"LE NOZZE DI FIGARO" - 30. November 2008

In einer Produktion des bewährten Teams Marelli - Niefind war eine gute, aber nicht wirklich umwerfende Besetzung angekündigt. Unter Marco ARMILIATO, einem Dirigenten, dessen Spezialität nicht unbedingt Mozart ist. Doch diese Aufführung des "Figaro" übertraf alle Erwartungen: es wurde ein aussergewöhnlicher Abend! Das ist vor allem Armiliatos musikalischer Leitung zu verdanken. Bereits in der Ouvertüre fühlte man, daß es eine sehr schöne Aufführung sein wird, flott und straff, ohne zu hetzen, hingeblättert, obwohl das Repertoire des viel beschäftigten italienischen Dirigenten eher Verismus ist. Der CHOR und das ORCHESTRE NATIONAL DU CAPITOLE haben den Italiener sichtlich ins Herz geschlossen, denn sie sangen und spielten einfach himmlisch.

Die charmanten, leicht kitschigen Rokoko-Bühnenbilder von Marco Arturo MARELLI stellten den Rahmen für die brutale Atmosphäre des Absolutismus mit all seinen Licht- und Schattenseiten. In diesem Rahmen konnte der Regisseur Marelli zeigen, welche Auswüchse diese Quasi-Leibeigenschaft zeitigen konnte: einer allgemeine Verrohung der Sitten, die unweigerlich zur Gewalttätigkeit führen mußte. Graf Almaviva ist ein eifersüchtiger Egoist, dem alles gehorchen muß, einschließlich seiner Frau, die alles einsteckt. Selbst wenn er sich brutal an allem vergreift, was ein Kleid trägt. Die Contessa ist an ihre Unterdrückung fast gewohnt. Erst das junge Brautpaar Susanna-Figaro ist es, das den Stein ins Rollen bringt. Und die Gräfin spielt mit, weil sie sich an ihre Jugend erinnert, als sie Bartolo entfloh. Sie ist aber resigniert und nicht zornig, denn sie liebt ihren Mann.

Diese Deutung der Handlung ist mehr im Sinne Beaumarchais' als in dem Da Pontes. Das Drama ist viel mehr politisch und brutaler, als man es meistens sieht. Der einzige Schwachpunkt war das Fehlen von Tischchen oder ähnlichen Utensilien: das Brief-Duett wurde auf dem Notenständer des Cembalos der Gräfin geschrieben und der Justiz-Akt des Prozesses Figaro-Marcellina lag auf dem Boden. Die Sänger folgten dieser Linie des Regisseurs in jeder Hinsicht. Zumal die Kostüme von Dagmar NIEFIND den Sängern, besonders den Damen, einen sehr kleidsamen Rahmen boten. Friedrich EGGERT beleuchtete wunderschön.

Die Sänger waren durchwegs ausgezeichnet. Als Contessa war Ricarda MERBETH perfekt. Obwohl ihre Stimme eine gewisse Schwere anzeigt - sie singt ja nicht umsonst in Bayreuth - besitzt sie nach wie vor die makellose Gesangslinie und wunderbare Phrasierung, die diese Rolle zur wohl innigsten des Mozart-Repertoires macht. Ihr Gatte ist ein Tyrann, ein Raubtier, ständig auf der Jagd (er ist während der ganzen Aufführung in Jagdkleidung!). Andrew SCHROEDER gab dem Conte Almaviva genau diese brutale Dimension. Sein prachtvoller Kavaliersbariton ist in allen Lagen gleich wuchtig und dabei sehr ausgeglichen.

Die Susanna von Anne-Catherine GILLET ist entzückend anzusehen, sie singt auch wunderschön, ihre Rosenarie und das Briefduett waren perfekt. Ein stimmgewaltiger Figaro war Alex ESPOSITO, der die kommende Revolution bereits klopfen hört, stimmlich und darstellerisch seinem gräflichen Gegenspieler völlig ebenbürtig. Grad daß er sich mit dem Conte nicht prügelt! Die junge Blandine STASKIEWICZ sang Cherubino ein wenig zu scharf, ein Mezzo wäre hier besser, spielte aber einen sehr stürmischen Liebhaber.

Eine recht junge Marcellina sang und spielte blendend Daniela MAZZUCATO, die wir als Felice in "I Quattri Rusteghi" in bester Erinnerung haben, in einer matronenhaften dunkelroten Robe. Sie sang die Ziegenbock-Arie sehr feministisch. Luciano DI PASQUALE war ein stimmgewaltiger Dottore Bartolo und blieb der Rolle nichts schuldig. Einen schmierigen Don Basilio kampierte Rodolphe BRIAND, dem aber seine Arie von der Eselshaut gestrichen wurde. Einen etwas beklopften Don Curzio stellte Ricardo CASSINELLI auf die Bühne. Entzückend die Barbarina von Amel BRAHIM-DJELLOUL, die ihre Nadel sehr herzig suchte. Sie sang übrigens auch in zwei Vorstellungen die Susanna. Frédéric CATON war ein passend betrunkener Antonio, dem Figaro fast an die Gurgel springen und die Nase einschlagen wollte.

Begeisterter, langer Applaus des dankbaren Publikums. wig.