"BOULEVARD SOLITUDE" - 24. März 2008

In seiner ersten Oper, uraufgeführt 1952, nahm sich der junge Hans Werner Henze gleich einen Stoff vor, der schon vor ihm große Komponisten beschäftigt hatte, die Geschichte der Manon Lescaut. Aber Henze wäre nicht schon damals der Individualist, der er bis heute ist, wenn er das Thema auch gleich behandelt hätte. Ihn interessierte weniger die Geschichte der jungen Frau zwischen Liebe und Geld, sondern eher das Thema der unerwiderten Liebe des jungen Armand des Grieux, die große Einsamkeit des Menschen schlechthin auf dem Boulevard Solitude, die zuletzt in den (Drogen-)Tod führt.

In Nürnberg wurde nun die Inszenierung von G. H. SEEBACH, eine Übernahme der Oper Graz, gezeigt. Schon das Bild (Bühne: Hartmut SCHÖRGHÖFER), in dem die sieben Szenen spielen, zeigt die Kälte, von der die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, 1952 und auch heute geprägt werden. Alles in sterilem Weiß, zwar hohe Türen und luftigen Höhen, aber vor der Tür eine Baustelle mit dem Schutt der vergangenen Zeit. Dazu ein weiß gefliester Boden. Kaltes Licht (Thomas SCHLEGEL) verstärkt die Härte. Die Menschen agieren nur miteinander wenn sie Sex, Drogen oder Geld wollen, ansonsten ist jeder allein. Des Grieux' Freund Francis kommt in seiner Welt der Bibliothek und Bücher damit zurecht, ein Liebender wie Armand geht unter. Und in alldem, für all das ist der Motor Manon. Sie verführt Armand immer wieder, spielt willenlos das Spiel ihres Bruders und ist die Geliebte von Vater und Sohn Lilaque, solange sie ihr Auskommen hat.

Für diese trostlose Welt findet Henze Musik überall dort, wo Musik in der Zeit war. Vom Zwölfton bis zum Jazz bedient er sich bei allem, was ihm stimmig erscheint. Noch nicht ganz bei sich, aber ungeheuer kraftvoll, auch nach über fünfzig Jahren. Sehr deutlich wird dies in den Zwischenspielen, die die vorangegangen Szenen kommentieren und auf die folgenden einstimmen. Christof PRICK und die NÜRNBERGER PHILHARMONIKER hauchen der Musik das Leben ein, das sie so unwiderstehlich macht.

Aber auch das Sängerensemble mit der verführerischen Heidi Elisabeth MEIER als Manon, ihrem brutalen Bruder, eindringlich gestaltet von Michael NELLE, dem alles gebenden Tilman LICHDI als Armand, Wieland SATTLER als Lilaque junior und auch Sebastian KITZINGER als Francis runden den Eindruck ab. Richard KINDLEY konnte aufgrund einer Verletzung den Lilaque Vater zwar singen, wurde in dieser Derniere aber szenisch durch den Regisseur vertreten. Eine Brechung der besonderen Art. Auch der CHOR DES STAATSTHEATERS NÜRNBERG sei lobend erwähnt, sowie die bei (und von) Henze gern gesehenen Tänzer.

Ein zeitloses Thema mit überzeitlicher Musik, was diese Produktion wieder einmal unter Beweis stellte. KS