"I QUATTRO RUSTEGHI" - 2. März 2008

Weitere Ausgrabungen. Das Capitole in Toulouse hat seine Saison mit Lalos "Le Roi d'Ys" eröffnet und bringt nun Wolf-Ferraris "I quattro Rusteghi", die vor zehn Jahren in der Opéra comique geplant waren, aber wegen Direktionskrach nie zustande kamen. Denn Ermanno Wolf-Ferrari (1876-1948) ist ein weiterer der fast vergessenen "kleinen Meister", die einige wirkliche Schätze geschrieben haben und viel zu wenig gespielt werden. Für den zwischen Venedig und München pendelnden deutsch-italienischen Komponisten war der 1. Weltkrieg eine sehr schwierige Zeit, zumal die meisten seiner Opern auf deutschen Bühnen und in deutscher Übersetzung uraufgeführt worden waren. Eigentlich wollte er ja wie sein Vater Maler werden. Doch mit 13 Jahren hatte ihn eine Tante nach Bayreuth mitgenommen, wo er "Meistersinger", "Tristan" und "Parsifal" hörte - sein größtes musikalisches Erlebnis, was ihn bewog sich der Musik zu widmen.

Da er musikalisch ein Autodidakt war, ist seine Musik nicht einstufbar. Ausgenommen zwei Jahre bei Rheinberger in München, hat er alles selbst gelernt, d. h. "erhört". Obwohl der Bayreuth-Besuch sehr wichtig für Wolf-Ferrari war, ist er kein Epigone. Auch von seinem Zeitgenossen Richard Strauss hat er kaum gelernt, eventuell seine sehr schillernde Orchestrierung. Seine Vorbilder waren Verdi und Boito, die er jung kennen lernte, und vor allem Cimarosa, Pergolesi, Jomelli, Paisiello und ihre Zeitgenossen, die klassischen italienischen Opernkomponisten des 18. Jahrhunderts. Wegen einer gewissen Ähnlichkeit des Librettos von Giuseppe Pizzolato denkt man öfters an "Falstaff", einige große Finali erinnern an Wiener Operetten. Die Musik ist sehr eigenständig, ohne Zugeständnisse an Wagner, Verismus oder Moderne. Wolf-Ferrari ist ohne Zweifel einer der größten Meister der Ensembles - die bis zum "Dezett" gehen - wie man sie sehr selten hören kann.

Als Libretti wählte er meistens "Farse" aus Goldonis Produktion. Der Inhalt der "Quattro Rusteghi" hat dramatisch einen sehr, sehr dünnen Faden: der Geizhals Lunardo, seines Zeichens Antiquitätenhändler, will seine Tochter Lucieta mit Filipeto, dem Sohn seines Freundes Maurizio verheiraten, natürlich ohne die Jugend zu fragen. Nun verlieben sich aber die beiden Jungen unabhängig davon und verraten ihre Liebesgeschichte den Gattinnen der vier Grobiane, die natürlich für die Jugend Partei ergreifen. Cancianos Gattin Felice organisiert den Widerstand (wie Alice Ford) und alles endet natürlich in einem Happyend mit einer Hochzeit.

Die Produktion in Toulouse kam von der Züricher Oper, mit der Nicolas Joel, Capitole-Hausherr und bekannter Regisseur, viel zusammenarbeitet. Züricher Chef-Regisseur Grisha ASAGAROFF hat das Spiel an das Ende des 19. Jahrhunderts in die Zeit der Komposition der Oper verlegt. Er hat bei seinem Haus-Dekorateur Luigi PEREGO eine Canaletto-Kulisse und zeitgemäße Kostüme bestellt: ein Blick auf den Canale Grande mit drei konzentrischen rechteckigen Rahmen, die nach Bedarf der Handlung wie ein klappbares Bilderbuch aufgehen und verschiedene Ansichten Venedigs und seiner Palazzi bieten. Hans-Rudolf KUNZ besorgte die ausgezeichnete Beleuchtung.

