor zwei Jahre sind verschwunden, außer bisweilen in der Höhe auf lang angehaltenen Tönen. Sehr erfreulich war auch die Begegnung mit dem jungen deutschen Bariton Oliver ZWARG als Kurwenal, der vollstimmig und unaufdringlich dem Diener außergewöhnliches Profil gab; ein Künstler, dessen Namen man sich merken sollte. Erfreulich war auch die Brangäne von Janina BAECHLE. Rührend in ihrer Sorge um Isolde wie Kurwenal um Tristan, steuerte sie ihren prachtvollen Mezzo für die Rolle bei; ein großer Genuß!

Unter den restlichen Sängern stach Christer BLADIN als Melot durch seine stoische Ruhe hervor, Alfredo POESINA sang hübsch das Hirtenlied und Laurent LABARBE war ein passenden Steuermann, begleitet vom CHOR DES CAPITOLE (Leitung Patrick Marie AUBERT).

Ein ganz prachtvoller, großer Abend! wig.