"CELAN" - 24. Mai 2009

Peter Ruzickas Musiktheater "Celan" erlebt gerade seine vierte Neuinszenierung. Diesmal hat sich das Theater Bremen dem Werk um den Dichter Paul Celan, der die Nazis überlebte und 1970 in Paris Selbstmord beging, angenommen und dafür die junge Regisseurin Vera NEMIROVA gewonnen, die sich mit unkonventionellen Inszenierungen bereits einen Namen gemacht hat.

Und auch mit dieser Oper verfährt sie frei assoziativ, was bei der losen Szenenfolge, die keine stringente Biografie sein will, sondern auch Brücken zum Heute schlägt, gut funktioniert. Da wird aus der Pariser Metro eine Bibliothek für den Büchermenschen Celan, u. a. eindrucksvoll dargestellt durch einen frei im Raum schwebenden überdimensionalen Bücherwürfel (Bühne Stefan HEYNE), oder die Regisseurin bricht den problematischen Sprung vom Grauen des Holocausts in die Gegenwart, in der ein Hooligan, eine häßliche Schwangere oder ein junger Nazi auftreten, indem sie die Szene auf ein Laientheater herunter bricht, das sie wiederum mit Pappschildern ("Theater muß sein") beinahe persifliert. Viele Brechungen für ein heterogenes Stück.

Aber auch ganz klare, schlicht eindrucksvolle Szenen werden gestaltet. Die Mitte der Oper bildet eine ergreifende, über achtzehn Minuten dauernde Chorszene, betitelt "Das Grauen". Sie soll sich dem Schrecken der Vernichtung annähern. Bei Nemirova steht der Chor in Alltagskleidung auf der Bühne, während sich die gesungenen Vokalisen langsam zum Wort "Jerusalem" verdichten. Der Chor entledigt sich dabei teilweise völlig seiner Kleidung und Wertgegenstände, wie es in den Konzentrationslagern vor dem Gang in die Gaskammern erzwungen wurde. In einer späteren Szene wird dann jeder einzelne Kleiderhaufen von einer Lampe angestrahlt, Zeichen der Erinnerung an die Toten, wobei einige Protagonisten die Lampen immer wieder ausschalten, die Erinnerung quasi zum Verlöschen bringen. In der Schlußszene, kommt Celan als Kind, auch das eine Ergänzung der Regisseurin, und knipst alle Lampen wieder an. Ein schlichtes aber wirkungsvolles Bild über das, wie sich Celan wohl selbst verstanden hat. So bleibt das Stück disparat, aber kleine Bögen bietet die Regie bewußt an.

Da, wo das Libretto Filme vorsieht, verweigert sich die Regisseurin, bringt aber im Teil mit Gegenwartsbezug einen eigenen Film, in dem Bremer Schüler Passanten in der Innenstadt zu ihrer Einstellung zum Holocaust befragt. Die Musik läuft unter dem Film weiter und sorgt für eine Verbindung zu den nachdenklich stimmenden Kommentaren.

Aus der Fülle der Protagonisten sticht besonders der CHOR DES THEATERs BREMEN hervor, aber auch Thomas E. BAUER, der als Celan 1 stimmlich wie darstellerisch fantastisches leistet. Nur leicht ab fällt dagegen der Celan 2 von Yaron WINDMÜLLER. Auch Nadine LEHNER als Celans Frau Christine ist stimmlich wie darstellerisch ein Genuß. Julian BÜSING, Sara HERSHKOWITZ, Eun-Kyung UM, Thomas MÖWES, Franz BECKER-URBAN, Christian-Andreas ENGELHARDT und Barbara BUFFY seien stellvertretend für eine gute Ensembleleistung genannt.

Peter RUZICKA dirigierte die BREMER PHILHARMONIKER selbst, und entlockt dem Orchester einen klaren ausgewogenen spannungsreichen Klang. Daß die Sänger manchmal Schwierigkeiten haben, sich gegen das Orchester durchzusetzen ist wohl mehr dem Komponisten Ruzicka als dem Dirigenten Ruzicka zu schulden.

Schenken tun weder die Inszenierung noch die Musik dem Zuschauer etwas, aber sehr bereichernd für den, der sich auf beides einzulassen vermag. KSch