Eine blendende Idee war Luigi PREZIOSO und seinen Tänzern das Ein- und Ausräumen der Versatzstücke anzuvertrauen, die dies in Comedia dell'arte-Kostümen besorgten, aber auch das hübsche Notturno am Ende des 1. Akts in Form eines kleinen Balletts sehr lustig tanzten. Zum Schluß zieht das junge Paar auf einer Gondel in die Zukunft.

Musikalisch war die Aufführung hervorragend. Großen Verdienst hatte der Dirigent Daniele CALEGARI, der die zarte und luftige Musik Wolf-Ferraris sehr detailliert ausfeilte. Schon die Pizzicato-Einleitung der Ouvertüre setzte die Stimmung für den vergnüglichen Abend. Das ORCHESTRE NATIONAL DU CAPITOLE schätzte die subtile Musik hörbar und musizierte in kammermusikalischer Art die schillernde Partitur.

Das italienische Ensemble - großteils aus dem Veneto, denn das Libretto ist im venezianischen Dialekt geschrieben und nicht auf Italienisch - bestand aus einigen bewährten Stützen der Opera buffa, und alle haben bereits mehrmals ihre Rollen zusammen gesungen. Die quattro rusteghi sind alle Bässe oder Baß-Baritone. Allen voran der Antiquitätenhändler Lunardo, dem Roberto SCANDIUZZI seinen Basso profundo und trockene Komik lieh. Ein Kabinettstück! Der zweite Rüpel, der reiche Kaufmann Maurizio, der seinen Sohn Filipeto mit Lunardos Tochter Lucietta verheiraten will, war mit Paolo RUMETZ bestens besetzt. Er sang mit ebenso profundem Baß den eingebildeten Händler.

Simon, der dritte im Bunde, ist noch am wenigsten grob und der zivilisierteste, ein echter Signore, dem Carlos CHAUSSON die passende Eleganz und eine Ladung stoische Ruhe gab, trotz seiner Gattin Marina. Canciano, der vierte Grobian, Felices Gatte, wurde von Giuseppe SCORSIN sehr treffend dargestellt. Das Zusammenspiel der vier Kumpane war perfekt, was hier wichtiger ist als die individuelle sängerische Leistung. Ganz hervorragend und köstlich war das Terzett zwischen Lunardo, Simon und Canciano im 3. Akt, in dem sie ihre Gattinnen verteufeln. Das Publikum lachte aus vollem Halse.

Die Damen waren ihren Haustyrannen ebenbürtig. Besonders Daniela MAZZUCATO als Felice, Cancianos Gattin, eine hantige und attraktive Person, die einen Hausfreund hat und die Lage völlig dominierte. Sie spielte ausgezeichnet und setzte ihren schönen, gepflegten lyrischen Sopran bestens ein. Als Margarita, Lunardos zweite Frau, gab Marta MORETTO eine sehr gelungene Karikatur der frustrierten Bürgersfrau. Ihre Stieftochter, Lucieta, Lunardos Tochter aus erster Ehe, war die reizende Diletta RIZZO MARIN, eine viel versprechende junge Sopranistin, die nicht nur sehr gut sang, sondern auch blendend das aufmüpfige junge Mädchen spielte, das unter dem Geiz des Elternhauses leidet.

Eine ziemlich anstrengende Person ist Marina, die Schwester Maurizios und Gemahlin Simons. Schrecklich eifersüchtig und neidisch auf ihre Freundin Felice (und ihren Hausfreund), ist die Rolle schwierig und kann leicht ins Outrieren ausarten. Chiara ANGELLA wußte dies zu vermeiden und gab der Rolle Persönlichkeit und Substanz. Ihren Neffen Filipeto, Maurizios Sohn, sang der junge Tenor Luigi PETRONI mit gepflegter Stimme und fand am Schluß seine Lucieta. Felices Hausfreund, den Grafen Riccardo Arcolai, der ständig den Degen zieht und den Canciano natürlich haßt, sang Francesco PICCOLI mit gut geführtem und angenehm timbrierten Tenor. Nicole FOURNIÉ als Marinas Dienstmädchen nahm stoisch die abfälligen Bemerkungen Marinas hin.

Eine vorbildliche Co-Produktion zwischen zwei bedeutenden Opernhäusern. Das Publikum war begeistert von der hervorragenden Aufführung und feierte alle Künstler stürmisch. wig.